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(1.1.2019) 11
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Nr. 11/94 - Seite 4

INTERVIEW

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1942 geboren in Leicester/ England; 1961-1966 Studi­um Philosophie und Biblio­thekswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin; 1966-1969 wissen­schaftliche Aspirantur; 1969f wissenschaftliche Mit­arbeiterin am Bereich Kultur­wissenschaft an der Hu- moldt-Universität; 1970 Promotion zum Dr. phil.; 1975 Promotion zum Dr. sc. phil. (Habilitation); 1985 Berufung zur Professorin für Kulturtheorie; 1989 Mitbegründerin des Zen­trums interdiziplinäre Frau­enforschung an der Hum­boldt-Universität (ZiF); 1989-1991 wissenschaftli­che Leiterin des ZiF; 1991 Stipendiatin am Centre de Sociologie Europeenne, College de France; Britting- ham Visiting Professor an der University of Wis­consin, Madison, USA; 1993 Forschungsaufenthalt am Five College Women's Studies Research Center, Mount Holyoke College, USA; 1992 bzw. 1993 f Zu­gehörigkeit zum Editorial Board von SIGNS und The European Journal of Women's Studies.

Kleine Schritte auf steinigem Weg

Frauenforschung an der Universität Potsdam

Die Einrichtung von Frauenforschungsprofessuren an deutschen Hochschulen hat Selten­heitswert. Nicht ohne Widerstand, aber letztlich wurde an der Universität Potsdam doch eine C4-Professur für dieses Gebiet installiert. 75 Bewerbungen aus Ost und West lagen dafür vor. Die Berufungskommission setzte Prof. Dr. Irene Dölling (derzeit Humboldt-Universität zu Berlin) auf Platz 1, Minister Enderlein schloß sich der Auffassung der Kommission an. Die Kulturwissenschaftlerin nahm den Ruf an und hofft, im Oktober dieses Jahres die Ernen­nungsurkunde zu erhalten.

Über das Forschungsprofil des am Institut für Soziologie (Wirtschafts- und Sozialwissen­schaftliche Fakultät) angebundenen Lehrstuhls für Frauenforschung unterhielten wir uns mit Prof. Dölling.

Prof. Dr. habil. Irene Dölling Foto: Rüffert

PUZ: Große historische Er­eignisse sehen aus der indivi­duellen Perspektive anders aus als in Medienberichten oder Geschichtsbüchern. Als Mitherausgeberin des Buches Unsere Haut. Tagebücher von Frauen aus dem Herbst 1990 verdeutlichen Sie dies. Wie haben Sie den Umbruch, die Wende aus wissenschaftli­cher Sicht erlebt?

Prof. Dölling: Die Wendezei­ten habe ich sehr ambivalent, bezogen auf Frauenforschung, vor allem positiv erlebt.

Seit Ende der 70er Jahre traf ich mich mit einer Gruppe von Frauen monatlich zu einem Dis­kussionskreis. In ihm ging es, wie wir es damals nannten, um kulturhistorische und kultur­theoretische Aspekte von Ge­schlechterverhältnissen. Unser Anliegen bestand darin, die fe­ministische Diskussion außer­halb der DDR zur Kenntnis zu nehmen, sie als Anregung zum eigenen Nachdenken zu nutzen. Wir fragten nach den Ge­schlechterverhältnissen in der Gesellschaft, in der wir lebten, und wir versuchten, den femini­stischen Blick auf Geschlech­terverhältnisse in Lehre und Forschung zu integrieren. Im Frühjahr 1989 hatten wir das Gefühl, daß die Zeit des Zusam­mentreffens im halbprivaten Rahmen vorbei war. Immer mehr Frauen aus geisteswissen­schaftlichen Zusammenhängen, nicht nur der Humboldt-Univer­sität, sondern auch der Akade­mie und anderer Einrichtungen äußerten Interesse an Mitarbeit. Wir stellten bei der Leitung der

Universität den Antrag zum Aufbau eines Netzwerkes mit dem Ziel, Frauenforschung zu institutionalisieren. Das stieß überraschenderweise auf positi­ven Widerhall. Mit der Wende wurde für kurze Zeit vieles möglich. Wir nutzten diese Chance, unser bereits vorlie­gendes Konzept zur Gründung eines Zentrums für Frauenfor­schung umzusetzen. Anfang 1990 erhielten wir ein eigenes Büro. Im Sommersemester 1990 konnten eine Ringvorle- sung angeboten, Konferenzen druchgeführt, eine Bibliothek aufgebaut, die ersten Nummern des Bulletin veröffentlicht wer­den. Nach einem Jahr war das Zentrum, angegliedert am Fach­bereich Kulturwissenschaft, aus der Universität nicht mehr weg­zudenken. Als wir im Studien­gang Kulturwissenschaft 1990 den Studienplan überarbeiteten, wurden solche Themen wie Ge­schlechterverhältnisse und Frauenforschung als integrale Bestandteile aufgenommen. Nachdem die Neustrukturie­rung der Universität auf der Ta­gesordnung stand, die Struktur-, Personal- und Berufungskom­missionen tagten, hatten wir so­viel Akzeptanz, Wirksamkeit und Öffentlichkeit erreicht, daß die Ausschreibung einer Profes­sur für Frauenforschung in der Kulturwissenschaft beinahe selbstverständlich erfolgte. PUZ: Lange Zeit befaßten Sie sich mit der Spezifik individu­eller Entwicklung. Welche Schwerpunkte wollen Sie in der Frauenforschung an der Potsdamer Hochschule setzen?

Prof. Dölling: Meine wissen­schaftliche Laufbahn begann Ende der 60er Jahre. Damals wurden in der Persönlichkeitstheorie Fragen diskutiert wie: Gibt es eineLeerstelle Individuum im Marxismus? Wie kann in der marxistischen Theorie das Indi­viduum angemessen berück­sichtigt werden? Diese Fragen haben sich für mich schon in den 70er Jahren ausdifferen­ziert, nicht zuletzt unter dem Aspekt, daß Probleme individu­eller Entwicklung nichtge­schlechtsneutral erforscht wer­den können. An meine Arbeiten zu kulturtheoretischen und so­ziologischen Aspekten von Ge­schlechterverhältnissen will ich in meiner Tätigkeit an der Univer­sität Potsdam anknüpfen. Ne­ben dem Aufbau eines interdis­ziplinären Netzwerkes von Wis- senschaftlerinnen und Studen­tinnen, die an Frauenforschung interessiert sind, liegt mein For­schungsinteresse derzeit insbe­sondere bei den Veränderungen, die der Alltag von Frauen in den neuen Ländern im Zuge der ge­sellschaftlichen Transformatio­nen erfährt. Diese Transforma­tionen aus individueller und ge­schlechtsdifferenzierter Per­spektive zu untersuchen, halte ich für spannend. Durch die An­bindung einer Gruppe von Wis- senschaftlerinnen an den Lehr­stuhl Frauenforschung, die über WIP-HEP an der Universität Potsdam sind und die in einer ähnliche Richtung forschen, sind m. E. gute Voraussetzun­gen für die Realisierung dieses Projektes gegeben.

PUZ: Welche besonderen