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Sehen wir uns den Gesamtfriedhof genauer an, so finden wir überall noch besondere Zeichen dieser Treue und Sorgfalt. Nach Westen zu konuten uoch deutliche Spuren einer Kirchhofsmauer festgestellt werden. Hier lagen große, sorgfältig behauene Steine dicht neben einander und schlossen das Gelände gegen das andere Land ab. An den anderen Seiten fehlte dieser Abschluß, da hier aber schon vor Jahren Kies abgefahren ist, so mag schon manches dabei zerstört worden sein. Die neben dieser nach Norden zu gerichtete Seite war in einem ziemlich erheblichen Umfang mit großen flachen Steinplatten gepflastert. Daß hier der ganze Befund auch daraus schließen ließ, daß die Urne in einem Gewölbe gestanden habe, wird aus dem Einzelbericht zu ersehen sein. Jedenfalls zeugen alle diese Einzelheiten von einer besonderen Sorgfalt, die bei der Bestattung zur Anwendung kam und wenn die Gräber sich so überaus arm an Beigaben erweisen, wie das dieser ganzen Zeit eigentümlich ist, so kann das jedenfalls nicht seinen Grund in Gleichgültigkeit und Lieblosigkeit der Angehörigen gehabt haben. Hier können uns unbekannte Ursachen, vielleicht veränderte religiöse Vorstellungen mitgesprochen haben. Die einzige Beigabe, die bisher festgestellt ist, ein einfacher Bronzering, ist nicht in einer Urne, sondern darunter in der Branderde gefunden. Wie sorgfältig das Gebein der Toten nach ihrer Verbrennung gesammelt worden ist, zeigt der Inhalt der Urnen. Immer wird man in ihnen, wenn sie so erhalten sind, daß es sich feststellen läßt, eine genaue Reihenfolge innegehalten sehen. Zuoberst liegen die Knochen der Hirnschale, die Zähne, es folgen Schlüsselbein, Armknochen, Rippen und schließlich finden sich zuletzt die derben Bein- und Hüftknochen. Man wird sich den Vorgang so denken dürfen, daß nach erfolgter Verbrennung entweder die Angehörigen oder vielleicht solche, die immer mit diesem Amt betraut waren, in die im Arm gehaltene Urne, vom Fußende anfangend sorgfältig die Knochenreste, die dem Feuer widerstanden hatten, einsammelten. Fast immer sind in dieser Zeit die Gefäße mit einer Schale bedeckt gewesen. Vielleicht war nun zunächst an der Stelle, an der die Urne beigesetzt werden sollte, ein Opferfeuer entzündet. Mancherlei spricht für diese Annahme. Die schwarze Branderde, in die die meisten Urnen gestellt sind, ist so eins mit der Erdart der nächsten Umgebung — Kies, wo diese kiesig ist, Sand, wo sie sandig ist, — daß man sie nicht für einen lediglich hineingeschütteten fremden Bestandteil zu halten vermag. Daneben ist sie so fett und schwer, daß nicht nur ein einfaches Feuer hier gebranuk haben mag. Es ist das wahrscheinlichste, daß hier Tiere zu Asche gebrannt sind, wohl Opfer, die dem Wanderer in das andere Licht dort einen freundlichen Empfang bereiten sollten. In diese noch warme, fette Aschenglut wurde das Gefäß, das die letzten Ueberreste des teuren Verstorbenen enthielt, hineingestellt. Sind doch viele dieser Urnen unten tiefschwarz gefärbt, als seien sie dem Feuer ausgesetzt gewesen. Dann wurde das Gefäß meist mit kleinen Steinen gestützt, sodaß es nicht umzufallen vermochte und nun wurde, jedenfalls bei einzelnen Gräbern, ein künstliches Gewölbe von Steinen errichtet. Dann wurde Erde darüber geschüttet und ein Malstdin aufgerichtet.
Diese Dinge erzählt uns der Friedhof vom Leipziger Berge. Aber es sei an dieser Stelle nicht verschwiegen, daß solche Dinge sich nur der sorgfältigsten und treuesten Beobachtung offenbaren. Die kleinste Scherbe, der winzigste Knochensplitter sind nicht bedeutungslos in diesen Zusammenhängen. Es soll daher jede unberufene Hand fern bleiben von den Heiligtümern unserer Vergangenheit. Nicht darauf kommt es an, hier und da eine Urne zu finden und aufzu- stellen, sondern darauf, daß unsere Vergangenheit, ehrwürdige Sitten und Bräuche alter Zeit, mit der wir letzten Endes noch viel mehr verknüpft sind, als wir ahnen, wieder vor uns erstehe, daß das Bild unserer alten, versunkenen Kultur wieder Gemeingut unseres Volkes werde. Darum sei jeder Fund an die dafür zuständige Stelle gemeldet. Nur indem Stück an Stück sich wieder aneinanderfügt, kann das große Gesamtbild, auf das wir hinarbeiten, gewonnen werden.
Zuletzt aber erzählt unser Friedhof vom Leipziger Berge uns noch ein anderes. Wie weit geht von dem Hange aus, an dem er liegt, der Blick ins Land. Nicht