Heft 
(1.1.2019) 11
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Nr. 11/94 - Seite 14

STANDPUNKT

Gegen das kollektive Vergessen - der Holocaust als Ewigkeilskonstante

16. Mai 1943: Das ehemalige jüdische Wohnviertel War­schau besteht nicht mehr. Mit der Sprengung der Warschau­er Synagoge wurde die Groß­aktion um 20.15 Uhr beendet... Die Gesamtzahl der erfaßten und nachweislich vernichteten Juden beträgt insgesamt 56065.

Frage: Warum geht ein junger Mensch ins Kino?

Antwort: Um sich zu entspan­nen, Spaß zu haben und womög­lich die Illusion zu leben, die man als Jugendlicher so mit sich rumträgt.

Warum geht ein junger Mensch inSchindlers Liste? Die Ant­wort liegt auf der Hand: um zu lernen und sich mit dem Gese­henen au seinanderzu setzen, was da heißt, sich mit Geschichte zu befassen. Nein - das ist nicht ein­fach schlechthin Geschichte. Es ist unsere Geschichte, meine Geschichte, deine Geschichte, die Geschichte unserer Großvä­ter, Väter, und es wird die Ge­schichte unserer Kinder sein. Unmißverständlich ist dieses Drei-Stunden-Epos ein großer Film. Er ist formal, thematisch und emotional.

Daß die Attitüden einiger junger Leute Opfer fordern können, dürfte uns allen noch gut in Er­innerung sein - die Zahl der Opfer belief sich in nur 2 Jahren auf 25, hervorgemfen durch ras­sistische Gewalttaten. Zu sagen, bei den Urhebern dieser frem­denfeindlichen Verbrechen handle es sich um Einzeltäter in sozialer Schräglage (gern ge­

nutzt von Politikern), ist keine Entschuldigung und eine lächer­liche Theorie. Fakt ist, daß Deutschland momentan einen idealen Nährboden für den rech­ten Terror bietet. Hauptursache dafür dürfte wohl die Arbeitslo­sigkeit sein, die die Verführbar­keit der Menschen für Fremden­feindlichkeit geradezu heraufbe­schwört.

Was ist das für ein Land, in dem die Täter von Hoyerswerda, Ro­stock, Mölln ... auf einer Woge von Zustimmung seitens der Be­völkerung schwammen? Menschlichkeit bewährt sich be­kanntlich dann, wenn sie der Unmenschlichkeit standhält. Man hüte sich davor, die Taten der Rechtsradikalen als dumme Jungenstreiche abzutun! Wenn den Mördern von Mölln und Solingen der Prozeß gemacht wurde / wird und sie ihre Strafe erfahren werden, bleibt auch hier nur eines zu sagen, nämlich, daß der Knast keine Erziehungsan­stalt ist. Denn hinter diesen Jungs stehen hundert andere, die ein weitverzweigtes Netz brauner Menschen spinnen und längst konspirativ organisiert sind. In diesem Netz verfangen sich schnell diejenigen, die in das soziale Abseits gerutscht sind, sozusagen dieVerlierer der Ge­sellschaft. (Peter Struck, Erzie- hugswissenschaftler) Das größ­te Kapital, was eine Gesellschaft besitzt, ist ihre Jugend. Aber ge­rade aus ihren Reihen kommen die Täter für so menschen­verachtende Verbrechen. Mag sein, daß, wenn die Täter von

Mölln, Solingen und Lübeck ge­faßt werden, man eine innere Genugtuung spürt. Doch die gei­stigen Brandstifter bleiben ver­schont. Man muß sich fragen, wie ernst das Thema Gewalt in unserer Gesellschaft noch ge­nommen wird. Die Medien kon­frontieren uns tagtäglich mit Schreckensmeldungen aus Kriegsgebieten. Da fallen An­schläge auf Asylbewerberheime in Anbetracht dieser Tatsachen kaum noch ins Gewicht.

Die Zeit ist gekommen, die Leu­te in diesem Land endlich wach­zurütteln. Da Politiker scheinbar nicht imstande dazu sind, auch die politische Verantwortung für solche Greueltaten zu überneh­men, ist die Initiative von ande­rer Seite gefragt.

Daß Massenbewegungen das Aktionsfeld der Rechtsradikalen zumindest für eine längere Zeit einschränken können, bewiesen die Lichterketten 1992/93. Sie waren beispielgebend für außer­parlamentarische Politik. Es ist zweifelhaft, ob mit solchen spek­takulären Aktionen die politi­schen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland ge­ändert werden. Wohl kaum, aber es können Impulse gesetzt wer­den.

Die Geschichte ist zu einer Her­ausforderung der jungen Gene­ration geworden. Man frage sich selbst einmal, was man über das Judentum weiß. Es wird er­schreckend wenig sein. Der An­schlag auf die Lübecker Synago­ge am 25. März 1994 besitzt eine ihm eigene Tragik. Es war das

Ausländische Studierende an der Universität

erstemal seit dem Ende von Hit­ler-Deutschland, daß wieder Feuer in einer Synagoge gelegt wurde. Es gibt sie also noch, die aktiven Antisemiten. In Deutsch­land leben 40 000 Juden. Eine Umfrage brachte ans Licht, daß 22 % der Deutschen keinen Ju­den als Nachbarn haben möch­ten, 20 % der Deutschen waren gar der Meinung, daß die Juden zuviel Einfluß in der Gesell­schaft hätten. Das sind erschrek- kend unbegründete Thesen, die von unserer Gesellschaft ohne weiteres hingenommen werden. Unverständlich ist, daß von jun­gen Menschen so wenig Initiati­ve gegen Rassismus ausgeht. Traurig, daß in dieser Beziehung auch Studenten wenig Einfalls- rgichtum besitzen, um irgend­etwas zu organisieren. Wo hier doch schon die Masse da wäre, um eine Bewegung ins Leben zu rufen. Oder ist die Enthemmung, in Sachen Gewalt und Unfähig­keit zu trauern, schon zu weit fortgeschritten?

Kapitulieren junge kluge Leute vor gedankenlosen Schwätzern, vor Rassisten und Nationalisten? Weltgeschichte findet genau an den Orten statt, an denen wir die vertrieben haben, die bei uns Herberge suchten. Das erste Ka­pitel dieser Historie dürfte bereits geschrieben worden sein. Gera­de sind wir dabei das zweite Ka­pitel zu schreiben, wenn wir nicht für die eintreten, die in un­serem Land verfolgt und gemor­det werden. Und Vorsicht, es könnte erst der Beginn sein!

Heike Kunert M . . Studentin

Potsdam

Mittlerweile ist es ein gewohn­tes Bild an der Universität Pots­dam: Man begegnet immer mehr Studierenden unterschiedlicher Nationalität. Aus über 40 Staa­ten kommen sie.

Ein Teil von ihnen bereitet sich erst in Vorstudieneinrichtungen auf ein Vollzeitstudium vor. Dazu gehören jene, die das Studienkolleg besuchen (106 Studenten). Sie haben einen Vor­

bildungsnachweis aus ihrem Heimatland, der sie nicht direkt zu einem Hochschulstudium be­fähigt. In einem Jahr können sie sich auf die Feststellungsprüfung vorbereiten, nach deren Beste­hen sie dann aus einer Gruppe von Studiengängen wählen kön­nen. Der Studienvorbereitung dient auch ein einsemestriger Deutschkurs, in dem den Studienbewerbern die erforder­

lichen Kenntnisse der deutschen Sprache für eine Aufnahme des Studiums vermittelt (38 Studie­rende) werden. Die Prüfung er­möglicht ihnen die Aufnahme eines Fachstudiums. 55 auslän­dische Bürger absolvieren z. Z. an der Universität ein Vollzeit­studium (z. B. Politik­wissenschaften, Wirtschaftswis­senschaften). Hinzu kommen noch 21 ausländische Studenten

mit einem deutschen Hochschul­zugang sowie 7 Stipendiaten des DAAD. Eine Promotion schrei­ben gegenwärtig 22 ausländische Bürger. Eine letzte Gruppe aus­ländischer Studierender ist jene, die an der Universität Potsdam ein Teilzeitstudium absolviert. Die Mehrzahl dieser 44 Studen­ten ist auf der Grundlage von EU-Programmen an unserer Universität.