278 Gr. Sello, Der Rolund zu Perleberg und andere milrkisclie Rolande.
Nachdem Rietschel die Auflassung der norddeutschen IJumanisten- kreise von den Rolandbildern als unvolksmässige, histoi’isch wertlose gelehrte Hypothesen charakterisiert, fährt er fort (S. 466): „Wo wir aber in diesen Kreisen auf eine etwas schlichtere Auffassung stossen, so ist es die, dass die Rolande Gerichtsbilder sind. Und genau derselben Anschauung begegnen wir im Volke.*) Glaubt man wirklich, die biederen Bürger der ostfälischen und brandenburgischen Kleinstädte**), die in den letzten Jahrhunderten des Mittelalters und in der beginnenden Neuzeit ihre Rolande errichteten, hätten auf den Gedanken kommen sollen, ihr Nest sei von Kaiser Karl mit besonders hohen Freiheiten begabt worden? Oder glaubt man, die Landesherren hätten in den abhängigen Landstädtchen diese Bilder so ruhig zugelassen, wenn damit die Vorstellung einer besondern Stadtfreiheit verbunden war? Nein, man hat sie einfach als das aufgefasst, worauf ihr ganzer Typus hindeutete, als Sinnbilder der hohen Gerichtsbarkeit; die Jahreszahl 1546 beispielsweise, die der Roland von Perleberg trägt, die Zahl des Jahres, in dem das Landgericht der Priegnitz eingerichtet wurde, spricht eine deutliche Sprache.“
Die ältere märkische Rolandliteratur hat fast geschlossen inneren Zusammenhang zwischen Errichtung des Roland zu Perleberg und des Landgerichtes dort angenommen,ebensoZöpfl undBeringuiersRolandsbuch; ich ebenfalls habe ihn, die Verantwortung für die Richtigkeit der tatsächlichen Unterlagen jenen Gewährsmännern überlassend, gelegentlich als im Bereich der Möglichkeit liegend erwähnt***), da er die Errichtung eines Roland in einem so späten Jahre und an einem nicht zum Rolandsgebiete gehörigen Orte scheinbar passend erklärte.
Da nun aber Rietschel diesem Zusammenhänge von Bild und Gericht so besonderes Gewicht beilegt, war es geboten, den Sachverhalt voraussetzungslos aufs neue nachzuprüfen, und das Bildwerk selbst, welches als freie Schöpfung nachmittelalterlicher Kunst bis dahin kein formales Interesse zu gewähren schien, genauer zu betrachten. Alsbald ergab sich, dass die bisherigen Mitteilungen über dasselbe nicht bloss
*) Beide Behauptungen sind irrig; der Nachweis dafür würde hier zu weit führen.
**) Von den märkischen Kleinstädten wird Landsberg a, W. als Rolandort auszuscheiden haben. Der dortige, von Leuthinger zweimal (1593, 1597) erwähnte Roland war jedenfalls nur Dekorationsfigur auf dem 1561 errichteten „angenehmen“ Marktbrunnen (vgl. van Niessen in Mittlgn. hrg. von d. Verein f. d. Gesch. d. Neumark, 1891, S. 22), ebenso wie der gleichfalls von Leuthinger entdeckte Hildesheimer sog. Roland auf dem dortigen Marktbrunnen. Die Ostgrenze des brandenburgischen Rolandgebietes wird dadurch enger und bestimmter.
***) „Der Roland zu Bremen“, 1901, S. 49, Anm. 14: „die dortige Statue mag aber erst 1546 im Zusammenhang mit der Errichtung des Landgerichts daselbst aufgestellt sein“.