Heft 
(1.1.2019) 01
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BLEIBEN ODER GEHEN?

Wilfried Heller hielt seine Antrittsvorlesung zur internationalen Arbeitsmigration

Mit der Ernennung von Prof. Dr. W. Hel­ler konnte die erste der drei vorgesehe­nen Professuren des Arbeitsbereichs Anthropogeographie am Institut für Geographie und Geoökologie der Uni­versität besetzt werden. Als Thema sei­ner Antrittsvorlesung hatte Prof. Heller Theoretische Ansätze zur Erklärung der internationalen Arbeitsmigration gewählt, ganz in Einklang mit einem der inhaltlichen Schwerpunkte des von ihm übernommenen Lehrstuhls für So­zial- und Kulturgeographie.

Die geographische wie auch im weiteren Sin­ne sozialwissenschaftliche Erforschung räumlicher Mobilität hat eine inzwischen kaum noch zu überschauende Vielzahl an Erklärungsansätzen hervorgebracht, von de­nen die wesentlichen im Vortrag dargestellt und einer kritischen Bewertung unterzogen wurden. Bisher erst selten im Zusammen­hang mit internationalen Arbeitskräfte­wanderungen angewandt wurden die soge­nannten mikroanalytischen Erklärungsan­sätze. Bei ihnen steht das Individuum, sein Entscheidungsverhalten und letztendlich die Frage nach den Ursachen von Migration im Vordergrund. Neben anderen Kritikpunkten an dieser Forschungsrichtung wurde vor al­lem auf das Problem einer exakten Differen­zierung von objektiv-strukturellen und sub­jektiv-individuellen Faktoren, die dem Wanderungs- oder Verbleibentschuß zu­grundeliegen, hingewiesen: Die Gefahr des Zirkelschlusses ist groß, wenn aus objektiven Umgebungsbedingungen subjektiv wahrge­nommene Anreize gemacht werden, die dann wiederum den individuellen Motiven gleichgestellt werden. Solange die Reflexion über Systemzusammenhänge unterbleibt, werden derartige Ansätze der Komplexität des realen Wanderungsgeschehens aus geo­graphischer Sicht schwerlich gerecht.

Mit ähnlich tiefgreifender Kritik bedachte Heller die meisten der gängigen makro­analytischen Erklärungsansätze. Diskutiert wurden hier sowohl bilateral als auch global orientierte Ansätze, insbesondere derWelt­gesellschaftsansatz", derWeltsysteman­satz sowie der AnsatzNeue Internationa­le Arbeitsteilung". Gemeinsam ist diesen Ansätzen, daß die Erklärung von Migration im wesentlichen in makrostrukturellen Ursa­chen gesucht wird, ohne dabei die individu­ellen Entscheidungsprozesse der Migranten zu berücksichtigen. Das Erklärungsvermögen dieser Ansätze reicht nicht soweit, daß auch komplexere Formen von Migration wie Mehr­fach- und Rückwanderungen oder die Über­lagerung von Binnenwanderung und Emigra­tion befriedigend erklärt werden könnten.

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Insofern hat der abschließend erörterte An­satzMigrantennetzwerke" eine größere Er­klärungskraft, da nicht nur makrostrukturelle Ursachen, sondern auch soziale Strukturen auf der Mikroebene der gesellschaftlichen Gruppen bedacht werden.

Die Erörterung dieser Ansätze verdeutlichte, daß die Konzeptionalisierung von Migration als mechanistische Ausgleichsbewegung zwischen Regionen unterschiedlichen ökono­mischen Entwicklungsstandes nicht mehr zeitgemäß ist. Das derzeit weltweit durchge­setzte Prinzip der räumüchen Arbeitsteilung innerhalb der Weltökonomie veranlaßt viel­mehr die Bevölkerung in den Zentren eben­so wie in den Peripherien, ihre Arbeitskraft jeweils in direkter Konkurrenz zueinander zu verkaufen. Je nach Konstellation der ökono­mischen Opportunitäten, die sich in den Herkunftsregionen der Migranten bieten, kann daher sowohl die Arbeitsemigration in die Zentren als auch die Binnenmigration innerhalb der Peripherieländer eine sinnvol­le individuelle oder gruppenspezifische Ant­wort auf neue Bedingungen darstellen. Wel­che Migrationsbewegungen in räumlicher

Auch an die Formen des Herstellens von Öffentlichkeit im Mittelalter stellt Heimann neue Fragen; so interessiert ihn dabei vor allem das bislang noch weniger erkundete Briefwesen als Quelle, die von privater und politischer Korrespondenz zeugt. Bestand im Mittelalter zunächst diplomatiegeschichtlich eine begriffliche Gleichsetzung zwischen Urkunde und Brief, so setzte im 14. Jahrhun­dert eine Bedeutungsdifferenzierung ein, die aus der raschen Zunahme der Schriftlichkeit in dieser Zeit rührt. Der Brief als verschickte Nachricht reiche also, so Heimann, bis in diese Zeit zurück.

Ursachen dafür macht der Historiker in der seit dem 12. Jahrhundert zunehmenden Mobilität und einem wachsenden Regu­lierungsbedarf aus, aber auch in der seit dem 14. Jahrhundert intensivierten Schulbildung und damit einhergehender sozialer Auswei-

und zeitlicher Hinsicht favorisiert werden, scheint überwiegend von sozial induzierten, d.h. innerhalb von sozialen Netzwerken der peripheren Gesellschaften jeweils entwickel­ten und praktizierten Migrationsmodellen abhängig zu sein. Carsten Felgentreff

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Prof. Dr. Wilfried Heller befaßt sich in seinen For­schungen u.a. mit sozial- und kultur- sowie wirt­schaftsgeographischen Fragestellungen zur Be­völkerungsmobilität. Foto: Tribukeit

tung der Schreiber-Leserschichten. Dies hat­te zur Folge, daß aufgrund immer größeren Bedarfes neue Berufe - die des Briefschrei­bers und Briefmalers - entstanden. Allein für Köln zeugen heute noch aus der Zeit zwi­schen 1375 und 1475 vorliegende rund 10.000 an die Stadt gerichtete bzw. von ihr abge- sandte Briefe von dem wachsenden Aus­tausch.

Dieser Austausch erforderte zusätzlich, so Heinz-Dieter Heimann, ein Botensystem zum Überbringen der Nachrichten, und auch da lassen die modernen Zeiten grüßen: wurde doch bereits in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts von der Mehrzahl der Reichs­städte ein kommunales Dienstleistungsorgan mit städtisch verpflichtetem Dienstpersonal, eigener Dienstkleidung und Tarifordnung geschaffen, das nach Heimanns Erkenntnis­sen schon bald an restriktive, zensurähnliche

VOM BRIEF ZUR ZETTEL-WIRTSCHAFTZITUNG"

Professor Heinz-Dieter Heimann hielt seine Antrittsvorlesung

DieSchriftlichkeit und Öffentlichkeit im Mittelalter bildete das Thema der An­trittsvorlesung von Professor Dr. Heinz-Dieter Heimann aus dem Historischen In­stitut. Er schlug dabei geschickt einen Bogen zwischen der aktuell wachsenden Praxis visueller Informationsvermittlung und der zunächst überwiegend bildhaf­ten Verständigung in mittelalterlichen Zeiten und stellte fest, daß wir heute eine Wiederkehr frühmittelalterlicher Kommunikationsmittel erleben würden:Mit der ausgreifenden Benutzung von Symbolen und Zeichen in unserer Verständigungs­weise bei gleichzeitig eingeschränkter Schriftkompetenz in wachsenden Teilen der Gesellschaft sehe ich Parallelen, erklärte der Historiker.

PUTZ 1/95