Nr. 11/94 - Seite 14
STANDPUNKT
Gegen das kollektive Vergessen - der Holocaust als Ewigkeilskonstante
16. Mai 1943: Das ehemalige jüdische Wohnviertel Warschau besteht nicht mehr. Mit der Sprengung der Warschauer Synagoge wurde die Großaktion um 20.15 Uhr beendet... Die Gesamtzahl der erfaßten und nachweislich vernichteten Juden beträgt insgesamt 56065.
Frage: Warum geht ein junger Mensch ins Kino?
Antwort: Um sich zu entspannen, Spaß zu haben und womöglich die Illusion zu leben, die man als Jugendlicher so mit sich rumträgt.
Warum geht ein junger Mensch in „Schindlers Liste“? Die Antwort liegt auf der Hand: um zu lernen und sich mit dem Gesehenen au seinanderzu setzen, was da heißt, sich mit Geschichte zu befassen. Nein - das ist nicht einfach schlechthin Geschichte. Es ist unsere Geschichte, meine Geschichte, deine Geschichte, die Geschichte unserer Großväter, Väter, und es wird die Geschichte unserer Kinder sein. Unmißverständlich ist dieses Drei-Stunden-Epos ein großer Film. Er ist formal, thematisch und emotional.
Daß die Attitüden einiger junger Leute Opfer fordern können, dürfte uns allen noch gut in Erinnerung sein - die Zahl der Opfer belief sich in nur 2 Jahren auf 25, hervorgemfen durch rassistische Gewalttaten. Zu sagen, bei den Urhebern dieser fremdenfeindlichen Verbrechen handle es sich um Einzeltäter in „sozialer Schräglage“ (gern ge
nutzt von Politikern), ist keine Entschuldigung und eine lächerliche Theorie. Fakt ist, daß Deutschland momentan einen idealen Nährboden für den rechten Terror bietet. Hauptursache dafür dürfte wohl die Arbeitslosigkeit sein, die die Verführbarkeit der Menschen für Fremdenfeindlichkeit geradezu heraufbeschwört.
Was ist das für ein Land, in dem die Täter von Hoyerswerda, Rostock, Mölln ... auf einer Woge von Zustimmung seitens der Bevölkerung schwammen? Menschlichkeit bewährt sich bekanntlich dann, wenn sie der Unmenschlichkeit standhält. Man hüte sich davor, die Taten der Rechtsradikalen als dumme Jungenstreiche abzutun! Wenn den Mördern von Mölln und Solingen der Prozeß gemacht wurde / wird und sie ihre Strafe erfahren werden, bleibt auch hier nur eines zu sagen, nämlich, daß der Knast keine Erziehungsanstalt ist. Denn hinter diesen Jungs stehen hundert andere, die ein weitverzweigtes Netz brauner Menschen spinnen und längst konspirativ organisiert sind. In diesem Netz verfangen sich schnell diejenigen, die in das soziale Abseits gerutscht sind, sozusagen die „Verlierer der Gesellschaft“. (Peter Struck, Erzie- hugswissenschaftler) Das größte Kapital, was eine Gesellschaft besitzt, ist ihre Jugend. Aber gerade aus ihren Reihen kommen die Täter für so menschenverachtende Verbrechen. Mag sein, daß, wenn die Täter von
Mölln, Solingen und Lübeck gefaßt werden, man eine innere Genugtuung spürt. Doch die geistigen Brandstifter bleiben verschont. Man muß sich fragen, wie ernst das Thema Gewalt in unserer Gesellschaft noch genommen wird. Die Medien konfrontieren uns tagtäglich mit Schreckensmeldungen aus Kriegsgebieten. Da fallen Anschläge auf Asylbewerberheime in Anbetracht dieser Tatsachen kaum noch ins Gewicht.
Die Zeit ist gekommen, die Leute in diesem Land endlich wachzurütteln. Da Politiker scheinbar nicht imstande dazu sind, auch die politische Verantwortung für solche Greueltaten zu übernehmen, ist die Initiative von anderer Seite gefragt.
Daß Massenbewegungen das Aktionsfeld der Rechtsradikalen zumindest für eine längere Zeit einschränken können, bewiesen die Lichterketten 1992/93. Sie waren beispielgebend für außerparlamentarische Politik. Es ist zweifelhaft, ob mit solchen spektakulären Aktionen die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland geändert werden. Wohl kaum, aber es können Impulse gesetzt werden.
Die Geschichte ist zu einer Herausforderung der jungen Generation geworden. Man frage sich selbst einmal, was man über das Judentum weiß. Es wird erschreckend wenig sein. Der Anschlag auf die Lübecker Synagoge am 25. März 1994 besitzt eine ihm eigene Tragik. Es war das
Ausländische Studierende an der Universität
erstemal seit dem Ende von Hitler-Deutschland, daß wieder Feuer in einer Synagoge gelegt wurde. Es gibt sie also noch, die aktiven Antisemiten. In Deutschland leben 40 000 Juden. Eine Umfrage brachte ans Licht, daß 22 % der Deutschen keinen Juden als Nachbarn haben möchten, 20 % der Deutschen waren gar der Meinung, daß die Juden zuviel Einfluß in der Gesellschaft hätten. Das sind erschrek- kend unbegründete Thesen, die von unserer Gesellschaft ohne weiteres hingenommen werden. Unverständlich ist, daß von jungen Menschen so wenig Initiative gegen Rassismus ausgeht. Traurig, daß in dieser Beziehung auch Studenten wenig Einfalls- rgichtum besitzen, um irgendetwas zu organisieren. Wo hier doch schon die Masse da wäre, um eine Bewegung ins Leben zu rufen. Oder ist die Enthemmung, in Sachen Gewalt und Unfähigkeit zu trauern, schon zu weit fortgeschritten?
Kapitulieren junge kluge Leute vor gedankenlosen Schwätzern, vor Rassisten und Nationalisten? Weltgeschichte findet genau an den Orten statt, an denen wir die vertrieben haben, die bei uns Herberge suchten. Das erste Kapitel dieser Historie dürfte bereits geschrieben worden sein. Gerade sind wir dabei das zweite Kapitel zu schreiben, wenn wir nicht für die eintreten, die in unserem Land verfolgt und gemordet werden. Und Vorsicht, es könnte erst der Beginn sein!
Heike Kunert M . . Studentin
Potsdam
Mittlerweile ist es ein gewohntes Bild an der Universität Potsdam: Man begegnet immer mehr Studierenden unterschiedlicher Nationalität. Aus über 40 Staaten kommen sie.
Ein Teil von ihnen bereitet sich erst in Vorstudieneinrichtungen auf ein Vollzeitstudium vor. Dazu gehören jene, die das Studienkolleg besuchen (106 Studenten). Sie haben einen Vor
bildungsnachweis aus ihrem Heimatland, der sie nicht direkt zu einem Hochschulstudium befähigt. In einem Jahr können sie sich auf die Feststellungsprüfung vorbereiten, nach deren Bestehen sie dann aus einer Gruppe von Studiengängen wählen können. Der Studienvorbereitung dient auch ein einsemestriger Deutschkurs, in dem den Studienbewerbern die erforder
lichen Kenntnisse der deutschen Sprache für eine Aufnahme des Studiums vermittelt (38 Studierende) werden. Die Prüfung ermöglicht ihnen die Aufnahme eines Fachstudiums. 55 ausländische Bürger absolvieren z. Z. an der Universität ein Vollzeitstudium (z. B. Politikwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften). Hinzu kommen noch 21 ausländische Studenten
mit einem deutschen Hochschulzugang sowie 7 Stipendiaten des DAAD. Eine Promotion schreiben gegenwärtig 22 ausländische Bürger. Eine letzte Gruppe ausländischer Studierender ist jene, die an der Universität Potsdam ein Teilzeitstudium absolviert. Die Mehrzahl dieser 44 Studenten ist auf der Grundlage von EU-Programmen an unserer Universität.