Kleine Mitteilungen.
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Eine weitere Erklärung dieser Redensarten geben Überlieferungen aus Ostpreussen, die ich vor 15—20 Jahren aus Volksmunde niederschrieb. Auch dort, zu Beinuhnen im Kreise Darkehmen, hatten im vorigen Jahrhundert manche die Redensart, die vielleicht noch jetzt alten Leuten da bekannt ist: „Dann gehst Du nach Nobelskrug bei de Hüllaugen, oder: „Mit der wird’s wohl auch nicht lange mehr dauern, die wird wohl auch bald nach Nobelskrug kommen.“ Unter Ilüllaugen verstand man „Ilohl- augen“, weil die Todtengerippe statt der Augen nur hohle Löcher haben. Ferner wusste man: „Ein alter Junggeselle sagt zu einer alten Jungfer: „Du wirst (oder: musst) ja auch Ziegen hüten auf jener Welt“ (d. h. nach dem Tode). Und sie sagt: „Und Du kommst und trägst mir die Knüppels zu.“ Wenn eine alte Jungfer stirbt, muss sie in der andern Welt Ziegen hüten. Wenn ein Junggeselle stirbt, so hat er Knüppel (Ilolzstücke) da zu liegen. Sie hütet die Ziegen und schmeisst sie. Er muss die Knüppel zutragen und immer wieder aufsuchen. So haben sie beide Arbeit.“ Ehedem war also die Vorstellung, dass alte Jungfern und Junggesellen im Jenseits ein Dasein führten, dass in eintöniger Weise einer untergeordneten ländlichen Tätigkeit hier auf Erden entsprach. Diese wenig zusagende Tätigkeit wurde den Unverheirateten gewissermassen als Strafe im Jenseits zu Teil, denn das Landvolk hat immer die Verheirateten höher gestellt als die Unverheirateten, die Ledigen, und in der Ehelosigkeit einen verfehlten Beruf gesehen. Die alte Frau aus Beinuhnen, die mir die obigen Mitteilungen machte, hat mir wicderholentlich auch folgendes erzählt: „Mein Bruder
hatte einen Freund. Die beiden hatten sich verabredet, wer am ersten in Nobelskrug kommt, soll dem andern berichten, wie das da zugeht. Der Freund ging nach Russland. Er ist später da gehängt worden, weil er mit einem andern ein Mädchen dazu gebracht hatte, ihr Kind umzubringen. Mein Bruder starb 36 Jahre alt als Altgeselle (Junggeselle) unverheiratet. Da träumte dem andern: er sah ihn sitzen in einem Garten unter einem Rosenstrauch, auf jeder Seite ein Mädchen. „So“, schrieb er, „habe ich den Karl gesehen in Nobelskrug“. Die Angabe vom Rosenstrauch war jedenfalls nicht Erfindung dieses Einzelnen, sondern auch anderweitig eine alte Vorstellung. Was übrigens solche Mitteilungen aus der andern Welt betriff't, so vermerkt Kestner in seinem Tagebuch (1772) über Göthes letzten Besuch in Wetzlar bei Lotte und Kestner: „Er, Lottchen und ich hatten ein
merkwürdiges Gespräch von dem Zustande nach diesem Leben, . . . welches nicht er, sondern Lottchen anfing. Wir machten miteinander aus, wer zuerst von uns stürbe, sollte, wenn er könnte, dem Lebenden Nachricht von dem Zustande jenes Lebens geben (Philipp Stein, Goethe-Briefe, Berlin).
Nach den von mir aufgefundenen Überlieferungen ist also Nobiskrug das Jenseits, die Welt der Toten, der Abgeschiedenen, die andere Welt, das andere Leben, wie jene alte Frau aus Beinuhnen, Namens Polzin, die sehr sagenkundig war, hinsichtlich der Redensart „zu den Hohlaugen kommen,“ erklärte: „Das heisst zu den Toten, ist unter die Erde gemeint.“ Nach Überlieferungen aus anderen Gegenden Deutschlands ist die Bestimmung von Nobiskrug allerdings eine andere. Da die Erinnerung an Nobelskrug offenbar noch immer bei einzelnen alten Leuten erhalten ist, wäre es sehr