Heft 
(1896) 5
Seite
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Josephine Freytag.

kunst betrachtet, aus geringwertigem vorzügliches herzustellen, nur dass der Grad von Gewissenhaftigkeit, welcher dazu gehört, leider nicht Allgemeingut ist. Der Geldbeutel kommt dabei auch ernstlich in Frage, aber für diesen fühle ich gar kein Mitleid, wenn Hausfrauen, welche die Pflicht haben, die Gesundheit ihrer Familie in treuer Sorgfalt zu überwachen, so gewissenlos sind, anstatt sich die notwendigen Kennt­nisse selbst zu erwerben, immer wieder die unbegreifliche Antwort geben; Die Händler dürfen doch nichts giftiges verkaufen! Ja wohl, das dürfen sie; deshalb, weil es immer eine Frau Geheimrätin X und eine Frau Kommerzienrätin Y giebt, welche bereit sind, den Polizeibeamten zu versichern, dass sie diese Trüffeln seit Jahren benutzen, dieselben wären ganz unschädlich, so oft man die Marktzulässigkeit bestreitet. Alle Anzeigen haben nur ein kurzes Verbot erwirkt. Der Vorteil eitler Frauen und der Händler, welche den gänzlich wertlosen, auf allen Wegen wuchernden Pilz das Pfd. zu 1 Mk. verkaufen, geht eben Hand in Hand. Gar manche arme Frau würde ihnen gern zu 10 Pfg. das Pfd. ins Haus bringen, wenn diese und jene die unerlässliche Kenntnis hätten. Alsdann wäre auch der Verkauf unbedenklich, wie in Prag der stark giftige Boletus luridns, Hexenpilz, ruhig auf den Märkten verkauft wird. Die dortige Bevölkerung weiss genau, dass sie ihn erst in Salzwasser ab­zukochen hat. Wenn aber bei uns selbst eine gewissenhafte Hausfrau oder Köchin auf dem Markte hört, dass sie noch dazu unter dem schönen Namendeutsche Trüffel viel billiger einkaufen kann und dann, wie selbstverständlich in Blechbüchsen einlegt, so würde eine Gesellschaft zweifellos ernstlich erkranken. Ausserdem verlieren in Blechbüchsen alle fein aromatischen Pilze ganz wesentlich von ihrem Wohlgeschmack, indes das verstehen sie ja ebensowenig. Trotzdem es also keine giftigen Trüffeln giebt, trotzdem jede Verwechselung ausgeschlossen ist, weil die in der Erde wachsenden Trüffeln in einem Haarnetz liegend nicht die mindeste Ähnlichkeit mit irgend welchem Giftpilz haben, trotz dessen kann man sowohl durch bereits verdorbene Trüffeln als durch be­wusste Benutzung eines Giftpilzes, von dem in fahrlässiger Weise anderen ungenügende Mitteilung gemacht wurde, ernstlichen Schaden an seiner Gesundheit erleiden, ja es können sogar tötliche Folgen eintreten.

Ganz ähnlich liegt die Frage bei Benutzung der ersten Frühlings­pilze, welche man in Norddeutschland allgemein Morcheln, die Kenner hingegen Lorcheln nennen. Die Helvellaceen bestehen aus wirklichen Helvella, Lorchel-, und Morchella-, Morchel-Familien. Erstere sind mit geringer Ausnahme darmartig gewunden, letztere bienenwabig vertieft. Jene braunen Frühlingspilze, welche als eine der wenigen Arten, die wir überhaupt verspeisen, doch eigentlich von uns gekannt sein sollten, sind sämtlich Lorcheln.

Obgleich es weder unter diesen noch unter den Morcheln irgend