HOMMAGE FÜR EINEN GROSSEN DICHTER
Ein Podium für die Fontane-Forschung an der Potsdamer Universität
Stühlerücken war kaum noch möglich im Senatssaal der Potsdamer Universität, der Raum wurde mit besagtem Mobiliar maximal ausgenutzt. Trotzdem, auch der letzte Platz war zu Beginn des Fontane-Abends durch einen gespannten Zuhörer besetzt worden. Das Publikum bot ein ausgesprochen breites Spektrum; es reichte vom ausgewiesenen Spezialisten bis zum sogenannten „interessierten Laien“.
„Das Poetische [...] hat immer recht; es wächst weit über das Historische hinaus." Jene Bemerkung aus dem satirischen Roman „Frau Jenny Treibei oder ‘Wo sich Herz zum Herzen findt’ „ war sicherlich nicht der unmittelbare Anlaß zur Initiierung der Veranstaltung. Prof. Dr. Luise Schorn-Schütte, Inhaberin des Lehrstuhls für Neuere Allgemeine Geschichte unter Berücksichtigung der frühen Neuzeit, ließ sich durch Fontanes Bemerkung dennoch nicht abhalten, den großen Romancier, Kritiker, Essayisten, Lyriker und Briefeschreiber in einer Form zu würdigen, die fern jeder Glorifizierung - sicherlich auch mit Blick auf den wandernden „Historiker" Preußens und der Mark - dem Dichter mehr als nur gerecht wurde: durch den wissenschaftlichen Disput.
Als Grundlage der Idee zum Fontane-Abend erwies sich die sehr persönliche Affinität der Historikerin zum märkischen Dichter; eine denkbar günstige Voraussetzung. Thematisch führte dies jedoch keineswegs zu einer Einengung. Nachdem der Rektor der Universität, Prof. Dr. Mitzner, die Bühne zum wissenschaftlichen Meinungsstreit freigegeben hatte, folgten drei wissenschaftlich sehr anspruchsvolle Vorträge mit anschließender Diskussion, die sehr unterschiedliche Aspekte des Fontaneschen Werkes auf recht verschiedene Weise beleuchteten.
Den Auftakt bildete das Referat von Volker Drehsen, Theologe und Religionssoziologe aus Tübingen, zum Thema „Verabschiedung einer Idylle. Bemerkungen zur Rolle von Pfarrergestalten in Theodor Fontanes Romanen“ . Drehsen berief sich auf Nietzsche, um ihn dann gleichsam mit Fontane zu relativieren: „Tatsächlich schien sich mit Nietzsche die Epoche der deutschen Pfarrhaus-Idylle endgültig ihrem Ende zuzuneigen: endgültig, aber doch wohl nicht restlos!“ Es folgten Anmerkungen zu Relikten einer literarischen Pastoralidylle bei Fontane", zum „Adelsniedergang. Erosionen der pastoralen Komprehensivität" und zu „Chancen der Kdontinuierung einer pastoralen Gesinnung?"
Der umfängliche und interdisziplinäre Diskurs des Autors war bei weitem nicht durch
PUTZ 1/95
theologische „Exerzitien" gekennzeichnet. Drehsen bewies eine deutliche Sensibilität für die Eigenarten poetischer Texte. Nicht die sture Auflistung bekannter Zitate charakterisierte seinen Beitrag, sondern die Deutung einer ganz „eigenartigen“ Figurengruppe aus ihren historischen und geistigen Traditionen und den Veränderungen des Begriffsinhaltes von „Idylle“. Somit gelang es dem Referenten, auch die Wandlungen der Pfarrergestalten in Fontanes Prosa von der Dominanz einer idyllischen Aura zum kritischen Hinterfragen ihrer kommunikativen wie sozialen Rolle für die Zuhörer nachvollziehbar zu machen. Verlust von Kommunikation und einhergehende Isolation als Grund veränderten Sozialverhaltens auch im scheinbar idyllischen Raum des protestantischen Pfarrhauses im 19. Jahrhundert verifizierte zum Erstaunen vieler Zuhörer Drehsen als eigentlichen Umschlagpunkt in der Fontaneschen Figurensicht.
Der renommierte Kölner Fontane-Forscher Hugo Aust widmete sich der „Modernität des vaterländischen Romans bei Theodor Fontane“. Bei aller Brillanz des Dargestellten blieben einige Erwartungen an den Inhalt des Vortrages unerfüllt. Dies bezieht sich vor allem auf die Verschwommenheit des Moderne-Begriffs, der in der von Aust benutzten Variante mehr Mißverständnisse hervorrief als Klärung bewirkte. Daß dieser Begriff als Terminus technicus der Literaturwissenschaft doch recht eindeutig besetzt ist, ist dem Kölner Ordinarius natürlich bekannt. Trotz dieser kleinen einschränkenden und kritischen Marginalie bleibt festzustellen, daß der Beitrag von Prof. Aust hochinteressante und wirklich bisher auch unbekannte Aspekte im Werk Fontanes transparent machen konnte.
Was Aust unter „vaterländisch“ insistiert, zeigt sich u.a. auf folgende Weise: „Im Kontext der geschichtlichen Dichtung, wie sie Fontane theoretisch erörtert und praktisch erprobt, wird die Eigenschaft ‘vaterländisch’ zur Kürzel für eine relevante Vorgeschichte, für die historische Seite ‘unserer’ Gegenwart und die brisante Erbschaft vermeintlich abgestandener Konflikte.“ Aust spann unter
dieser Voraussetzung einen Bogen von Scott, Alexis, Arnim zum Karl-Stuart-Fragment und der balladesken Novelle „James Monmouth“ (1853), dem Wolsey-Fragment bis hin zum Epochenroman „Vor dem Sturm“, in dem ihn vor allem die mittelbare Figur des Yorck zu für die Fontane-Forschung ungewöhnlichen Sichtweisen anregte.
Den Abschluß des Abends bildeten Heide Streiter-Buschers „Randbemerkungen eines 'harmlosen' Korrespondenten. Zum Thema
Fontane und Bismarck“. Es ging der Verfasserin aber nicht nur um Fontane und Bismarck; trotz der facettenreichen Aufarbeitung einer übergroßen Fülle von Details. Vielmehr ist es ihr beinahe spielend, sozusagen fast im Vorbeigehen, ja ohne erkennbare Absicht gelungen, ein bemerkenswertes Stück zur „englischen“ Phase in Werk und Biographie Fontanes beizusteuern. Dieses Verdienst ist nicht hoch genug zu veranschlagen, und es konnte dem Fontane-Tag der Universität Potsdam auch wissenschaftlich eigentlich nichts Besseres geschehen. Und gerade hier lag auch der Leckerbissen für die ausrichtenden Historiker: die Aufarbeitung der sehr konkreten Reflexion deutscher historischer und aktuell-politischer Prozesse in der englischen Öffentlichkeit. Die Autorin leistete damit auch ganz „nebenbei" eine interessante Studie zur europäischen Pressegeschichte! Das Resümee ist schnell gezogen: dem ersten sollte unbedingt ein zweiter Fontane- Tag folgen. Im Interesse der Fontane-Forschung, der Fontane-Freunde, der Universität Potsdam. P.G.
In der Potsdamer Doitustmße befindet sich das dem Land unterstellte Fontane-Archiv. Es beherbergt u.a. einen Teil der Handbibliothek des Dichters.
Foto: Trfbukeit
Seite 33