Heft 
(1.1.2019) 03
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Nr. 3/94-Seite 12

PRÄSENTATION

42 Bände Pestalozzi auf einer CD

Das Gesamtwerk des Schwei­zer Pädagogen, Schriftstellers und Sozialreformers Johann Heinrich Pestalozzi (1746- 1827) auf CD-ROM war Ge­genstand einer Präsentation, die am 31. 1. 1994 unter Teil­nahme von ca. 30 Interessen­ten vor allem aus dem Berlin- Brandenburgischen Raum im Senatssaal der Universität Potsdam stattfand. Im An­schluß an diese vom Inhaber des Lehrstuhls Historische Pädagogik, Prof. Dr. Hanno Schmitt, und der Historischen Kommission der Deutschen Gesellschaft für Erziehungs­wissenschaft initiierte Veran­staltung wurden in einem Ex­pertengespräch Perspektiven und mögliche Probleme disku­tiert, die sich aus der verstärk­ten Nutzung elektronischer Datenträger in wissenschaftli­cher Forschung und Lehre er­geben könnten.

Edition entstand in mehr als sechsjähri­ger Arbeit

Die bislang 42 Bände und rund 2400 Seiten umfassende kriti­sche Gesamtausgabe der Werke und Briefe (über 6000) Pesta­lozzis ist seit 1993 auf CD- ROM zugänglich. Diese Edition auf elektronischem Datenträger wurde in mehr als sechsjähriger Arbeit von den Erziehungswis- senschaftlem Prof. Dr. Leon­hard Friedrich (Jena) und Sylvia Springer (Düsseldorf) konzi­piert und bearbeitet. Beide de­monstrierten im Verlauf der zweistündigen Präsentation ein­drucksvoll die vielfältigen Ar­beitsmöglichkeiten, die die Speicherung der Schriften und Briefe des Schweizer Pädago­gen auf einer einzigen CD bie­tet.

Eine Fülle von Zusatz­informationen

Über die vollständige Erfassung und Aufarbeitung der Buchaus­gabe hinaus wurde in der nun vorliegenden CD-ROM Version der Textbestand um eine Fülle von Zusatzinformationen erwei­

tert. Neben Suchfunktionen, die es erlauben, in kürzester Zeit Begriffe oder Begriffskombina­tionen wie etwa die berühmte TriasKopf, Herz und Hand nach Anzahl der Nennungen, Fundorte u. a. m. im Gesamt­werk aufzusuchen und auch gra­phisch darzustellen, ermögli­chen u. a. ausführliche Register zu Personen und geographi­schen Bezeichnungen das ra­sche Abrufen von über den Text hinaus gehenden Informationen. Exemplarisch führten die Bear­beiter am Beispiel des unter ver­schiedenen Vorgaben eingege­benen SuchbegriffsPotsdam vor, welch vielfältige Informa­tionen innerhalb kürzester Zeit zugänglich gemacht werden können: Listen mit den Potsda­mer Subskribenten der Pestaloz­zi-Erstausgabe sowie Hinweise auf Beziehungen der Schweizer Pädagogen zur Stadt und einzel­nen ihrer Bürger waren dabei nur einige Beispiele.

Kein Ersatz für Buch­ausgabe

In das allgemeine Staunen über die sich eröffnenden Dimensio­nen für künftiges wissenschaft­liches Arbeiten mischten sich schon am Ende der Präsentation erste Stimmen, die auch auf eventuelle Probleme hinwiesen, die sich generell aus der zu er­wartenden verstärkten Nut­zung elektronischer Datenträger in Forschung und Lehre ergeben könnten. Dieser Aspekt war auch einer der zentralen Gegen­stände im anschließendenEx­pertengespräch, bei dem Teil­nehmer aus den Bereichen Uni­versität und Bibliothekswesen mit den Bearbeitern sowie Ver­tretern der Herstellerfirma über die Perspektiven CD-ROM ge­stützter Forschungsarbeit in den Geisteswissenschaften disku­tierten.

Darüber, daß die dynamische und multimediale Aufarbeitung von Text auf CD-ROM, die in ihrer Wirkung der Erfindung des Buchdrucks gleichkommt, bislang ungeahnte Möglichkei­ten zur Rationalisierung wissen­

schaftlichen Arbeitens in For­schung und Lehre eröffnet, herrschte allgemeiner Konsens. Dennoch wurde von mehreren Seiten die Befürchtung geäu­ßert, die umfassenden Recher­chemöglichkeiten könnten zu einem oberflächlichen, den Ge­samtzusammenhang vernach­lässigenden Durchsuchen von Texten anhand von Suchbegrif­fen führen. Es bestehe die Ge­fahr, daß das traditionelle Lesen von Texten von einer mechani­schen Benutzung der zur Verfü­gung gestellten Suchfunktionen verdrängt werde. Andererseits eröffne aber z. B. die vollständi­ge Erfassung wichtiger Texte ei­ner Epoche eine vielperspektivi­sche Erforschung der Zeit, die auf traditionellem Wege kaum geleistet werden könne. Dabei müsse aber verhindert werden, daß durch die Auswahl der ein­zulesenden Quellen nur ganz bestimmte Forschungskonjunk­turen und -Schwerpunkte mög­lich werden.

Den genannten Bedenken ver­suchten die Bearbeiter mit dem Hinweis zu begegnen, die CD- Edition sei keinesfalls als Ersatz für die Buchausgabe konzipiert worden, sondern als ein zusätz­liches Hilfsmittel zur Erleichte­rung bestimmter Arbeitsschritte im Forschungsprozeß. Zudem lehre die Erfahrung, daß gerade die über Computer zugängliche Textversion den Benutzer zu breiterem Lesen animiere. Es stehe jedoch außer Frage, daß Gefahren dieser Art bestünden und ein entsprechend geschärf­tes Problembewußtsein für den vernünftigen und effektiven Umgang mit CD-ROM Editio­nen notwendig seien. Unerläß­lich seien daher auch propädeu­tische Veranstaltungen inner­halb der Lehre.

Neue Möglichkeiten für Forschungs- und Lehrtätigkeit

Insgesamt überwogen deutlich die positiven Urteile. Die Chan­ce, Forschungsthesen auf breiter und leichter erschließbarer Quellengrundlage kritisch über­

prüfen und dann liebgewonnene Interpretationen bestätigen oder differenzieren zu können und eventuell neue Forschungsfra­gen zu entwickeln, wurde dabei ebenso gesehen wie die Mög­lichkeit, langfristig auch um­fangreiche und schwer zugäng­liche Buch- und Archivbestände für eine breitere Öffentlichkeit benutzbar zu machen. Resümierend ließ sich festhal- ten, daß die zunehmende Spei­cherung von Quellenmaterial und auch zentraler Sekundärlite­ratur auf CD-ROM bei allen be­rechtigten und zu berücksichti­genden Bedenken künftig in im­mer stärkerem Maße einen we­sentlichen Beitrag zu sinnvoller Forschungs- und Lehrtätigkeit in allen geisteswissenschaftli­chen Disziplinen leisten kann und wird. Weitere Projekte, wie etwa das Einlesen der Diester­weg-Gesamtausgabe im Bereich der erziehungshistorischen For­schung, erschienen auf längere Sicht wünschenswert, um einen möglichst breiten Quellen- und Literaturbestand mit den durch Speicherung auf CD-ROM ge­gebenen Möglichkeiten zu si­chern und zugänglich zu ma­chen. Für die Teilnehmer an Präsentation und Diskussion stand außer Frage, daß die nun vorliegende Edition der Werke Pestalozzis einen wichtigen Meilenstein im Rahmen dieser Entwicklung darstellt.

Problemloser Zugang

Die Möglichkeit, Editionen wie die der Werke Pestalozzis an Terminals in Universitätsbiblio­theken zum Nulltarif nutzen zu können, verspricht zudem, daß die entsprechenden Werke in dieser Form nicht nur einem ex­klusiven Expertenkreis, sondern im Prinzip auch jedem interes­sierten Laien problemlos zu­gänglich sind. Die wünschens­werte Popularisierung von For­schungsgegenständen und v. a. -möglichkeiten und damit die Verbreiterung des Kreises der Teilnehmer am wissenschaftli­chen Diskurs könnte langfristig das Ergebnis dieser Entwick­lung sein. Stefan Spenner