Heft 
(1.1.2019) 11
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Nr. 11/94-Seite 6

GESPRÄCH

Staats* und Rechtswissenschaft der DDR kritisch betrachtet

PUZ: Für die Entwicklung der Rechtswissenschaft in der DDR spielte die Babelsberger Konferenz eine ganz besonde­re Rolle. Worin bestand ihr Spezifikum?

Prof. Eckert: Die Babelsberger Konferenz war vielleicht das zentrale Ereignis in der Rechts­wissenschaftsentwicklung der DDR. Sie brachte erhebliche Einschnitte mit sich. Zu nennen ist die Abschaffung des Verwal­tungsrechts, die weitgehende Verneinung des Rechts als ei­genständige autonome Diszi­plin, aber auch die exemplari­scheAbstrafung einiger Rechtswissenschaftler, die es in den Jahren nach 1956 (XX. Par­teitag der KPdSU) gewagt hat­ten, einige stalinistische Rechts­positionen in Frage zu stellen. PUZ: Als weitreichend wur­den die Auswirkungen der Konferenz beschrieben. Bis zu welchem Zeitpunkt waren sie zu spüren?

Prof. Schulze: Unbestritten ist der Prozeß der weiteren Stalini- sierung der Rechtswissenschaft auf der Grundlage der Babels­berger Konferenz. Betroffene sehen ihre Auswirkungen bis in die 80er Jahre. Eine andere Auf­fassung, von Karl A. Mollnau vertreten, charakterisiert ihren bestimmenden Einfluß auf die gesamte Rechtswissenschaft der DDR bis zum Ende der 60er/ Anfang der 70er Jahre. Dem würde ich mich anschließen. Mitte der 70er/Anfang der 80er Jahre war ein direkter Einfluß der Babelsberger Konferenz auf die Beschäftigung mit juristi­schen Fragen nicht mehr spür­bar. Auf sie wurde nicht mehr Bezug genommen. Sie wurde mehr und mehr ein Tabuthema. Prof. Eckert: Auch ich würde ihr eher eine vorübergehende Wirkung beimessen. Man kann in der Tat sagen, daß bis zum Ende der 60er Jahre immer wie­der mit Babelsberg argumen­tiert wurde. Dann wurde es sehr ruhig. In den 80er Jahren erlebte die Konferenz dann eine Re-

Am 30. April 1994 fand im Potsdamer AWO-Jugend- und Se­minarhotel eine Konferenz zur ThematikDie Staats- und Rechtswissenschaft der DDR - eine kritische Betrachtung statt. Konzeption und Organisation lagen in den Händen von Klaus Ellbogen (Universität Potsdam) und Hans-H. Duncke, Leiter des Landesbüros Brandenburg der Friedrich-Ebert- Stiftung.

Diese wissenschaftliche Veranstaltung bot Gelegenheit, die Entwicklung des Rechts und der Rechtswissenschaft in der DDR kritisch zu analysieren. Aspekte des Staats- und Verwal­tungsrechts sowie des Zivilrechts standen dabei im Vorder­grund. Ausgangspunkt der Betrachtung stellte die Babelsber­ger Konferenz vom 2./3. April 1958 dar, die nach überwiegen­der Ansicht von Juristen und Historikern eine immense Be­deutung für die Entwicklung der DDR-Rechtswissenschaft besaß.

Redebeiträge in Potsdam hielten beispielsweise Dr. Hans Otto Bräutigam, Minister der Justiz des Landes Brandenburg, Prof. Jörn Eckert (Universität Potsdam), Prof. Karl-Heinz Schöneburg (Verfassungsrichter, Potsdam), Prof. Carola Schulze (Universität Potsdam), Prof. Klaus Adomeit (Freie Universität Berlin) sowie Prof. Heidrun Pohl (Universität Potsdam).

PUZ nutzte die Möglichkeit, noch einmal genauer nachzufra­gen. Als Gesprächspartner erklärten sich freundlicherweise Frau Prof. Schulze und Herr Prof. Eckert bereit.

naissance in der wissenschaftli- che kritischer Auseinanderset- chen Literatur. zung wurden unterbunden.

Prof. Schulze: Es gab vor allem Prof. Eckert: Die Babelsberger in den 80er Jahren Bemühun- Konferenz wurde sehr bald zum gen, die Babelsberger Konfe- bloßen Instrument. Man verab- renz im Zusammenhang mit der schiedete sich bereits Anfang Aufarbeitung der DDR-Rechts- der 60er Jahre von Grundposi- wissenschaftsgeschichte aus der tionen etwa im Strafrecht, aber Sicht ihrer Teilnehmer zu wer- auch (durch den Einfluß des ten. Das war jedoch nur in sehr Neuen ökonomischen Systems eingeschränktem Maße mög- der Planung und Leitung) im lieh. Wirklich ernsthafte Versu- Wirtschaftsrecht.

Am 20.1.1994 erfolgte die offizielle Eröffnung der Juristischen Fakultät der Universität Potsdam in Anwesenheit von Land­tagspräsident Dr. H. Knoblich (3. v. I.), Minister H. Enderlein (4. v. I.) sowie Rektor Prof. Dr. R. Mitzner (r.). Foto: Tribukeit

PUZ: Wie verhielt es sich mit der Ausbildung der Gruppen- und Individualrechte?

Prof. Schulze: Die Babelsber­ger Konferenz hatte für die Dis­kussion um die Grundrechte und subjektiven Rechte kaum Bedeutung. Im Gegenteil. Das Primat lag auf der Instrumenta­lisierung des Rechts.

Wenn Recht als staatliches Lei- tungs- oder Machtinstrument zur Durchsetzung der Interes­sen der herrschenden Klasse po­stuliert wird, dann ist damit eine Unterbewertung, eine völlige Abschaffung von Individual­rechten, von subjektiven Rech­ten verbunden. Das Problem der Grundrechte aber, verstanden als Individual- und Kollektiv­rechte, stand mit einer anderen Frage in Zusammenhang, die ei­nen weiteren wesentlichen Ein­schnitt in die Rechtswissen­schaft der DDR darstellte. Es ist die Diskussion um Erbe und Tradition in der Rechtswissen­schaft sowie um die sogenann­ten Erbethesen. Hier hat man sich auch mit der Problematik der subjektiven Rechte ausein­andergesetzt, die dann die ge­samte Grundrechtskonzeption tangierte. Im Unterschied zu den anderen damaligen soziali­stischen Ländern gab es in der DDR eine sehr restriktive Posi­tion dazu. Gerhard Haney hat beispielsweise für eine Über­windung der Kategorie der sub­jektiven Rechte plädiert. Im Zu­sammenhang mit der Ableh­nung der subjektiven Rechte, die bis Anfang der 70er Jahre offizielle Version der gesamten Rechtswissenschaft der DDR war, hat es erhebliche Rück­schritte im juristischen Denken gegeben.

PUZ: Prof. Schöneburg hat in Bezug auf die differenzierte Betrachtung der einzelnen DDR-Verfassungen hinsicht­lich der Festschreibung von Grundrechten die Auffassung vertreten, daß man lediglich