Heft 
(1.1.2019) 01
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CAMPUS

IN DER FAMILIE KRISELT ES...

Zur KonferenzFamilie und Kindheit im Wandel"

Am Rande der Eröffnungsfeierlichkeiten zur KonferenzFamiMe und Kindheit im Wandel" im Schlußtheater am Neuen Palais gab es zahlreiche Möglichkeiten zu angeregten Gesprächen. Foto: Rüffert

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Droht die kleinste Zelle der Gemein­schaft auszusterben, wird sie überflüs­sig? Dann würde die Gesellschaft, de­ren Spiegelbild sie ist, ebenso überfüs- sig. Wie also wandeln sich Strukturen, warum und in welchen national be­dingten Unterschieden verändert sich die Familie? Pünktlich zum Abschluß des internationalen Jahres der Familie und kurz vor dem Fest der Familie über­haupt befaßten sich Wissenschaftler aus 13 Ländern mit diesen und anderen Fragen. Anlaß dazu bot die Internatio­nale KonferenzFamilie und Kindheit im Wandel, die vom 14. bis 17. Dezem­ber 1994 an der Universität stattfand.

Organisiert wurde sie vom Institut für ange­wandte Familien-, Kindheits- und Jugend­forschung (IFK), Vehlefanz, in Zusammen­arbeit mit dem Zentrum für Jugend- und Sozialisationsforschung der Universität. Als Ort der feierlichen Eröffnung am 15.12.1994 hatte man das Schloßtheater gewählt. Gruß­botschaften überbrachten unter anderem Steffen Reiche, Minister für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Branden­burg, Angelika Peter, Ministerin für Bildung, Jugend und Sport, und Agathe Sering in Vertretung des Bundesministeriums für Fa­milie und Senioren.

Veränderte Funktion der Familie

Die Konferenz warf eine Vielzahl von Fragen auf. Welche Stellung nimmt die Familie heute überhaupt ein und, differenzierter betrachtet, wo liegen die Unterschiede innerhalb be­stimmter sozialer Systeme? Eines der Haupt­themen war die veränderte Funktion der Fa­milie nach dem Wegfall der kommunistischen Systeme. Neun Wissenschaftler waren aus osteuropäischen Staaten angereist, um den Gründen für und den Erscheinungsweisen des Wandels der Familie nachzugehen. Kann die Familie, die früher Rückzugsort und Schutz vor einer Außenwelt sein konnte, so Steffen Reiche, dem jetzigen Werteverlust etwas entgegensetzen?

Prof. Dr. Mayer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung führte in seinem Vortrag das Beispiel Deutschlands an, um die Art des Wandels der Familie zu charakterisieren. Die Familie als Netzwerk funktioniere nur durch Beziehungsarbeiterinnen". Da der Mann das durch die Mehrarbeit der Frau entstehende Loch nicht stopfen könne, wüchse die Unver­einbarkeit mit der Außenwelt, die sich eben nicht an die veränderten Geschlechterrollen anpasse. Der Unterschied zwischen alten und neuen Bundesländern bestünde darin, daß die Trennung der in Ostdeutschland exi­stierenden, weitaus traditionelleren Familie

klarer zwischen privatem Leben und der Außenwelt gewesen sei. Deren Struktur wür­de sich jetzt rapide ändern. Die Mutter einer westdeutschen Familie hätte sich doch im­mer zwischen Familie oder Beruf entscheiden müssen. Zwei unterschiedliche Ansätze also. Auf brandenburgische Verhältnisse bezog dies Regine Hildebrandt während der Ab­schlußdiskussion. Erschreckend seien vor allem die Mißverständlichkeiten zwischen alten und neuen Bundesländern noch nach fünf Jahren. Ein Beispiel: auf die Frage, ob die Erziehung in Kitas positiv oder negativ sei, vertraten 66% der Ostdeutschen erstere und 47% der Westdeutschen letztere Mei­nung. Auch der Begriff von Familie sei im Westen nur noch abstrakt verständlich, ge- nerationsübergreifend, wogegen in den neu­en Bundesländern das Persönliche betont würde, so Mayer. Auf einer Linie liegen die Probleme innerhalb der ostdeutschen Staa­ten jedoch nicht. Das verdeutlichten Vorträ­ge von Wissenschaftlern aus Moskau, War­schau, Bratislava oder Budapest.

Das Kind in der Industriegesellschaft

In einem global größer zu betrachtenden Rahmen stand die Frage nach der Stellung des Kindes innerhalb einer mehr und mehr industrialisierten Gesellschaft. Prof. Dr. Wolf­gang Edelstein vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung legte seinem Vortrag über dieses Thema die Theorie Dürkheims zu­grunde. Diese bezieht sich auf das Ersetzen der mechanischen Solidarität der traditionel­len Großfamilie durch eine organische, d.h. eine selbstgewählte, selbstentschiedene Auf­gabe der Gesellschaft müsse es daher sein, dem Kind, das in der sich herausbildenden Ein-Kind-Familie die gleichberechtigte Stel­lung nicht mehr erfährt, Rücksichtnahme und Gesellschaftsleben von außen erlernbar zu machen. Sonst könnten Mitmenschlichkeit

und Solidarität verkommen. Dem materiellen Wohlstand, in dem der Nutzen der Familie in Frage gestellt ist, steht die Armut im Hinter­hof entgegen. Das war ein weiteres wichti­ges Thema der Konferenz. Gleich welcher Nationalität - hat die Armut einmal Einzug gehalten, wirkt sie oft als Zyklus. Bestes Bei­spiel dafür sind die teenager-pregnancy oder die Ghettos der Schwarzen in Amerika. Ra­dikal bricht sie in Ost- und Mitteleuropa ein, wo die Hälfte aller Kinder unter der Armuts­grenze leben.

Anliegen der Konferenz war es, einen Beitrag dazu zu leisten, eventuelle Schäden in der Zukunft wenigstens durch Kenntnis der Tat­sachen einzuschränken. Ein Schritt, Ent­scheidungshilf en für die Politiker zu geben, sei die Unterzeichnung des Kooperationsver­trages zwischen dem IFK und der Universi-

Wesentlichen Anteil am Zustandekommen der Konferenz hatte Dr. Dietmar Sturzbecher. Er ist Ge­schäftsführer des universitären Forschungszen­trums für Jugend- und Sozialisationsforschung und gleichzeitig Geschäftsführender Direktor des Ins­tituts für angewandte Familien-, Kindheits- und Ju­gendforschung e. V. (IFK). Foto: Rüffert

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