Heft 
(1896) 5
Seite
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Volkstümliche Naturanscliamingen.

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Boi näherer Prüfung erweisen sich zuweilen auch solche Angaben als richtig, die beim ersten Hören ganz unglaublich scheinen.

Das allbekannte Wort: die Ratten verlassen das sinkende Schiff,

scheint ganz sinnlos, und doch hat zu dem Sprichwort die Beobachtung Veranlassung gegeben, dass ein Schiff, das leck wird und in dessen Kielramn das Wasser eindringt, von den Ratten verlassen wird, weil die Tiere vom Wasser aus ihren Schlupfwinkeln vertrieben werden.

Seit alten Zeiten behauptet sich im Volke der Glaube, die Spitz­mäuse seien giftig und zwar nicht nur für die Tiere von denen sie ge­fressen würden, sondern es soll, so sagt das Landvolk, auch ihr Biss gefährlich sein. Schon Buffon gab sich Mühe, diese Volksmeinung als ein Vorurteil zu erweisen. Ein neuerer Beobachter Remy de St. Loup fand indessen, dass drei Katzen, die eine Spitzmaus in die Enge getrieben hatten, das Tier nicht anzugreifen wagten, obgleich sie fortwährend danach sprangen, und dass eine Hausmaus, die von der Spitzmaus einen unbedeutenden Biss in die Hinterpfote erhielt, gleich nach dem Bisse gelähmt war und kurze Zeit darauf starb. Diese Beobachtung spricht also dafür, dass der Speichel der Spitzmäuse giftig ist.

Auch die vom Volke schon lange behauptete Vorliebe des Blitzes für bestimmte Bäume ist erst ganz neuerdings durch sorgfältige Beobach­tungen bestätigt worden. Nach einer eltjährigen Statistik sind im lappi­schen 56 Mal Eichen vom Blitz getroffen worden, 24 Mal Tannen und Fichten, dagegen niemals Buchen, obgleich 7 / 10 des lippischen Wald­bestandes aus Buchen gebildet wird. Die Erfahrung bestätigte daher den alten Spruch:

Vor den Eichen sollst du weichen,

Vor den Fichten sollst du flüchten,

Doch die Buchen sollst du suchen.

Ausser der Eiche wird auch die Rappel besonders häufig getroffen. Eine in der Umgebung von. Moskau neuerlich aufgestellte Statistik ergab, dass über die Hälfte aller vom Blitz getroffenen Bäume Pappeln waren. Seit alter Zeit werden diese Bäume als natürliche Blitzableiter um die Gehöfte angepflanzt; auch hier ergab also die genaue Untersuchung die Richtigkeit der Volksmeinung.

In vielen Gegenden gilt Feueranmachen als Mittel den Blitzschlag abzuwehren. Wenn das Unwetter naht, zünden die Landleute Feuer an und wählen dazu solches Brennmaterial, welches dichten Rauch erzeugt, wie grünes Holz und feuchtes Laub. Dieser alte, früher oft als aber­gläubisch angesehene Volksgebrauch ist in allcrneuester Zeit als zweck­mässig gerechtfertigt und es ist erwiesen, dass sich die Bäuerinnen in ihrer Hoffnung, durch Rauch die Macht des Wetters zu brechen, nicht täuschen. Der Rauch und die Verbrennungsgase vergrössern nämlich