Aus dem Reiche der Pilze.
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einen Giftpilz giebt, so wird doch alljährlich in den Zeitungen bekannt gemacht, man solle sich bei dem Einkauf von Morcheln vor den giftigen Lorcheln hüten. Durch diese dopppelt falsche Direktive — denn wir kaufen hier in Berlin äusserst selten frische Morcheln — entsteht dadurch, dass wir die Giftgefahr an falscher Stelle suchen, eine wirkliche. Gerade die Lorcheln enthalten, wie sämtliche chemische Analysen bestätigen, aussergewöhnlich viel phosphorsaure Salze. (In getrockneten sind es 46 bis 49 Prozent.) Soll unser Blut sich diese reiche Gabe aneignen können, so bedarf es als Ergänzung sehr vielen Fettes und stärkehaltiger Stoffe. Professor Dr. Lorinser rät zu einem Zusatz von Essig oder Zitronensäure, um die phosphorsauren Salze leichter löslich zu machen. Jedenfalls ergiebt sich daraus, dass es für schwache Magen bedenklich ist, eine grössere Menge von Lorcheln zu verzehren, weil man zur Ergänzung ein Ubermass an Nahrung aufnehmen muss.*) Halten wir nur fest, dass der menschliche Körper eine Maschine ist, welche Stoffe verbraucht, und nur diejenigen sich assimilieren kann,
*) Das Märchen von giftigen Lorcheln entstand infolge von Todesfällen bei Kohlenbrennern in Böhmen, welche oben in ihrer Waldeseinsamkeit sich so oft als möglich nur von Pilzen nähren. Man hatte sehr viele gekocht und nach dem Genüsse von Ueberresten waren später zwei Vergiftungen eingetreten. Von der Schädlichkeit verdorbener Pilze hatte man keine Vorstellung, und so nahm der Botaniker Krombholz in sein Werk eine Helvella suspecta auf. Nachdem Jahr für Jahr an derselben Stelle der Wald abgesucht und niemals eine schädliche Art gefunden wurde, gab man den Irrtum auf. Doch spukt er noch in einigen Büchern
Ein neuerer Fall endete desto wundersamer. In Breslau hatte ein Mann mit der Frühlorchel (escülenta) hausiert und verkaufte diese bis auf einen Rest, den er, als er ihn nicht mehr los werden konnte, schliesslich selber ass. Er starb daran. Anstatt sofort anzunehmen, dass die Pilze bereits verdorben waren, versuchte Professor Ponfick Hunde mit Helvella escülenta so einseitig zu ernähren, dass die unglücklichen Geschöpfe an Nierenentzündung schwer erkrankten und schliesslich starben.
Nun wurden lange Abhandlungen in gelehrten Werken mit der Behauptung veröffentlicht, diese Lorchel sei giftig, die Frauen hätten die Menschheit nur durch ihre Reinlichkeit gerettet, diese Pilze stets abzukochen. Das hatte der Professor aus einem Kochbuch entnommen, wo für die Benutzung zu Fricassee die Befreiung von Sand gelehrt war. Sonst verspeist man sehr gern die Brühe, indes entsteht aus diesen falschen Lehren eine wirkliche Giftgefahr. Da die Allgemeinheit mit der unbilligen Forderung an alle Pilze herantritt, sie sollen sich ebenso leicht wie Kartoffeln von Hafer unterscheiden lassen, so hat irgend ein Leichtsinniger das Märchen erfunden, ein silberner Löffel und eine Zwiebel würden in Giftpilze gelegt schwarz. Das Gegenteil wäre schon eher richtig, da viele der wertvollsten Pilze so Boletus bovinus den Löffel anlaufen lassen, während eigentlich nur ein Giftpilz, Boletus luridus**) so viel Schwefel enthält, dass er zu diesem Märchen den Vorwand abgeben konnte. Gerade unter den sich schwärzenden Pilzen sind die leicht verdaulichsten und diejenigen, welche nervenstärkende Wirkungen zeigen. Nächst ihnen sind diejenigen, welche beim Durchbrechen grün auslaufen, sehr zu empfehlen, trotzdem sie sich bisher der gründlichsten Verleumdung erfreuen.
**) Unterscheidet sich nicht von Boletus Satanas, an dem Horaz wohl nur deshalb erkrankte, weil die erste Brühe nicht entfernt war.