Heft 
(1.1.2019) 08
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DIE BODENHAFTUNG NICHT VERLIEREN

Kolloquium zum effektiven Menschenrechtsschutz

Der englisch-indische Schriftsteller Salman Rushdie löste mit seinem 1988 erschiene­nen RomanDie satanischen Verse Massenproteste strenggläubiger Moslems aus. Sie gipfelten in einem Mordaufruf des damaligen iranischen Schiitenführers und Staats­chefs Khomeini. Der Bekanntheitsgrad des Autors ermöglicht ihm derzeit einen ge­wissen Schutz. Wer aber nimmt die Menschenrechtsverletzungen Hunderter und Tau­sender Betroffener wahr?Stille Diplomatie oder Publizität? - das ist hier die Rrage. Deshalb befaßte sich kürzlich auch ein zweitägiges vom Menschenrechtszentrum der Universität Potsdam organisiertes Kolloquium mit Überlegungen zum effektiven Schutz der Menschenrechte und den damit in Zusammenhang stehenden wechselseitigen Er­wartungen an Menschenrechtsorganisationen, Wissenschaft und Politik.

Prof. Dr. Eckart Klein, Direktor des Zen­trums und Inhaber des Lehrstuhls für Staats-, Völker- und Europarecht der Juristischen Fakultät an der Potsdamer Alma mater, gelang es, Vertreter von Nichtregierungsorganisatio­nen zu gewinnen, über ihre Ar­beitsweisen und die jeweiligen Ziel­setzungen zu diskutieren. So kamen Repräsentanten von amnesty interna­tional, der Internationalen Gesell­schaft für Menschenrechte und des Deutschen Roten Kreuzes, aber eben­so des UN Flüchtlingskommissars, der Caritas für die Erzdiözese Frei­burg und des Diatonischen Werkes Ze chn ung:zg. der EKD nach Potsdam.Das von uns ge­wählte Thema erschien mir in besonderem Maße dazu geeignet, mit aktiv im Men­schenrechtsschutz Tätigen, Wissenschaft­lern und Politikern ins Gespräch zu kom­men, so Eckart Klein. Dieses bereits zwei­te interdisziplinär angelegte Treffen er­möglichte gleichzeitig eine inhaltliche Wei­terführung der vor einem Jahr veranstalte­ten ersten Konferenz, die die Institution der Menschenrechts- bzw. Minderheitenkom­missare vorstellte.Als Wissenschaftliches Zentrum dürfen wir die Bodenhaftung nicht verlieren. Darum halte ich Gespräphe mit jenen, die sich mit dem praktischen Men-

Der Direktor des Menschenrechtszentrums der Universität Potsdam, Prof. Dr. Eckart Klein (I.), konnte zum KolloquiumStille Diplomatie oder Publizität?neben Vertretern von Menschenrechtsorganisationen auch den Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis (r.), begrüßen. Foto: Fritze

schenrechtsschutz auseinandersetzen, für außerordentlich wichtig, argumentierte der Jurist. Das noch im Aufbau befindli­che, personell unterbesetzte Men­schenrechtszentrum nahm zum 1. Juli 1994 seine Arbeit auf und ist eine zentrale Einrichtung für die Bun­desrepublik Deutschland. Auch als Mit­glied im Menschenrechtsausschuß der Vereinten Nationen weiß der Jurist, daß die Abwägung zwischen stiller Diplo­matie und Publizität stets neu eine Grat­wanderung ist. In diesem Kontext sprach er von einerPublizitätsfalle". Nicht jeder Fall sei publizitätsfähig. Um bekannte Persönlichkeiten kümmere sich die Öffentlichkeit. Den vielen Namen­losen könne dann geholfen werden, wenn klargestellt werde, daß es sich bei den Pro­minenten umnur" wenige unter vielen handeln würde. Der Vorsitzende des Zen­tralrates der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, plädierte eher für Öffentlichkeit bei Menschenrechtsverletzungen, Pressefrei­heit vorausgesetzt. So sei die Diskussion zum Rechtsextremismus in Deutschland erst nach breiter Berichterstattung über fremdenfeindliche Übergriffe und Brandan­schläge erfolgt.

Man könne die Öffentlichkeit andererseits mit einer Vielzahl von Namenerschlagen", die nicht erfaßbar sei­en. Dieser Fakt spreche für Geheimdiplomatie. Für die Darstellung all­gemeiner Situationen wie die Massenverge­waltigungen und Er­schießungen in Bosnien sei die Publizität dage­gen geradezu unab­dingbar, meint Prof. Klein. Die 60 Tfeilnehmer des Kolloquiums waren sich darin einig, daß Menschenrechtspolitik nicht zum Propaganda­instrument für die eine oder andere Seite ver­kommen dürfe. Die Ge­fahr sei riesengroß und

für die Opfer wenig erfolgsonentiert, wenn nicht die Hilfe für Bedrängte, sondern viel­mehr das Vorzeigen einer eigenenweißen Weste im Vordergrund stünde. Je stärker eine Regierung in diesen Fragen nach au­ßen wirke, umso eher gerate sie in Gefahr, ihre Aktivitäten des eigenen Vorteils willen auszuüben.

Die Möglichkeiten der Nichtregierungsor­ganisationen bestehen vor allem darin, Ma­terial zu beschaffen und Tätsachenaufklä- rung vor Ort zu betreiben.Wir kommen ohne diese Gruppen nicht aus, weil sie uns den faktischen Hintergrund für die Beurtei­lung der Staatenbenchte liefern, beschreibt Prof. Hein deren Anteil an der Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen. Auf die­ser Grundlage könnten die Mitglieder des Menschenrechtsausschusses ihre kritischen Fragen an die Regierungen richten.

Die Alternative stille Diplomatie oder Publi­zität existiert also real in aller Regel nicht - so das Fazit der Teilnehmer. Denn stille Diplomatie kann ebenso hilfreich sein wie in anderen Fällen Publizität Schutz bietet. Allgemeingültiges gäbe es auf diesem schwiengen Tterram nicht. Auch wenn heu­te eine größere Sensibilität gegenüber Menschenrechtsverletzungen zu verzeich­nen sei, müsse der Schutz dieser Rechte als nationale und internationale Aufgabe angesehen werden. B.E.

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