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laßen, da er sagte: Wenn Lutherus nicht gekommen wäre, so hätten sie die Leute überreden wollen, daß sie Heu gefreßen hätten. Welche Rede wir gewiß wohl verstehen können, wenn wir nur allein betrachten, was in Ansehung der benachbarten Stadt Wilsnack, des Closters Heiligen Grabe und des Dorfes Alten Krüßo vor diesem im Pabstthum vorgegangen, und wie nicht allein die Chur Marck Brandenburg, sondern auch fast gantz Luropa die von den Papistischen Pfaffen erdichtete Wunder- wercke geglaubet und solche mit erstaunenswürdigen Wallfahrten verehret hat!" Aber damit nun niemand meine, er halte die Legende für wahr, erklärt er, ehe er sie überhaupt mitteilt, sie gelte ihm für eine abgeschmackte Fabel.
Unsere Stellung ist eine ganz andere geworden. Wir lassen der alten Legende wieder mehr Gerechtigkeit widerfahren. Wir sind weit davon entfernt, sie in allen Einzelheiten für wahr zu halten. Auch uns erscheint so mancher Zug als legendarisches Beiwerk. Wie könnte das auch anders sein, da mehr als 200 Jahre zwischen der Gründung des Klosters und dem Jahr des Druckes liegen! Aber es geht keineswegs an, alles an der Legende als sagenhaft und erdichtet abzulehnen. Mag manches auch entstellt sein, so wird anderes ein Stück Wahrheit enthalten, und das gilt es zu suchen und zu finden.
Das Entscheidende an der Legende ist der Bericht, das Kloster sei an einem Orte begründet worden, der eine gewisse Rolle als Wallfahrtsort gespielt habe. Heilungen und Wunder, die durch eine von Juden mißhandelte Hostie bewirkt sein sollen, haben den Anlaß zu den Wallfahrten gegeben. Was ist daran Wahrheit?
Der Hostiendiebstahl des Juden braucht keineswegs so ohne weiteres in das Gebiet der Fabel verwiesen zu werden. Er ist durchaus nicht völlig unmöglich. Das gilt noch weit mehr von den Heilungen, die bis in die Gegenwart so viel Entsprechendes haben, daß an ihnen nicht gezweifelt zu werden braucht. Anders liegt es bei der Frage nach dem Wunder- blut. Jene Zeit weist nämlich mehr als eine Wunderblutsage auf: 1247 Beelitz, 1249 Zehdenick, 1338 Wilsnack. Aber alle diese Sagen zeigen verschiedene Ursachen für die Entstehung des Wunderblutes, wenn sie auch sämtlich auf Mißhandlungen von Hostien zurückgeführt werden. Die Verschiedenheit der in den Sagen berichteten Ursachen beweist, daß man nicht unbe- dingt an eine Abhängigkeit der Sagen untereinander zu denken braucht. Sie können durchaus unabhängig voneinander entstanden sein. Das Hostienblut ist uns völlig kein „Wunder" mehr