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11. (4. ordentliche) Versammlung des XI. Vereinsjahres.
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„Die Seufzerlinde in Spandau.“
In nächster Nähe der noch mit Wall und Graben umgebenen Stadt Spandau, und zwar zwischen dieser und der Seegefelder Vorstadt steht eine wundervoll gewachsene, wohl mehr denn 200 Jahre alte Linde einsam auf freiem Felde hart an einer noch heute ungepflasterten Strasse. Diese trägt im Volksmunde den Namen „Armer Sünderweg“; führte er doch von der Stadt aus in ca. 10 Minuten nach der Hochgerichtsstätte, auf welcher in früherer Zeit die Verbrecher am Galgen aufgeknüpft, im letzten Jahrhundert jedoch bis zum Jahre 1845 durch „Köpfen“ hingerichtet wurden. Die Hinrichtungsstätte, die auch jetzt noch den Namen Galgenberg trägt, befand sich auf einer Anhöhe. Sollte eine Hinrichtung stattfinden, so wurde tags- zuvor ein ca. 3 m hohes Gerüst mit Plattform hergerichtet und auf diese der Richtblock, ein mit Halsausschnitt und Vorrichtung zum Anschnallen der Arme versehener Holzklotz gestellt. Die Hinrichtung fand öffentlich in der Frühe des Tages statt. Nach vielen Tausenden zählten die Zuschauer, die aus der Umgegend, besonders aus Berlin herbeizukommen pflegten. Schon am Tage vor der Hinrichtung strömte das Volk herbei, lagerte, soweit es Unterkunft in Spandau nicht gefunden, am Fusse des Galgenberges.
In Spandau entwickelte sich der reine Jahrmarkstrubel; die Strassen wurden selbst in der Nacht von Durchziehenden nicht leer; alles, alles zog eilig zu Fuss, Ross oder Wagen zur Richtstätte hinaus, um von einem möglichst günstigen Platze aus dem schauerlichen Schauspiel des Köpfens, das durch den Scharfrichter mit dem Beil erfolgte, zuschauen zu können.
Durch Kabinettsordre vom 24. April 1841 war bestimmt, dass in Spandau auch die zum Tode verurteilten Verbrecher Berlins und Potsdams hingerichtet wurden.
Die Verbrecher, welche im ehemaligen alten Potsdamer Thor, falls sie aus Berlin oder Potsdam nach hier kamen, untergebracht waren, wurden mittels des Schinderkarrens mit Tagesanbruch zur Richtstätte gefahren. Von jener Linde aus (die unser Bild zeigt) konnten die Missethäter die Stätte erblicken, auf der sie in wenigen Minuten ins Jenseits befördert werden sollten. Gewiss mag beim Anblick der grausigen Stätte manchem Verbrecher ein schwerer Seufzer entflohen sein, so wenigstens glaubte das Volk, und darum gab man der Linde den Namen, „Seufzerlinde“.
Dass jedoch auch Verbrecher leicht aus diesem Leben schieden, das beweist unter anderen ein gewisser Markendorf aus Berlin, der sich, als er auf den Klotz gelegt werden sollte, seines Halstuches entledigte und mit diesem dem Volke Abschiedsgrüsse zuwinkte.
Ein anderer Verbrecher, der Bürgermeister v. Storkow-Tschech, der am 26. Juli 1841 in Berlin auf den König Friedrich Wilhelm IV. einen Mordversuch machte und deshalb in Spandau am 14. Dezember desselben Jahres hingerichtet wurde, versuchte noch, schon unter den Händen der Gehilfen des Scharfrichters, an das Volk eine Ansprache zu richten. Trommelwirbel der um das Schafott aufgestellten Soldaten hinderten ihn jedoch daran.
Der Galgenberg ist in den siebziger Jahren abgetragen worden, die Seufzerlinde jedoch scheint berufen zu sein, nachwachsenden Geschlechtern
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