IM GESPRÄCH
STUDIOSI
FRAGEN ZWISCHEN DÖRFLERN UND DÖRFLERINNEN
Ulrike Gleixner über neue Zugänge zu Gericht und Geschlecht
Im Märkischen Gutshaus Beeskow, sozusagen vor Ort fand eine internationale Tagung mit dem Thema „Herrschaft vor Ort. Neue Zugänge zu Gericht und Geschlecht“ statt. Veranstalter waren die an der Universität Potsdam angesiedelte Max-Planck-Arbeitsgruppe „Ostelbische Gutsherrschaft“ und das Max- Planck-Institut für Geschichte in Göttingen. Die Vorbereitung der Tagung lag in den Händen von Dr. Michaela Hohkamp (Göttingen) und Dr. Ulrike Gleixner (Potsdam). Mit Ulrike Gleixner sprach Regine Derdack für die PUTZ über Gegenstände und Ergebnisse der Tagung.
PUTZ: Welche Funktion hatte das Gericht in der Frühen Neuzeit?
Gleixner: Im 16. - 18. Jahrhundert sind die Gerichte - speziell untere gerichtliche Instanzen, in Brandenburg also das Patrimonial- gericht - auch als gesellschaftliche Instanzen zu verstehen, vor denen Konflikte geregelt werden. Sie sind nicht ausschließlich strafende Obrigkeitsinstanzen. Zum großen Teil wurden notarielle Fragen geklärt sowie Klagen zwischen Dörflern und Dörflerinnen behandelt, die diese an das Gericht herantrugen. Es gibt einen großen Unterschied zu gerichtlichen Instanzen in unserer Zeit: damals wußten die Untertanen mit der Instanz Gericht umzugehen. Das Gericht hat innerhalb der Gesellschaft auch bei der alltäglichen Konfliktregulierung seine Rolle gespielt. Dies steht im Gegensatz zu unserer Erfahrung. Wir sind im Grunde stumm geworden, sprechen nicht mehr selbst,
Anwälte werden eingeschaltet. Das Wissen über die gesetzlichen Regelungen und Nuancen fehlt uns. Früher wußte man sehr genau, was man vor Gericht zu sagen hatte, um die eigene Position zu verteidigen. Und es gab tradiertes Wissen darüber, wie die Gerichte Recht sprechen und welche Argumentationen es braucht, damit mann oder frau ihr Recht bekommen. Wichtig für die Betrachtung frühneuzeitlicher Rechtskultur ist ferner, daß es nicht nur die obrigkeitliche Instanz gab, sondern die dörfliche Gesellschaft auch über eigene Formen der Rechtsprechung verfügte, die zuvor in Anspruch genommen wurden, was quellenmäßig allerdings sehr schwer zu erschließen ist.
PUTZ: Worin bestanden die geschlechtsspezifischen Besonderheiten der Behandlung von Kläger und Beklagten durch die Richter? Gleixner: Die Unterscheidung funktionierte auf vielen Ebenen. Subtil z.B. insofern, als Frauen anders befragt wurden als Männer, da
sie einer anderen gesellschaftlichen Erwartung unterlagen, oder bestimmte Delikte von Frauen schwer einklagbar waren. Ein brisantes Thema war auch damals die häusliche Gewalt. Die gesellschaftliche Position des verheirateten Mannes beinhaltete das Züchtigungsrecht, bei der „Ausführung" ging es im Grunde um „das richtige Maß". Prozesse dazu hat es immer wieder gegeben, auch Verurteilungen. Häufig haben die Frauen dann später wieder um die Freilassung ihrer Ehemänner gebeten, weil ihnen der Haushalter fehlte. Zwar konnten Frauen kaum allein physische Gewalt des Ehemannes zur Anklage bringen, argumentierten sie aber zusätzlich, daß er ein schlechter Haushalter sei, da er trinke und der Aufgabe des Hausherrn nicht gerecht werde, wurde dies als Strafgrund durchaus anerkannt. Bei Appela- tionen und Bittschriften kann man etwa beobachten, daß Dörflerinnen sich an die adelige Herrin und Männer sich an den adeligen Herrn wandten. Zu der Problematik, inwiefern Obrigkeit, Gesetze oder Richter als Fragende geschlechtsspezifische Wahrnehmungen zeigten und inwieweit die Dörfler und Dörflerinnen dadurch auch nur geschlechtsspezifische Fragen Vorbringen konnten, gibt es noch eine Menge zu forschen.
PUTZ: Zu den Territorien, über die referiert wurde, gehörten Baden-Württemberg, Brandenburg, Mecklenburg, die Basler Gegend und Niederösterreich. Was ergibt die vergleichende Methode? Gleixner: Der territoriale Vergleich bezog sich auf die Zusammensetzung der Gerichte und die dessen Folgen auf soziale und kulturelle Bereiche. Der Forschungsansatz auf der Konferenz war bestimmt von der historischen Anthropologie und der Mikrogeschichte, d.h. man reflektiert die Begriffe, mit denen man sucht, über die Quellen noch einmal. Man versucht, die Begrifflichkeit zu überprüfen, indem man die Beziehungen zwischen Menschen ins Zentrum der eigenen Beobachtung stellt.
PUTZ: Das Tagungsthema sprach von neuen Zugängen. Wie würden Sie diese beschreiben?
Gleixner: Wenn man ein Resümee zieht, dann muß man die Fragerichtung und die Art, wie wir Probleme benennen, als neuen Forschungsansatz bezeichnen. Dieses Herangehen ermöglicht einen anderen Zugang zur frühneuzeitlichen ländlichen Gesellschaft in der Frage von Herrschaft-Untertanen-Ge- richt.
PUTZ: Frau Gleixner, herzlichen Dank für das Gespräch.
AUSLÄNDISCHE DAAD-STIPENDIATEN TRAFEN SICH
Den internationalen akademischen Austausch von Studierenden, Graduierten und Wissenschaftlern zu fördern, hat sich der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) zur Aufgabe gestellt.
Der DAAD finanziert Jahres- und Kurzzeit - Einzelstipendien, Gruppenprogramme, Studienreisen, Studienpraktika, Wissenschaftleraustausch, Gastdozenturen und Lektoren an ausländischen ÜöCfegctatfeü pöwje projektbezogene wfe|engqäia^|ch| Zusammenarbeit zwischen v ’deu}g^p|.^md ausländischen
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Walter VÄSä^^st'or desTlnstiitfe?' für Sla- vistik, und.prcdsi^Jjfgfcs; Wffllschlager, Institut für Ökologie und Naturschutz Walter Witt ist in jener Kommission tätig, die Stipendien an Deutsche vergibt, welche Sprachkurse in slavischen Ländern absolvieren wollen. Dieter Wallschläger ist beteiligt an der Auswahl von Studierenden und Wissenschaftlern aus Lateinamerika, die sich für einen Aufenthalt in Deutschland entschieden haben.
Ende des vergangenen Jahres führte der DAAD erstmals an allen wichtigen Hochschulen Treffen der ausländischen Stipendiaten mit Mitarbeitern der DAAD-Geschäftsstellen durch. Nach Potsdam kam in dieser Mission der Leiter der Arbeitsstelle Berlin- Mitte, Dr. Heinz Wegener.
Bei der Zusammenkunft mit den neun DAAD-Jahresstipendiaten an der Universität Potsdam, am GeoForschungsZentrum Potsdam und an der Hochschule für Film und Fernsehen informierte er über die Arbeit des DAAD und diskutierte Fragen und Probleme, die ihnen am Herzen liegen. Heinz Wegener bezeichnete die jungen Wissenschaftler aus Rußland, den USA, Ägypten, Polen und Armenien als ideale Botschafter dafür, die Bemühungen um eine Verstärkung der Hochschulbeziehungen mit dem Ausland zu unterstützen. Sie wirkten als Multiplikatoren, wenn sie in ihre Heimatländer zurückkehr- ten.
Insgesamt äußerten sich die Stipendiaten positiv über die an der Universität Potsdam herrschenden Bedingungen für ihre Studien- und Forschungsarbeit. Sie dankten den Mitarbeitern des Akademischen Auslandsamtes für deren Hilfe und Unterstützung bei der Lösung solcher Probleme wie der Bewilligung von Leistungsnachweisen oder Aufenthaltsgenehmigungen sowie Verbesserung von Wohnbedingungen. B.E.
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PUTZ 1/95
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