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INTERVIEW
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1942 geboren in Leicester/ England; 1961-1966 Studium Philosophie und Bibliothekswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin; 1966-1969 wissenschaftliche Aspirantur; 1969f wissenschaftliche Mitarbeiterin am Bereich Kulturwissenschaft an der Hu- moldt-Universität; 1970 Promotion zum Dr. phil.; 1975 Promotion zum Dr. sc. phil. (Habilitation); 1985 Berufung zur Professorin für Kulturtheorie; 1989 Mitbegründerin des Zentrums interdiziplinäre Frauenforschung an der Humboldt-Universität (ZiF); 1989-1991 wissenschaftliche Leiterin des ZiF; 1991 Stipendiatin am Centre de Sociologie Europeenne, College de France; Britting- ham Visiting Professor an der University of Wisconsin, Madison, USA; 1993 Forschungsaufenthalt am Five College Women's Studies Research Center, Mount Holyoke College, USA; 1992 bzw. 1993 f Zugehörigkeit zum Editorial Board von SIGNS und The European Journal of Women's Studies.
Kleine Schritte auf steinigem Weg
Frauenforschung an der Universität Potsdam
Die Einrichtung von Frauenforschungsprofessuren an deutschen Hochschulen hat Seltenheitswert. Nicht ohne Widerstand, aber letztlich wurde an der Universität Potsdam doch eine C4-Professur für dieses Gebiet installiert. 75 Bewerbungen aus Ost und West lagen dafür vor. Die Berufungskommission setzte Prof. Dr. Irene Dölling (derzeit Humboldt-Universität zu Berlin) auf Platz 1, Minister Enderlein schloß sich der Auffassung der Kommission an. Die Kulturwissenschaftlerin nahm den Ruf an und hofft, im Oktober dieses Jahres die Ernennungsurkunde zu erhalten.
Über das Forschungsprofil des am Institut für Soziologie (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultät) angebundenen Lehrstuhls für Frauenforschung unterhielten wir uns mit Prof. Dölling.
Prof. Dr. habil. Irene Dölling Foto: Rüffert
PUZ: Große historische Ereignisse sehen aus der individuellen Perspektive anders aus als in Medienberichten oder Geschichtsbüchern. Als Mitherausgeberin des Buches „Unsere Haut. Tagebücher von Frauen aus dem Herbst 1990“ verdeutlichen Sie dies. Wie haben Sie den Umbruch, die Wende aus wissenschaftlicher Sicht erlebt?
Prof. Dölling: Die Wendezeiten habe ich sehr ambivalent, bezogen auf Frauenforschung, vor allem positiv erlebt.
Seit Ende der 70er Jahre traf ich mich mit einer Gruppe von Frauen monatlich zu einem Diskussionskreis. In ihm ging es, wie wir es damals nannten, um kulturhistorische und kulturtheoretische Aspekte von Geschlechterverhältnissen. Unser Anliegen bestand darin, die feministische Diskussion außerhalb der DDR zur Kenntnis zu nehmen, sie als Anregung zum eigenen Nachdenken zu nutzen. Wir fragten nach den Geschlechterverhältnissen in der Gesellschaft, in der wir lebten, und wir versuchten, den feministischen Blick auf Geschlechterverhältnisse in Lehre und Forschung zu integrieren. Im Frühjahr 1989 hatten wir das Gefühl, daß die Zeit des Zusammentreffens im halbprivaten Rahmen vorbei war. Immer mehr Frauen aus geisteswissenschaftlichen Zusammenhängen, nicht nur der Humboldt-Universität, sondern auch der Akademie und anderer Einrichtungen äußerten Interesse an Mitarbeit. Wir stellten bei der Leitung der
Universität den Antrag zum Aufbau eines Netzwerkes mit dem Ziel, Frauenforschung zu institutionalisieren. Das stieß überraschenderweise auf positiven Widerhall. Mit der Wende wurde für kurze Zeit vieles möglich. Wir nutzten diese Chance, unser bereits vorliegendes Konzept zur Gründung eines Zentrums für Frauenforschung umzusetzen. Anfang 1990 erhielten wir ein eigenes Büro. Im Sommersemester 1990 konnten eine Ringvorle- sung angeboten, Konferenzen druchgeführt, eine Bibliothek aufgebaut, die ersten Nummern des Bulletin veröffentlicht werden. Nach einem Jahr war das Zentrum, angegliedert am Fachbereich Kulturwissenschaft, aus der Universität nicht mehr wegzudenken. Als wir im Studiengang Kulturwissenschaft 1990 den Studienplan überarbeiteten, wurden solche Themen wie Geschlechterverhältnisse und Frauenforschung als integrale Bestandteile aufgenommen. Nachdem die Neustrukturierung der Universität auf der Tagesordnung stand, die Struktur-, Personal- und Berufungskommissionen tagten, hatten wir soviel Akzeptanz, Wirksamkeit und Öffentlichkeit erreicht, daß die Ausschreibung einer Professur für Frauenforschung in der Kulturwissenschaft beinahe selbstverständlich erfolgte. PUZ: Lange Zeit befaßten Sie sich mit der Spezifik individueller Entwicklung. Welche Schwerpunkte wollen Sie in der Frauenforschung an der Potsdamer Hochschule setzen?
Prof. Dölling: Meine wissenschaftliche Laufbahn begann Ende der 60er Jahre. Damals wurden in der Persönlichkeitstheorie Fragen diskutiert wie: Gibt es eine „Leerstelle Individuum“ im Marxismus? Wie kann in der marxistischen Theorie das Individuum angemessen berücksichtigt werden? Diese Fragen haben sich für mich schon in den 70er Jahren ausdifferenziert, nicht zuletzt unter dem Aspekt, daß Probleme individueller Entwicklung nicht „geschlechtsneutral“ erforscht werden können. An meine Arbeiten zu kulturtheoretischen und soziologischen Aspekten von Geschlechterverhältnissen will ich in meiner Tätigkeit an der Universität Potsdam anknüpfen. Neben dem Aufbau eines interdisziplinären Netzwerkes von Wis- senschaftlerinnen und Studentinnen, die an Frauenforschung interessiert sind, liegt mein Forschungsinteresse derzeit insbesondere bei den Veränderungen, die der Alltag von Frauen in den neuen Ländern im Zuge der gesellschaftlichen Transformationen erfährt. Diese Transformationen aus individueller und geschlechtsdifferenzierter Perspektive zu untersuchen, halte ich für spannend. Durch die Anbindung einer Gruppe von Wis- senschaftlerinnen an den Lehrstuhl Frauenforschung, die über WIP-HEP an der Universität Potsdam sind und die in einer ähnliche Richtung forschen, sind m. E. gute Voraussetzungen für die Realisierung dieses Projektes gegeben.
PUZ: Welche besonderen