Heft 
(1.1.2019) 01
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HOMMAGE FÜR EINEN GROSSEN DICHTER

Ein Podium für die Fontane-Forschung an der Potsdamer Universität

Stühlerücken war kaum noch möglich im Senatssaal der Potsdamer Universi­tät, der Raum wurde mit besagtem Mobiliar maximal ausgenutzt. Trotz­dem, auch der letzte Platz war zu Be­ginn des Fontane-Abends durch einen gespannten Zuhörer besetzt worden. Das Publikum bot ein ausgesprochen breites Spektrum; es reichte vom ausge­wiesenen Spezialisten bis zum soge­nannteninteressierten Laien.

Das Poetische [...] hat immer recht; es wächst weit über das Historische hinaus." Jene Bemerkung aus dem satirischen Roman Frau Jenny Treibei oderWo sich Herz zum Herzen findt war sicherlich nicht der un­mittelbare Anlaß zur Initiierung der Veran­staltung. Prof. Dr. Luise Schorn-Schütte, In­haberin des Lehrstuhls für Neuere Allgemei­ne Geschichte unter Berücksichtigung der frühen Neuzeit, ließ sich durch Fontanes Bemerkung dennoch nicht abhalten, den gro­ßen Romancier, Kritiker, Essayisten, Lyriker und Briefeschreiber in einer Form zu würdi­gen, die fern jeder Glorifizierung - sicherlich auch mit Blick auf den wanderndenHisto­riker" Preußens und der Mark - dem Dichter mehr als nur gerecht wurde: durch den wis­senschaftlichen Disput.

Als Grundlage der Idee zum Fontane-Abend erwies sich die sehr persönliche Affinität der Historikerin zum märkischen Dichter; eine denkbar günstige Voraussetzung. Thema­tisch führte dies jedoch keineswegs zu einer Einengung. Nachdem der Rektor der Univer­sität, Prof. Dr. Mitzner, die Bühne zum wis­senschaftlichen Meinungsstreit freigegeben hatte, folgten drei wissenschaftlich sehr an­spruchsvolle Vorträge mit anschließender Diskussion, die sehr unterschiedliche Aspek­te des Fontaneschen Werkes auf recht ver­schiedene Weise beleuchteten.

Den Auftakt bildete das Referat von Volker Drehsen, Theologe und Religionssoziologe aus Tübingen, zum ThemaVerabschiedung einer Idylle. Bemerkungen zur Rolle von Pfarrergestalten in Theodor Fontanes Roma­nen . Drehsen berief sich auf Nietzsche, um ihn dann gleichsam mit Fontane zu relativie­ren:Tatsächlich schien sich mit Nietzsche die Epoche der deutschen Pfarrhaus-Idylle endgültig ihrem Ende zuzuneigen: endgültig, aber doch wohl nicht restlos! Es folgten Anmerkungen zu Relikten einer literarischen Pastoralidylle bei Fontane", zumAdels­niedergang. Erosionen der pastoralen Komprehensivität" und zuChancen der Kdontinuierung einer pastoralen Gesin­nung?"

Der umfängliche und interdisziplinäre Dis­kurs des Autors war bei weitem nicht durch

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theologischeExerzitien" gekennzeichnet. Drehsen bewies eine deutliche Sensibilität für die Eigenarten poetischer Texte. Nicht die sture Auflistung bekannter Zitate charakte­risierte seinen Beitrag, sondern die Deutung einer ganzeigenartigen Figurengruppe aus ihren historischen und geistigen Traditionen und den Veränderungen des Begriffsinhaltes vonIdylle. Somit gelang es dem Referen­ten, auch die Wandlungen der Pfarrergestal­ten in Fontanes Prosa von der Dominanz ei­ner idyllischen Aura zum kritischen Hinter­fragen ihrer kommuni­kativen wie sozialen Rolle für die Zuhörer nachvollziehbar zu ma­chen. Verlust von Kom­munikation und einher­gehende Isolation als Grund veränderten So­zialverhaltens auch im scheinbar idyllischen Raum des protestanti­schen Pfarrhauses im 19. Jahrhundert verifi­zierte zum Erstaunen vieler Zuhörer Drehsen als eigentlichen Um­schlagpunkt in der Fon­taneschen Figuren­sicht.

Der renommierte Kölner Fontane-Forscher Hugo Aust widmete sich der Modernität des vater­ländischen Romans bei Theodor Fontane. Bei aller Brillanz des Dar­gestellten blieben einige Erwartungen an den Inhalt des Vortrages unerfüllt. Dies bezieht sich vor allem auf die Verschwommenheit des Moderne-Begriffs, der in der von Aust benutzten Variante mehr Mißverständnisse hervorrief als Klärung bewirkte. Daß dieser Begriff als Terminus technicus der Literatur­wissenschaft doch recht eindeutig besetzt ist, ist dem Kölner Ordinarius natürlich be­kannt. Trotz dieser kleinen einschränkenden und kritischen Marginalie bleibt festzustellen, daß der Beitrag von Prof. Aust hochinteres­sante und wirklich bisher auch unbekannte Aspekte im Werk Fontanes transparent ma­chen konnte.

Was Aust untervaterländisch insistiert, zeigt sich u.a. auf folgende Weise:Im Kon­text der geschichtlichen Dichtung, wie sie Fontane theoretisch erörtert und praktisch erprobt, wird die Eigenschaftvaterländisch zur Kürzel für eine relevante Vorgeschichte, für die historische Seiteunserer Gegenwart und die brisante Erbschaft vermeintlich ab­gestandener Konflikte. Aust spann unter

dieser Voraussetzung einen Bogen von Scott, Alexis, Arnim zum Karl-Stuart-Fragment und der balladesken NovelleJames Monmouth (1853), dem Wolsey-Fragment bis hin zum EpochenromanVor dem Sturm, in dem ihn vor allem die mittelbare Figur des Yorck zu für die Fontane-Forschung ungewöhnlichen Sichtweisen anregte.

Den Abschluß des Abends bildeten Heide Streiter-BuschersRandbemerkungen eines 'harmlosen' Korrespondenten. Zum Thema

Fontane und Bismarck. Es ging der Verfas­serin aber nicht nur um Fontane und Bis­marck; trotz der facettenreichen Aufarbei­tung einer übergroßen Fülle von Details. Viel­mehr ist es ihr beinahe spielend, sozusagen fast im Vorbeigehen, ja ohne erkennbare Ab­sicht gelungen, ein bemerkenswertes Stück zurenglischen Phase in Werk und Biogra­phie Fontanes beizusteuern. Dieses Ver­dienst ist nicht hoch genug zu veranschla­gen, und es konnte dem Fontane-Tag der Universität Potsdam auch wissenschaftlich eigentlich nichts Besseres geschehen. Und gerade hier lag auch der Leckerbissen für die ausrichtenden Historiker: die Aufarbeitung der sehr konkreten Reflexion deutscher histo­rischer und aktuell-politischer Prozesse in der englischen Öffentlichkeit. Die Autorin leistete damit auch ganznebenbei" eine interessan­te Studie zur europäischen Pressegeschichte! Das Resümee ist schnell gezogen: dem er­sten sollte unbedingt ein zweiter Fontane- Tag folgen. Im Interesse der Fontane-For­schung, der Fontane-Freunde, der Universi­tät Potsdam. P.G.

In der Potsdamer Doitustmße befindet sich das dem Land unterstellte Fon­tane-Archiv. Es beherbergt u.a. einen Teil der Handbibliothek des Dichters.

Foto: Trfbukeit

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