Heft 
(1896) 5
Seite
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Josephine Freytag.

halben Lehens gefunden, so ergab sich der weitere Weg der Forschung als selbstverständlich. Sind es Pilze, welche erst den Erdboden frucht­bar machen, d. h. mineralische Zerfallstoffe nach und nach in Humus verwandeln,*) so ist es auch klar, weshalb die Wurzeln grösserer Pflanzen von ganz besonders starkem Pilzmycel umwuchert sind. Eine Eiche braucht mehr Ernährungsqnellen als selbst eine Kiefer. Professor S. Winogradsky, damals noch am Eidgenössischen Polytechnikum in Zürich, traf einen wenig geeigneten Zeitpunkt. Es war die Zeit der Kochschen Ära, in welcher die im Jahre 1859 veröffentlichten Unter­suchungen von de Bary über jene kleinen Pilzbildungen im Speichel gesunder und kranker Menschen, gesunder und kranker Tiere, besonders eigenartiger in typhösen und Milzkrankheiten, dem Publikum als völlig neu entgegentraten. Die grossen Errungenschaften und Verdienste in der botanischen Wissenschaft wurden damit der Medizin zugeschrieben, welche sich bis dahin garnicht. darum gekümmert hatte, dass zwei Jahr­hundex-te früher Leeuwenhoek, der freilich nicht einmal Latein verstand, nachdem er das erste Mikroskop gebaut, mittelst desselben 1687 die kleinen Lebewesen im Speichel der Menschen beobachtet, und sogar Ab­bildungen gezeichnet und beschrieben, der Londoner Akademie der Wissenschaften durch einen Freund eingesandt hatte. Dass er die kleinen Lebewesen für Tierchen hielt, war bei dem zu jener Zeit noch recht mangelhaften Mikroskop natürlich. Diese so fundamental wichtige Ent­deckung wurde von der Medizin gänzlich ausser Acht gelassen, wie die neueren Arbeiten de Barys. Da man aber bei den allerneusten Be­obachtungen immer nur von Bazillen und Bakterien spi-ach und in der Presse die Versprechungen von Krankheitsheilungen daran knüpfte, so war die Mehrheit, zuerst selbst die Ärzte, überzeugt, es handle sich um Tierleben. Wer es wagte auszusprechen, dass es Pilze wären, welche die Botanik seit länger als einem Viei'teljahi'hundert als solche kenne, wurde Sehr schlimm behandelt, selbst wenn man es in gedi-uckten Bücheim nachweisen wollte. Es gelang nur gar zu sehr, die Allgemein­heit für jene ihr als neu entgegenti-etende Lehre zu begeistern, hatte indes das Gute, dass eine Methode zur Züchtung von Dr. Robert Koch als wirklich neu damit gefunden wurde, wie dass die Medizin sich für die physiologischen Bedingungen des Pilzlebens sogar gewaltsam zu

*) Wer Blumen pflegt und vorsorglich die entsprechenden Erdarten sich vorrätig hielt, konnte stets wahmehmen, dass, sobald es längere Zeit dauerte, während dessen man verabsäumt hatte, die Erde anzufeuchten, bei späterem Gebrauch auch nicht die bescheidenste Pflanze darin gedeihen wollte. Erst wiederholtes Begiessen mit Ab­waschwasser vom Fleisch, also das Hinzufügen verdünnten Blutes, brachte wieder eine Verbindung in das trockene Geröll und liess die Erde brauchbar, d. h. lebendig werden. Im ersten Falle waren sämtliche Nährpilze vertrocknet, im zweiten neue Nährkolonien entstanden.