LIEBER ARCHITEKT ALS POLITIKER
Wissenschaftler näherten sich der Persönlichkeit Friedrich Wilhelms IV.
„Wenn wir nicht als Prinzen auf die Welt gekommen wären, so wäre aus mir ein leidlicher Architekt und aus meinem Bruder ein guter Feldwebel geworden“, soll der „Romantiker auf dem preußischen Thron“ Friedrich Wilhelm IV (1795-1861) überliefert haben. Am 15. Oktober 1995 jährte sich zum 200. Mal der Geburtstag dieses Mannes, dem eine nicht unproblematische Persönlichkeitsstruktur nachgesagt wird. Der Ho- henzollernsproß lebte in einer Epoche politischer und wirtschaftlicher Umbrüche in Deutschland und Europa. Der „Diener Gottes“ und umstrittene Politiker, der sich gern den Künsten hingab, bestieg 1840 den Königsthron. Von ihm ist bekannt, daß er schon als Kind das kleinste Stück Papier nutzte, um es zum Zeichnen zu verwenden. Solche unter seiner Regentschaft entstandenen Gebäude wie die Römischen Bäder, die Orangerie, das Schloß Charlottenhof, die FHedenskirche im Park von Sanssouci Potsdams oder das Alte und Neue Museum sowie die Nationalgalerie in Berlin gingen in die Künst- und Architekturgeschichte ein und zeugen von seiner beeindruckenden Bautätigkeit.
Die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg präsentierte im Sommer 1995 die'zwei Monate währende Jubiläumsausstellung „Friedrich Wilhelm IV - Künstler und König“ im Orangerieschloß des Parkes von Sanssouci. Über 300 Exponate der Malerei, Graphik, Plastik und des Kunsthandwerks, Dokumente, Baupläne und eine Auswahl aus den mehr als 4000 Zeichnungen des Königs gestatteten einen Einblick in sein künstlerisches und kunsthistorisches Weltbild, Die Musik- festspiele Potsdam-Sanssouci im Juni widmeten sich dem Thema „Friedrich Wilhelm IV und die Musik seiner Zeit“.
Einen weiteren wichtigen Akzent setzte die wissenschaftliche Konferenz „Friedrich Wilhelm IV“ der am Historischen Institut der Universität Potsdam angesiedelten Gesellschaft für Geistesgeschichte (GGG) Ende September im Potsdamer Alten Rathaus. Als Veranstalter der.Konferenz, gleichzeitig 37. Jahrestagung der GGG, zeichneten das Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam (MMZ), das Historische Institut der Universität Potsdam und die Wilhelm- Fraenger-Gesellschaft, Potsdam, verantwortlich. Den 130 Teilnehmern wurde ein umfangreiches inhaltliches Programm geboten. Es reichte von Preußens Sonderweg im 19. Jahrhundert über das Staatsund Religionsverständnis des Königs bis zu
seinen künstlerischen Ambitionen und Persönlichkeitsmerkmalen.
Der Erlanger Ordinanus für Religions- und Geistesgeschichte Hans-Joachim Schoeps gründete 1958 die GGG, seit 1984 hat dessen Sohn Prof. Dr. Julius H. Schoeps, Direktor des MMZ und Inhaber des Lehrstuhls Neuere Geschichte II mit dem Schwerpunkt deutsch-jüdische Geschichte im Historischen Institut der Potsdamer Alma mater, den Vorsitz inne. Die Gesellschaft setzte sich zum Ziel, „den ‘Zeitgeist’ zu erfassen, wie er in den Manifestationen des geistigen Lebens - Philosophie, Kunst, Religion, Staat, Politik, Wirtschaft, Recht usw. - zum Ausdruck kommt“. Ihr Sitz wurde 1993 von Erlangen nach Potsdam verlegt. Der gerade wiedergewählte Vorsitzende, Julius H. Schoeps, plädierte dafür, Friedrich Wilhelm IV bei dessen Beurteilung historische Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, auch wenn es nicht leicht sei, über die Persönlichkeit des Preußenkönigs etwas einigermaßen Zutreffendes zu sagen. Die Bewertungen reichten von „wundersamer Exzentriker“ über „Geisteskranker“ bis zu „einzig wirklicher Preußenkönig von Gottes Gnaden". Für Hans J, Hülerbrand, Professor für Religionswissenschaften und Geschichte an der Duke University/USA, ergab sich die Kooperation mit dem MMZ aus seiner Arbeit über den Humanisten und Hebraisten Johannes Reuchlm sowie über Luthers Antisemitismus. Der Wissenschaft
ler beschäftigt sich schwerpunktmäßig ei-
Die stimmungsvolle Baugruppe der Römischen Bäder im Potsdamer Park von Sanssouci entstand ab 1829 unter maßgeblicher Einflußnahme des Kronprinzen und späteren Königs Friedrich Wilhelm IV
Zeichnug: Friederike Theuerkauff
Prof. Dr. Plans J. Hülerbrand, Duke University, Durham/USÄ hielt auf der Konferenz den Eröffnungsvortrag. Er studierte Religions- und Geistesgeschichte in Erlangen. Sem Spezialgebiet ist die Geistesgeschichte des Reformationszeit- alters.'insbesondere arbeitete er über die Wiedertäufer. Prof. Hülerbrand ist Herausgeber der in Kürze erscheinenden vierbändigen „Encyclo- pedia of the Reformation". Foto: Fritze
gentlich mit Reformationsgeschichte. Er sei an seinen Eröffnungsvortrag - „Ich aber und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen - Frömmigkeit und Staatsräson bei Friedrich Wilhelm IV“ - „nicht als Spezialist preußischer Geschichte im 19. Jahrhundert, sondern als ein Verbindungen zu ziehen versuchender Geistesgeschichtler gegangen“. Sein Interesse an Friedrich Wilhelm IV rühre daher, daß sich hier das Verhältnis von persönlicher Frömmigkeit und Gesellschaft bzw. Politik besonders anschaulich darstellen ließe. Im Ergebnis seiner Ausführungen gelangte er zu dem Schluß, daß der König „ein außerordentlicher Pfarrer, vielleicht sogar ein Theologie- professor geworden wäre“.
Die Geschäftsführerin der GGG und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Historischen Institut, Dr. Irene Diekmann, bemerkte in diesem Kontext, daß es sich bei Friedrich Wilhelm IV „um eine Persönlichkeit in der Geschichte gehandelt hat, die, wie so oft, die ihm aufgedrängte Rolle nicht ausfüllen und sich nicht von ihr lösen konnte, auch weil er die sozialen Nöte seiner Zeit nicht verstand“. Er habe eine konservative Antwort auf die europäische Aufklärung gegeben, indem er die „göttliche Ordnung“ wiederherstellen wollte. Die Mitor- ganisatorin der Tägung bemerkte zu den Jubiläumsveranstaltungen in Potsdam: „Es reicht nicht, ‘nur’ Schlösser in Potsdam zu haben, man muß sie auch mit Leben gestalten. Die Stadt hat zwar die Miete für die Räumlichkeiten während der Konferenz erlassen, aber mehr nicht. Keiner ihrer Vertreter war präsent. Das enttäuscht uns." B.E.
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