BLEIBEN ODER GEHEN?
Wilfried Heller hielt seine Antrittsvorlesung zur internationalen Arbeitsmigration
Mit der Ernennung von Prof. Dr. W. Heller konnte die erste der drei vorgesehenen Professuren des Arbeitsbereichs Anthropogeographie am Institut für Geographie und Geoökologie der Universität besetzt werden. Als Thema seiner Antrittsvorlesung hatte Prof. Heller „Theoretische Ansätze zur Erklärung der internationalen Arbeitsmigration“ gewählt, ganz in Einklang mit einem der inhaltlichen Schwerpunkte des von ihm übernommenen Lehrstuhls für Sozial- und Kulturgeographie.
Die geographische wie auch im weiteren Sinne sozialwissenschaftliche Erforschung räumlicher Mobilität hat eine inzwischen kaum noch zu überschauende Vielzahl an Erklärungsansätzen hervorgebracht, von denen die wesentlichen im Vortrag dargestellt und einer kritischen Bewertung unterzogen wurden. Bisher erst selten im Zusammenhang mit internationalen Arbeitskräftewanderungen angewandt wurden die sogenannten mikroanalytischen Erklärungsansätze. Bei ihnen steht das Individuum, sein Entscheidungsverhalten und letztendlich die Frage nach den Ursachen von Migration im Vordergrund. Neben anderen Kritikpunkten an dieser Forschungsrichtung wurde vor allem auf das Problem einer exakten Differenzierung von objektiv-strukturellen und subjektiv-individuellen Faktoren, die dem Wanderungs- oder Verbleibentschuß zugrundeliegen, hingewiesen: Die Gefahr des Zirkelschlusses ist groß, wenn aus objektiven Umgebungsbedingungen subjektiv wahrgenommene Anreize gemacht werden, die dann wiederum den individuellen Motiven gleichgestellt werden. Solange die Reflexion über Systemzusammenhänge unterbleibt, werden derartige Ansätze der Komplexität des realen Wanderungsgeschehens aus geographischer Sicht schwerlich gerecht.
Mit ähnlich tiefgreifender Kritik bedachte Heller die meisten der gängigen makroanalytischen Erklärungsansätze. Diskutiert wurden hier sowohl bilateral als auch global orientierte Ansätze, insbesondere der „Weltgesellschaftsansatz", der „Weltsystemansatz“ sowie der Ansatz „Neue Internationale Arbeitsteilung". Gemeinsam ist diesen Ansätzen, daß die Erklärung von Migration im wesentlichen in makrostrukturellen Ursachen gesucht wird, ohne dabei die individuellen Entscheidungsprozesse der Migranten zu berücksichtigen. Das Erklärungsvermögen dieser Ansätze reicht nicht soweit, daß auch komplexere Formen von Migration wie Mehrfach- und Rückwanderungen oder die Überlagerung von Binnenwanderung und Emigration befriedigend erklärt werden könnten.
Seite 14
Insofern hat der abschließend erörterte Ansatz „Migrantennetzwerke" eine größere Erklärungskraft, da nicht nur makrostrukturelle Ursachen, sondern auch soziale Strukturen auf der Mikroebene der gesellschaftlichen Gruppen bedacht werden.
Die Erörterung dieser Ansätze verdeutlichte, daß die Konzeptionalisierung von Migration als mechanistische Ausgleichsbewegung zwischen Regionen unterschiedlichen ökonomischen Entwicklungsstandes nicht mehr zeitgemäß ist. Das derzeit weltweit durchgesetzte Prinzip der räumüchen Arbeitsteilung innerhalb der Weltökonomie veranlaßt vielmehr die Bevölkerung in den Zentren ebenso wie in den Peripherien, ihre Arbeitskraft jeweils in direkter Konkurrenz zueinander zu verkaufen. Je nach Konstellation der ökonomischen Opportunitäten, die sich in den Herkunftsregionen der Migranten bieten, kann daher sowohl die Arbeitsemigration in die Zentren als auch die Binnenmigration innerhalb der Peripherieländer eine sinnvolle individuelle oder gruppenspezifische Antwort auf neue Bedingungen darstellen. Welche Migrationsbewegungen in räumlicher
Auch an die Formen des Herstellens von Öffentlichkeit im Mittelalter stellt Heimann neue Fragen; so interessiert ihn dabei vor allem das bislang noch weniger erkundete Briefwesen als Quelle, die von privater und politischer Korrespondenz zeugt. Bestand im Mittelalter zunächst diplomatiegeschichtlich eine begriffliche Gleichsetzung zwischen Urkunde und Brief, so setzte im 14. Jahrhundert eine Bedeutungsdifferenzierung ein, die aus der raschen Zunahme der Schriftlichkeit in dieser Zeit rührt. Der Brief als verschickte Nachricht reiche also, so Heimann, bis in diese Zeit zurück.
Ursachen dafür macht der Historiker in der seit dem 12. Jahrhundert zunehmenden Mobilität und einem wachsenden Regulierungsbedarf aus, aber auch in der seit dem 14. Jahrhundert intensivierten Schulbildung und damit einhergehender sozialer Auswei-
und zeitlicher Hinsicht favorisiert werden, scheint überwiegend von sozial induzierten, d.h. innerhalb von sozialen Netzwerken der peripheren Gesellschaften jeweils entwickelten und praktizierten Migrationsmodellen abhängig zu sein. Carsten Felgentreff
■fw»
Prof. Dr. Wilfried Heller befaßt sich in seinen Forschungen u.a. mit sozial- und kultur- sowie wirtschaftsgeographischen Fragestellungen zur Bevölkerungsmobilität. Foto: Tribukeit
tung der Schreiber-Leserschichten. Dies hatte zur Folge, daß aufgrund immer größeren Bedarfes neue Berufe - die des Briefschreibers und Briefmalers - entstanden. Allein für Köln zeugen heute noch aus der Zeit zwischen 1375 und 1475 vorliegende rund 10.000 an die Stadt gerichtete bzw. von ihr abge- sandte Briefe von dem wachsenden Austausch.
Dieser Austausch erforderte zusätzlich, so Heinz-Dieter Heimann, ein Botensystem zum Überbringen der Nachrichten, und auch da lassen die modernen Zeiten grüßen: wurde doch bereits in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts von der Mehrzahl der Reichsstädte ein kommunales Dienstleistungsorgan mit städtisch verpflichtetem Dienstpersonal, eigener Dienstkleidung und Tarifordnung geschaffen, das nach Heimanns Erkenntnissen schon bald an restriktive, zensurähnliche
VOM BRIEF ZUR ZETTEL-WIRTSCHAFT „ZITUNG"
Professor Heinz-Dieter Heimann hielt seine Antrittsvorlesung
Die „Schriftlichkeit und Öffentlichkeit im Mittelalter“ bildete das Thema der Antrittsvorlesung von Professor Dr. Heinz-Dieter Heimann aus dem Historischen Institut. Er schlug dabei geschickt einen Bogen zwischen der aktuell wachsenden Praxis visueller Informationsvermittlung und der zunächst überwiegend bildhaften Verständigung in mittelalterlichen Zeiten und stellte fest, daß wir heute eine Wiederkehr frühmittelalterlicher Kommunikationsmittel erleben würden: „Mit der ausgreifenden Benutzung von Symbolen und Zeichen in unserer Verständigungsweise bei gleichzeitig eingeschränkter Schriftkompetenz in wachsenden Teilen der Gesellschaft sehe ich Parallelen“, erklärte der Historiker.
PUTZ 1/95