Heft 
(1896) 5
Seite
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Volkstflmliche Naturanschauungen

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zu dieser wissenschaftlichen Lehre stand die Jahrhunderte alte Erfahrung des praktischen Landwirts, dass gewisse Pflanzen, nämlich Kleearten und II lsenfrüchte, deren Ernteprodukte sehr grosse Mengen Stickstoff enthalten, auch noch auf sehr ausgesogenem, armem Boden hohe Erträge geben, und dass nach ihnen angebaute andere Kulturgewächse wie z. B. die viel Nährstoffe im Boden beanspruchenden Halmfrüchte ohne neue Düngung bedeutend höhere Erträge lieferten als vorher. Durch den Anbau der Kleearten und mancher Hülsenfrüchte wurde also augen­scheinlich der Ackerboden verbessert, ertragsfähiger gemacht. Der ein­sichtsvolle praktische Landwirt trug dieser Thatsache auch durch eine angemessene Aufeinanderfolge der verschiedenen Kulturpflanzen gebührend Rechnung und nannte die Kleearten und die Hülsenfrüchte bodeu- bereichernde Pflanzen, im Gegensatz zu den anderen Kulturgewächsen, Getreidearten, Ölfrüchten u. s. w., welche den Düngungszustand eines Feldes verschlechtern, indem sie die im Boden enthaltenen Pflanzennähr­stoffe verbrauchen.

Die Wissenschaft hatte bis vor wenigen Jahren keine stichhaltige Erklärung für dieses so verschiedene Verhalten der schmetterlingsblütigen Gewächse einerseits und der andern Kulturgewächse andererseits, bis man erkannte, dass den Kleearten und Hülsenfrüchten die Fähigkeit eigen ist, den freien Stickstoff der Atmosphäre zu assimilieren und in organischen Stickstoff überzuführen, zu eiweisshaltigen Stoffen zu ver­arbeiten. Hierbei übernehmen, wie der kürzlich verstorbene Professor Dr. Hermann Ilellriegel zeigte, Bakterien die Vermittlerrolle.

Ein weiteres Beispiel, dass die volkstümliche Naturanschauung zu­weilen der wissenschaftlichen Forschung voraus ist, bietet die Verwendung von Schwammasche gegen Gicht. Von Alters her war der Asche der Meerschwämme eine Heilwirkung gegen Gicht und Skrofulöse zuge­schrieben; die Wirkung war vielfach erprobt und allgemein anerkannt. Als dann die chemische Analyse am Anfänge dieses Jahrhunderts nur Soda in der Asche nachweisen konnte, war man der Meinung, es könne nur Soda die günstigen Wirkungen herbeigeführt haben. Und als die Soda für sich wirkungslos war, fiel damit für die wissenschaftlichen Mediziner, trotz aller früheren Erfahrungen auch die Anwendung der Asche der Meerschwämme. Man war eben fest überzeugt, dass in der Asche ausser den Substanzen, welche die damalige chemische Analyse nachzuweisen vermochte, weitere wirksame Körper nicht vorhanden seien* Erst als man nach den Courtoisschen Beobachtungen im Jahre 1812 das Jod entdeckte und seine mächtige medizinische Wirkung auffand, war die Lösung des Rätsels gegeben; das bisher unbekannte Jod war das Wirksame in der Asche der Meerschwämme. Leicht würde es sein, noch zahlreiche weitere Fälle ähnlicher Art zu geben. Die angeführten Beispiele mögen genügen, um zu zeigen, dass der Mann der Wissenschaft