Heft 
(1903) 12
Seite
286
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286 G. Sello, der Roland zu Perleberg und andere märkische Rolande.

im rechten Arm. So wurde zwar derEulenspiegel-Typus aufgegeben, das charakteristische Spiegelmotiv ist aber dennoch nicht verloren ge­gangen: an der Vorderseite des Pfeilers zwischen den Beinen Rolands ist ein Affe mit Spiegel angebracht. Auch die dem Dudelsackträger fehlende Schellenkappe der Magdeburger Skulptur finden wir an einem weiteren Narrenbilde am unteren rückwärtigen Ende des Stützpfeilers wieder, welches knieend gerade von vorn gesehen dargestellt ist, wie es mit beiden Händen sich den Mund aufreisst und die Zunge heraus­steckt.

Nur dem Magdeburger und dem Stendaler Roland sind diese selb­ständigen Skulpturbeigaben satyrischer Art eigen. Schon das führt zur Annahme formeller Verwandtschaft zwischen ihnen. Fester begründet wird dieselbe dadurch, dass die Stendaler Skulptur durch Vervielfältigung des ursprünglich einen Bildes und durch die Vergröberung der Auf­fassung sich als übertreibende Nachahmung desselben zu erkennen gibt. Der bildnerische Grundgedanke der Magdeburger Neben-Skulptur war die Darstellung einer musizierenden Figur; demselben Ur-Motiv, nur in anderer Gewandung und lediglich dekorativer Verwendung, begegnen wir am Bremer Roland, und in besser erhaltener Ausführung an dem Zerbster, in der Gestalt des lauteschlagenden Engels am Gürtelschloss dieser Standbilder. Ausserdem besass der Bremer Roland aber auch einst ein satirisches Attribut: das Rundgemälde auf seinem Mantel, welches sein der Tiersage und Fabel von Löwe, Wolf und Fuchs, die ihre Jagdbeute teilen, entnommenes Thema:Macht geht vor Recht mit der ironischen Beischrift versah:Enem jeden dat sine. Die Ent­stehung dieses Gemäldes ist an sich ganz unverfänglich-dekorativ. Die Ornamention der Prunkmäntel der hohen Geistlichkeit und der Fürsten im früheren Mittelalter bestand so gut wie ausschliesslich in symmetrisch sich wiederholenden Stickereien, welche in Medaillonform stilisiertes Blattwerk oder phantastische Tiergestalten zeigten. Mit solchem Schmuck war auch ursprünglich der Fürsten- oder Königsmantel des Bremer Roland bemalt. Darunter muss sich die Darstellung eines Tierkampfes befunden haben, ähnlich wie auf dem berühmten, in Sicilien gestickten Krönungsmantel der alten deutschen Kaiser in Wien. Diese, der bischöf­lichen Dingstätte unter dem Laubengange des Rathauses zugekehrte Malerei erregte aus irgend einem Grunde die besondere Aufmerksamkeit der Vorübergehenden; der Volkswitz deutete sie auf die bekannte Tier­sage um. Die satyrisclie Auslegung wurzelte so fest, dass, als 1404 der Roland, nachdem er 38 Jahre in Asche gelegen hatte, wiedererstand, man zwar den längst altmodisch gewordenen Stickerei-Schmuck des ganzen Mantels fortliess, den Tierstreit aber ohne künstlerische Motivierung nur um seiner neuen Bedeutung willen als selbständige Beigabe mit der nun erst hinzukommenden Beischrift erneuerte.