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Bericht Über die 12. (3. Arbeit«-) Sitzung de« I. Vereinsjnhre«.
hauer und Altmeister, unsers Johann Gottfried Schadow,*) die den griechischen Künstler bewegenden Ideen über den Normal-Menschen wieder liervorgesucht und neubegründet zu haben. Dies geschah in dem heut vorgelegten Werk: „Polyklet, oder von den Massen des Menschen nach dem Geschlechte und Alter“, Berlin 1834, mit einem Atlas von 80 Tafeln (5. Auflage, Berlin 1886 bei Wasmuth)**).
Drei Jahrhunderte früher war bereits ein anderer deutscher Meister, ein echter Künstler von Gottes Gnaden, Albreeht Dürer, hinsichtlich der Malerei, die er, soweit die eigentliche Zeichnung in Frage kommt, auf mathematische Verhältnisse begründen wollte, zu ähnlichen Vorstellungen gelangt. Er legte dieselben in seinem Werk „Von menschlicher Proportion“, Nürnberg, 1528, nieder.
Unter den Italienern des Cinquecento sind es besonders Lionardo da Vinci (1445—1520) und Michel Angelo Buonarotti (1474—1564) gewesen, die sich in einem ähnlichen Vorstellungskreis bewegten. Buonarotti studierte zwölf .fahre Anatomie, um sich denXonnalkanon der menschlichen Figur anzueignen und Lionardo streifte unser Thema in seinem „Fragment d’un traite sur les mouvements du corps humain“***) an.
Dass unsern Goethe, als Vorläufer Darwin’» im Gebiet anatomischer Morphologie, Jahre hindurch ähnliche Ideen bewegt haben, ist bekannt. Noch wenige Tage vor seinem am 22. März 1832 erfolgten Tode, unterm 4. Februar richtete er an den um die Beförderung des Gewerbfleisses und des Kunsthandwerks so hochverdienten Geheimrath Beuth nach Berlin ein Schreiben über plastische Anatomie, worin er genau das empfahl, was unser Mitglied Karl Schütz hier mit kunstgerechter Iland geschahen hat, über die Herstellung von Abgüssen nach menschlichen Nonnalpräparaten für Lehrende und Lernende.
Ich glaube namens der „Brandenburgia“ Herrn Schütz für sein wertvolles Geschenk danken zu dürfen und will noch hinzufügen, dass auf kürzlich ergangenen einstimmigen Beschluss des Vorstandns und Ausschusses der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte die Ausstellung des Schütz’schen Muskeltorso’s auf der Weltausstellung zu Chicago im Jahre 1893 statttinden soll.
Ich benutze schliesslich die Gelegenheit, darauf aufmerksam zu machen, dass Herr Dr. ined. A. Greef, Philippstrasse 3, eine Anzahl menschlicher Naturabgüsse zu Studien hergestellt hat, nach wohl-
*) Geb. 1764 zu Berlin, daselbst al« Direktor der Akademie der Künste am 28. Januar 1850 verstorben
**) G. Schadow’s ferneres AVerk „Nationalphysiognomien oder Beobachtungen über den Unterschied der Gesichtszüge und die äussere Gestaltung de« menschlichen Kopfe«, in Umrissen bildlich dargestellt“, Berlin, 1835, baut denselben Gedanken noch weiter systematisch aus.
***) Zuerst 1651 bei Langlais zu Paris im Druck erschienen.