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GESPRÄCH
Staats* und Rechtswissenschaft der DDR kritisch betrachtet
PUZ: Für die Entwicklung der Rechtswissenschaft in der DDR spielte die Babelsberger Konferenz eine ganz besondere Rolle. Worin bestand ihr Spezifikum?
Prof. Eckert: Die Babelsberger Konferenz war vielleicht das zentrale Ereignis in der Rechtswissenschaftsentwicklung der DDR. Sie brachte erhebliche Einschnitte mit sich. Zu nennen ist die Abschaffung des Verwaltungsrechts, die weitgehende Verneinung des Rechts als eigenständige autonome Disziplin, aber auch die exemplarische „Abstrafung“ einiger Rechtswissenschaftler, die es in den Jahren nach 1956 (XX. Parteitag der KPdSU) gewagt hatten, einige stalinistische Rechtspositionen in Frage zu stellen. PUZ: Als weitreichend wurden die Auswirkungen der Konferenz beschrieben. Bis zu welchem Zeitpunkt waren sie zu spüren?
Prof. Schulze: Unbestritten ist der Prozeß der weiteren Stalini- sierung der Rechtswissenschaft auf der Grundlage der Babelsberger Konferenz. Betroffene sehen ihre Auswirkungen bis in die 80er Jahre. Eine andere Auffassung, von Karl A. Mollnau vertreten, charakterisiert ihren bestimmenden Einfluß auf die gesamte Rechtswissenschaft der DDR bis zum Ende der 60er/ Anfang der 70er Jahre. Dem würde ich mich anschließen. Mitte der 70er/Anfang der 80er Jahre war ein direkter Einfluß der Babelsberger Konferenz auf die Beschäftigung mit juristischen Fragen nicht mehr spürbar. Auf sie wurde nicht mehr Bezug genommen. Sie wurde mehr und mehr ein Tabuthema. Prof. Eckert: Auch ich würde ihr eher eine vorübergehende Wirkung beimessen. Man kann in der Tat sagen, daß bis zum Ende der 60er Jahre immer wieder mit Babelsberg argumentiert wurde. Dann wurde es sehr ruhig. In den 80er Jahren erlebte die Konferenz dann eine Re-
Am 30. April 1994 fand im Potsdamer AWO-Jugend- und Seminarhotel eine Konferenz zur Thematik „Die Staats- und Rechtswissenschaft der DDR - eine kritische Betrachtung“ statt. Konzeption und Organisation lagen in den Händen von Klaus Ellbogen (Universität Potsdam) und Hans-H. Duncke, Leiter des Landesbüros Brandenburg der Friedrich-Ebert- Stiftung.
Diese wissenschaftliche Veranstaltung bot Gelegenheit, die Entwicklung des Rechts und der Rechtswissenschaft in der DDR kritisch zu analysieren. Aspekte des Staats- und Verwaltungsrechts sowie des Zivilrechts standen dabei im Vordergrund. Ausgangspunkt der Betrachtung stellte die Babelsberger Konferenz vom 2./3. April 1958 dar, die nach überwiegender Ansicht von Juristen und Historikern eine immense Bedeutung für die Entwicklung der DDR-Rechtswissenschaft besaß.
Redebeiträge in Potsdam hielten beispielsweise Dr. Hans Otto Bräutigam, Minister der Justiz des Landes Brandenburg, Prof. Jörn Eckert (Universität Potsdam), Prof. Karl-Heinz Schöneburg (Verfassungsrichter, Potsdam), Prof. Carola Schulze (Universität Potsdam), Prof. Klaus Adomeit (Freie Universität Berlin) sowie Prof. Heidrun Pohl (Universität Potsdam).
PUZ nutzte die Möglichkeit, noch einmal genauer nachzufragen. Als Gesprächspartner erklärten sich freundlicherweise Frau Prof. Schulze und Herr Prof. Eckert bereit.
naissance in der wissenschaftli- che kritischer Auseinanderset- chen Literatur. zung wurden unterbunden.
Prof. Schulze: Es gab vor allem Prof. Eckert: Die Babelsberger in den 80er Jahren Bemühun- Konferenz wurde sehr bald zum gen, die Babelsberger Konfe- bloßen Instrument. Man verab- renz im Zusammenhang mit der schiedete sich bereits Anfang Aufarbeitung der DDR-Rechts- der 60er Jahre von Grundposi- wissenschaftsgeschichte aus der tionen etwa im Strafrecht, aber Sicht ihrer Teilnehmer zu wer- auch (durch den Einfluß des ten. Das war jedoch nur in sehr Neuen ökonomischen Systems eingeschränktem Maße mög- der Planung und Leitung) im lieh. Wirklich ernsthafte Versu- Wirtschaftsrecht.
Am 20.1.1994 erfolgte die offizielle Eröffnung der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam in Anwesenheit von Landtagspräsident Dr. H. Knoblich (3. v. I.), Minister H. Enderlein (4. v. I.) sowie Rektor Prof. Dr. R. Mitzner (r.). Foto: Tribukeit
PUZ: Wie verhielt es sich mit der Ausbildung der Gruppen- und Individualrechte?
Prof. Schulze: Die Babelsberger Konferenz hatte für die Diskussion um die Grundrechte und subjektiven Rechte kaum Bedeutung. Im Gegenteil. Das Primat lag auf der Instrumentalisierung des Rechts.
Wenn Recht als staatliches Lei- tungs- oder Machtinstrument zur Durchsetzung der Interessen der herrschenden Klasse postuliert wird, dann ist damit eine Unterbewertung, eine völlige Abschaffung von Individualrechten, von subjektiven Rechten verbunden. Das Problem der Grundrechte aber, verstanden als Individual- und Kollektivrechte, stand mit einer anderen Frage in Zusammenhang, die einen weiteren wesentlichen Einschnitt in die Rechtswissenschaft der DDR darstellte. Es ist die Diskussion um Erbe und Tradition in der Rechtswissenschaft sowie um die sogenannten Erbethesen. Hier hat man sich auch mit der Problematik der subjektiven Rechte auseinandergesetzt, die dann die gesamte Grundrechtskonzeption tangierte. Im Unterschied zu den anderen damaligen sozialistischen Ländern gab es in der DDR eine sehr restriktive Position dazu. Gerhard Haney hat beispielsweise für eine Überwindung der Kategorie der subjektiven Rechte plädiert. Im Zusammenhang mit der Ablehnung der subjektiven Rechte, die bis Anfang der 70er Jahre offizielle Version der gesamten Rechtswissenschaft der DDR war, hat es erhebliche Rückschritte im juristischen Denken gegeben.
PUZ: Prof. Schöneburg hat in Bezug auf die differenzierte Betrachtung der einzelnen DDR-Verfassungen hinsichtlich der Festschreibung von Grundrechten die Auffassung vertreten, daß man lediglich