Heft 
(1928) 1
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Der Wahrheitsgehalt der Legende

Die Darstellung der Legende mit ihren Berichten von Wundern

und Offenbarungen ist schon sehr früh in Zweifel gezogen worden. In der Tat kann auch durchaus bestritten werden, ob sich die Geschehnisse in allen Einzelheiten so zu­getragen haben, wie sie uns überliefert sind. Vielleicht sind auch dem Kloster Heiligengrabe schon im Mittelalter die Vorwürfe, die man anderen Klöstern machte, nicht erspart geblieben, die eigentliche und wahre Ursache seiner Entstehung sei nicht irgend ein Wunder, sondern einzig und allein die Habsucht der Geistlichkeit. Garcäus, ein Geschichtsschreiber des Reformationsjahrhunderts, enthält sich eines eigenen Urteils und schließt seine Darstellung der Gründung des Klosters mit dem Satze, davon könne nun jeder halten, was er wolle.

Im 18. Jahrhundert fand man unter der Herrschaft der Aufklärung wieder schärfere Worte und erklärte die Legende für eine abgeschmackte Fabel. Für alles suchte und fand man eine natürliche und vernünftige Erklärung. Man führte die Tat des Juden darauf zurück, daß ihn die silberne Monstranz zum Diebstahl verleitet habe. Man meinte, wenn seine Hände mit Blut gezeichnet gewesen seien, so habe das seinen Grund nicht in einem göttlichen Wunder, sondern allein darin, daß er sich beim Einbruch in die Kirche die Finger an einer zerschlagenen Scheibe ausgeschnitten habe. Was auf solche Weise nicht zu erklären war, galt für offenbaren Unsinn, der nur aus dem Aberglauben eines finsteren Zeitalters verständlich war. Er allein ermöglichte auch nach der Meinung der Aufklärung die Ausbeutung des Volkes durch eine gewinnsüchtige Geistlichkeit. Ihr ganzes Treiben erschien aber verabscheuungswürdig und verwerflich, da sie das Volk um des eigenen Vorteils willen in Dummheit und Aberglauben ließ, statt es aufzuklären. So beginnt Johann Christoph Hey in seiner 1735 angesertigten Beschreibung der Stadt Pritzwalk" den Abschnitt über das Kloster Heilgengrabe mit den Worten:Es ist eine merckwürdige Rede, welche ein gewißer Domherr zu Würtzburg von sich hören