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auzunehmen wie die Auffassung, unsere Haustiere seien früher grösser gewesen. Im Gegenteil nimmt man hier an, daß sich unsere Rinder- und Pferderassen durch günstige biologische und hygienische Lebensbedingungen und planmäßige Zucht aus den unscheinbaren Haustieren der alten Völker zu ihrer heutigen Stattlich- keit entwickelt haben.
Wer in Italien war oder in Konstantinopel oder in der Levante, wird Wohl die durchschnittliche geringere Größe der Levantiner, der Italiener, bemerkt haben. Wie der Nordländer ganz allgemein größer ist als der Südländer.
Das war es, was den Römern im Jahre 113 vor Christi Geburt zuerst anffiel, als die um einen Kopf höheren blonden Fremden, wütend über römischen Verrat, in^ wilden: Ansturm die Legionen des Römerkonsuls Papirius Carbo über den Haufen rannten. Das war in der grimmigen Alpenschlacht bei Noreja. Und seitdem ging die bekannte Darstellung von der germanischen Hünenhaftigkeit durch die lateinische Literatur. Die rücksichtslose Tapferkeit, die gleichgültige Todesverachtung der Cimbern und die furchtbaren Niederlagen der römischen Legionen, die sich von 113—102 Schlag auf Schlag folgten, trugen erst recht dazu bei, die überlegene Größe der Germanen in das schreckhaft Riesige zu steigern.
Es ist derselbe Vorgang, wie wir ihn viel früher bei den Griechen beobachtein die die Größe ihrer Siege über die Perser, also die Siege des losen Volksheeres über das wohldisziplinierte stehende Heer, des freien Mannes über den persischen Söldner nicht anders auszudrücken wußten als durch Uebertreibung der Perserzahlen ins Unermeßliche.
Weiter müssen wir zur Erklärung der Größenunterschiede zwischen Deutschen und Römern annehmen, daß ja nur bestimmte Teile germanischer Stämme aus- wanderten, und zwar vermutlich die kampffähigsten und körperlich leistungsfähigsten Männer, die also sicher nicht die kleinsten ihres Volkes waren. Endlich dürfen wir nicht vergessen, daß zur Auswanderung vor allem die nordischen Stämme, also die ohnehin schon größten der Germanen, gezwungen wurden (z. B. die Cimbern aus Jütland), weil der nordische Boden nach Klima und Fruchtbarkeit nicht so ertragreich sein konnte, als der wärmere Süden, also auch eher zur relativen Ueberbevölkerung Anlaß gab, sobald das Volk sich erheblich vermehrte.
Bei dem ersten Zusammenprall der kleinen Römer mit diesen besonders großen Nordgermanen wurde selbstredend die Kontrastwirkung ungemein auffällig, sodaß die Römer seitdem die Germanen stets als Hünen zu schildern sich gewöhnten. Außerdem entschuldigte das ihre Niederlagen und erhöhte den Eindruck römischer Siege.
In der Einleitung oben war der Größennnterschied zwischen heutigen Deutschen und Italienern gestreift worden. Ebenso auffällig ist der Unterschied wiederum zwischen Deutschen und Engländern oder gar Norwegern. Letztere gelten überhaupt als die größten Menschen. Stellen wir uns im Geiste jetzt einen Italiener und einen Norweger nebeneinander, so haben wir sofort das Verhältnis von Römern zu den Cimbern.
Wir sehen daraus, es ist sehr wohl möglich, daß unsere heutigen deutschen Stämme die gleiche Durchschnittsgröße haben wie die alten germanischen Völker. Jedenfalls wird von einer außergewöhnlichen Größe der Markomannen, oder sonstiger südlicher wohnenden Germanen nicht mehr berichtet, wenigstens nicht so wie von den Cimbern. Wir werden also durchaus annehmen dürfen, daß die germanischen Stämme auch damals um so größer von Gestalt waren, je weiter im Norden sie wohnten und umgekehrt.
Soweit unsere theoretischen Erwägungen. Nun hat inan, wie erwähnt, vereinzelt Skelette unverbrannter Leichen gefunden und zwar hauptsächlich im Norden, Jütland z. B. und andern Orten. Es sind das Beisetzungen in sogen. Baumsärgen, d. h. gehöhlten Baumstämmen, die als Särge verwendet worden sind und die Leichen so gut konserviert haben, daß sogar die Stoffe und Muster