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der indogermanischen Wurzel Plek — flechten. Es hat sich über althochdeutsch flahs, mittelhochdeutsch vlahs bis auf unsere Tage unverändert erhalten, plattdeutsch Maß, angelsächsisch fleax. Bodenfunde beweisen, daß schon lange vor der Römerzeit, ja, schon im Neolithikum, der Flachs in germanischen Landen angebaut wurde. Man findet Spinnwirtel, Webegewichte, Leinsamen in ausgegrabenen Pfahlbausiedlungen. Es muß ein Wendepunkt in der Kultur des Vormenschen gewesen sein, als es ihm gelang, aus der Leinpflanze Gewebe herzustellen. Der Flachs wurde wichtiges Kulturgut, sein Anbau besonders betrieben.
Durch das ehrwürdige Alter der Gespinstpflanze und das Erkennen des wirtschaftlichen Vorteils und der behaglicheren Lebensweise durch die Gewebeanwendung wurde die gesamte Kultur des Flachses (Saat, Ernte, Verarbeitung) in den Jahreskreis des Brauchtums ausgenommen. Eine Reihe von Sprichwörtern über die Flachskultur, beginnend in der vor- und nachweihnachtlichen Spinnstube über Fastnacht und Lichtmeß bis zur Aussaat, lehren uns noch gegenwärtig im volkskundlichen Glauben die Abhängigkeit des Menschen von natürlichen und göttlichen Kräften. Die Verflechtung mit dem Brauchtum zeigt uns, wie diese kulturelle Errungenschaft den germanischdeutschen Bauern auch innerlich bewegte. In dankbarer Erkenntnis für die gefundene neue Lebensgestaltung suchte der gläubige Ackerbauer der Vorzeit auf seine Art die Verbundenheit des Menschenschicksals mit der allwaltenden und die Abhängigkeit von der gewaltigen Gottesnatur auszndrücken. Dies tat er, indem er uralte, geheiligte göttliche Zeichen auf den Geräten anbrachte, die zur Flachsverarbeitung gebraucht wurden. Er sah sich wohl umsomehr dazu veranlaßt, als er in dem sich drehenden Spinnwirtel, später -Rad, symbolisch die ewige Drehung des Jahreslaufes erlebte. Solche Zeichen und Verzierungen finden wir heute noch z. B. an Spinnwirteln (der germanischen Vorzeit), an alten Schwingelbretteru, Spinnrockenaufsätzen, Webekämmen, Webstühlen, Mangelbrettern, Ellen und Truhen (Aufbewahrungsort des Linnens). Sie gehen zurück zum Teil weltanschaulich auf das heute noch bestehende, nordisch-germanische „Gesichtskreissonnenjahr", d. h. „auf die Abschnitte des eingestellten Gesichtskreises" (des Horizontes), — zum Teil auf die daraus folgenden „Kalenderzeichen", die zu den Runenreihen führten.
In den alten nordisch-germanischen Runenreihen mit ihren Zeichen bedeutete jeder dieser einzelnen „Buchstaben" ein ganzes Wort, ein Name. Es drücken ursprünglich die einfachen Zeichen verschiedene Werte aus. Jedes in den „Buchenstab" eingeritzte Zeichen bedeutete dem Runenkundigen und Wissenden mehr als