CAMPUS
IN DER FAMILIE KRISELT ES...
Zur Konferenz „Familie und Kindheit im Wandel"
Am Rande der Eröffnungsfeierlichkeiten zur Konferenz „FamiMe und Kindheit im Wandel" im Schlußtheater am Neuen Palais gab es zahlreiche Möglichkeiten zu angeregten Gesprächen. Foto: Rüffert
-JSsssm. &
Ji-'y w
Droht die kleinste Zelle der Gemeinschaft auszusterben, wird sie überflüssig? Dann würde die Gesellschaft, deren Spiegelbild sie ist, ebenso überfüs- sig. Wie also wandeln sich Strukturen, warum und in welchen national bedingten Unterschieden verändert sich die Familie? Pünktlich zum Abschluß des internationalen Jahres der Familie und kurz vor dem Fest der Familie überhaupt befaßten sich Wissenschaftler aus 13 Ländern mit diesen und anderen Fragen. Anlaß dazu bot die Internationale Konferenz „Familie und Kindheit im Wandel“, die vom 14. bis 17. Dezember 1994 an der Universität stattfand.
Organisiert wurde sie vom Institut für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung (IFK), Vehlefanz, in Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Jugend- und Sozialisationsforschung der Universität. Als Ort der feierlichen Eröffnung am 15.12.1994 hatte man das Schloßtheater gewählt. Grußbotschaften überbrachten unter anderem Steffen Reiche, Minister für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg, Angelika Peter, Ministerin für Bildung, Jugend und Sport, und Agathe Sering in Vertretung des Bundesministeriums für Familie und Senioren.
Veränderte Funktion der Familie
Die Konferenz warf eine Vielzahl von Fragen auf. Welche Stellung nimmt die Familie heute überhaupt ein und, differenzierter betrachtet, wo liegen die Unterschiede innerhalb bestimmter sozialer Systeme? Eines der Hauptthemen war die veränderte Funktion der Familie nach dem Wegfall der kommunistischen Systeme. Neun Wissenschaftler waren aus osteuropäischen Staaten angereist, um den Gründen für und den Erscheinungsweisen des Wandels der Familie nachzugehen. Kann die Familie, die früher Rückzugsort und Schutz vor einer Außenwelt sein konnte, so Steffen Reiche, dem jetzigen Werteverlust etwas entgegensetzen?
Prof. Dr. Mayer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung führte in seinem Vortrag das Beispiel Deutschlands an, um die Art des Wandels der Familie zu charakterisieren. Die Familie als Netzwerk funktioniere nur durch „Beziehungsarbeiterinnen". Da der Mann das durch die Mehrarbeit der Frau entstehende Loch nicht stopfen könne, wüchse die Unvereinbarkeit mit der Außenwelt, die sich eben nicht an die veränderten Geschlechterrollen anpasse. Der Unterschied zwischen alten und neuen Bundesländern bestünde darin, daß die Trennung der in Ostdeutschland existierenden, weitaus traditionelleren Familie
klarer zwischen privatem Leben und der Außenwelt gewesen sei. Deren Struktur würde sich jetzt rapide ändern. Die Mutter einer westdeutschen Familie hätte sich doch immer zwischen Familie oder Beruf entscheiden müssen. Zwei unterschiedliche Ansätze also. Auf brandenburgische Verhältnisse bezog dies Regine Hildebrandt während der Abschlußdiskussion. Erschreckend seien vor allem die Mißverständlichkeiten zwischen alten und neuen Bundesländern noch nach fünf Jahren. Ein Beispiel: auf die Frage, ob die Erziehung in Kitas positiv oder negativ sei, vertraten 66% der Ostdeutschen erstere und 47% der Westdeutschen letztere Meinung. Auch der Begriff von Familie sei im Westen nur noch abstrakt verständlich, ge- nerationsübergreifend, wogegen in den neuen Bundesländern das Persönliche betont würde, so Mayer. Auf einer Linie liegen die „ Probleme innerhalb der ostdeutschen Staaten jedoch nicht. Das verdeutlichten Vorträge von Wissenschaftlern aus Moskau, Warschau, Bratislava oder Budapest.
Das Kind in der Industriegesellschaft
In einem global größer zu betrachtenden Rahmen stand die Frage nach der Stellung des Kindes innerhalb einer mehr und mehr industrialisierten Gesellschaft. Prof. Dr. Wolfgang Edelstein vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung legte seinem Vortrag über dieses Thema die Theorie Dürkheims zugrunde. Diese bezieht sich auf das Ersetzen der mechanischen Solidarität der traditionellen Großfamilie durch eine organische, d.h. eine selbstgewählte, selbstentschiedene Aufgabe der Gesellschaft müsse es daher sein, dem Kind, das in der sich herausbildenden Ein-Kind-Familie die gleichberechtigte Stellung nicht mehr erfährt, Rücksichtnahme und Gesellschaftsleben von außen erlernbar zu machen. Sonst könnten Mitmenschlichkeit
und Solidarität verkommen. Dem materiellen Wohlstand, in dem der Nutzen der Familie in Frage gestellt ist, steht die Armut im Hinterhof entgegen. Das war ein weiteres wichtiges Thema der Konferenz. Gleich welcher Nationalität - hat die Armut einmal Einzug gehalten, wirkt sie oft als Zyklus. Bestes Beispiel dafür sind die teenager-pregnancy oder die Ghettos der Schwarzen in Amerika. Radikal bricht sie in Ost- und Mitteleuropa ein, wo die Hälfte aller Kinder unter der Armutsgrenze leben.
Anliegen der Konferenz war es, einen Beitrag dazu zu leisten, eventuelle Schäden in der Zukunft wenigstens durch Kenntnis der Tatsachen einzuschränken. Ein Schritt, Entscheidungshilf en für die Politiker zu geben, sei die Unterzeichnung des Kooperationsvertrages zwischen dem IFK und der Universi-
Wesentlichen Anteil am Zustandekommen der Konferenz hatte Dr. Dietmar Sturzbecher. Er ist Geschäftsführer des universitären Forschungszentrums für Jugend- und Sozialisationsforschung und gleichzeitig Geschäftsführender Direktor des Instituts für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung e. V. (IFK). Foto: Rüffert
Seite 8
PUTZ 1/95