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gehören zunächst die Berichte von übernatürlichen Wundern, also etwa das Gesicht des Bischofs von Havelberg, die zweimalige Verwandlung der Speisen auf der markgräflichen Tafel in Blut, das Gesicht des Markgrafen u. a. Sie alle sollen nur beweisen, daß es tatsächlich, wie die Legende sagt, „vom Anbeginn der Welt an geordnet und ausersehen sei, daß ein Jungfrauenkloster an dem Orte stehen solle."
Am meisten scheint der letzte Teil durch allerlei Beiwerk entstellt zu sein. Neben den Wundergeschichten stehen zweifellos sagenhafte Berichte, die unter anderem auch in der Gründungssage des Klosters Lehnin Vorkommen. Dort wird ebenfalls berichtet, daß der Markgraf ein Kloster habe bauen wollen, während seine Räte ihn zu überzeugen suchten, es sei besser, statt dessen ein Schloß zu bauen. Es sei daran erinnert, daß Lehnin das Familienkloster der jüngeren askanischen Linie war, auf die auch die Gründung von Heiligengrabe zurückgeht. Wir finden auch sonst noch Gemeinsames in den Ueberlieferungen der beiden Klöster. So zeigte man im Dachboden der Lehniner Klosterkirche Stücke jenes Baumes, unter dem Otto I. seinen Traum gehabt haben soll, während im Dachboden der Heiligen- graber Kapelle das Holz des Galgens eingebaut war, unter dem nach der Legende der Jude die gestohlene Hostie vergrub.
Es ist ferner nicht ganz ausgeschlossen, daß einige Züge auch biblischen Berichten entlehnt sind. Dazu wäre zu rechnen jene eigenartige Mitteilung, daß der Jude die zerriebene Hostie mitten zwischen einem Rade und einem Galgen vergraben habe. An dem Galgen hing der Leichnam eines Verbrechers, und auf das Rad war der Körper eines Geräderten geflochten. Wurde der Heiland nicht einst zwischen zwei Uebeltätern gekreuzigt? Hatte er nicht je einen Schächer zur Rechten und zur Linken?
Die erste und einzige ausdrücklich genannte Krankenheilung, die am Orte des Wunders geschah, war die Heilung einer besessenen Frau. Wie die ersten drei Evangelien berichten, machen gerade die Heilungen Besessener die ersten Wundertaten des Heilandes aus.
Wenn wir nun die Frage stellen, ob die Legende Dichtung oder Wahrheit sei, so müssen wir sagen, daß sie beides ist, daß sie neben allerlei legendarischen und sagenhaften Bestandteilen auch zweifellos viel Wahres und Geschichtliches enthält. Ja, sie entspricht in ihrem wesentlichen Gehalt durchaus den Tatsachen. Das Kloster ist an einem Orte begründet worden, der wegen eines von ihm berichteten Wunders eine