Bericht über die 8. (2. Öffentliche) Versatntnlung des 3. Vereinsjahres. 177
ihre erste Spaltung Ost- und Westgermanen, dann die der letzteren in ihre Stammverbände besprochen und endlich die Semnonen in diese Gruppierung eingegliedert hatte, eine eindringende Charakteristik dieser angesehenen Völkerschaft, des Urvolkes der Germanen überhaupt, wenn man dem Mythus trauen darf. Diese Charakteristik erfolgte im Anschluss an die klassische Stelle über die Semnonen: das 29. Kapitel der
„Germania“ des Tacitus, das nach allen Seiten hin erörtert wurde. Dabei warf er die Frage auf, wo im Semnonenlande der geheimnisvolle, Andacht und Scheu erweckende Hain lag, von dem Tacitus spricht, und beantwortete sie nach einer eingehenden Erwägung der für die Lokalisierung in Betracht kommenden Momente mit einem (wie er sich ausdrückte) herzhaften lgnoramus. Die Zeit, in der das Fest stattfand, von dem Tacitus in kurzen, aber bedeutungsvollen Sätzen spricht, sei in den Herbst zu verlegen. Dann wandte der Vortragende sich der Frage zu, welchem Gotte die mit einem Menschenopfer verbundene Feier galt, deren der römische Historiker gedenkt. Auf Grund einer ganzen Reihe von Indizien bewies er, das es Tivas oder Tiu war, später Ziu, nord. Tyr genannt, der alte Himmelsgott und Spender des Lichtes, der seinem Ursprünge nach mit dem griech. Zeus, dem lat. Jupiter und dem indischen Djaus identisch ist. Damals bei den Semnonen und dem ganzen Stammverbande, dem diese angehörten, der höchste, ein Allgott, ehedem überhaupt der höchste germanische Gott, wurde er erst allmählich von Wodan aus dieser Stellung verdrängt. Redner verfolgte sodann das Auftreten der Semnonen in der Geschichte, von den ältesten Zeiten, zu denen wir nur durch ahnungsvolle Rückschlüsse vorzudringen vermögen, bis dahin, wo sie Brandenburg endgiltig verliessen. Im Anschluss an die Ergebnisse der Müllenhoffschen Forschungen fand er sie an der grössten und erfolgreichsten Wendung, die im Leben der Germanen je eingetreten ist, beteiligt. Semnonen gehören zu jenen germanischen Völkern, welche den herkynischen Urwaldgürtel durchbrechen und damit den Eintritt der Germanen in die Weltgeschichte, ihren politischen Zusammenhang mit der alten Welt bewirken. Von ihnen lösen sich die Scharen los, die später den Namen der Markomannen führen. Auch im Zuge der Kimbern befinden sich Semnonen, und zu dem Heere, mit dem Ariovist in Gallien gegen Caesar kämpfte, gehörten sie nach einer scharfsinnigen Vermutung Müllenhoffs gleichfalls. Ihr altes Stammland verliessen die Semnonen im Laufe des dritten Jahrhunderts n. Chr. Sie zogen nach dem Südwesten Deutschlands und bildeten hier den Volksstamm der Schwaben. Doch können damals nicht alle Semnonen aus ihrer Heimat abgerückt sein, denn noch in der Mitte des 6. Jahrhunderts finden wir solche im Lande der Mittelelbe. Zu jener Zeit spielten sich im östlichen Deutschland Vorgänge von weltgeschichtlicher Bedeutung ab, infolge deren die Semnonenreste das Land zwischen Oder und Elbe
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