PRÄVENTION STATT VERURTEILUNG
An der Uni Potsdam diskutierten Experten über Jugendkriminalität
Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, unter denen junge Menschen in Deutschland aufwachsen, haben sich im Verlauf der letzten fünf Jahre stark verändert. Nicht wenige von ihnen gerieten ohne eigenes Verschulden in Armut oder erlebten aus unterschiedlichen Gründen Formen der sozialen Ausgrenzung. Im Gegenzug dazu nahm jedoch auch der private Reichtum in der Gesellschaft zu. Damit wuchsen unübersehbare soziale Gegensätze. Mit einer Folge dieses Prozesses beschäftigte sich kürzlich der an der Universität Potsdam tagende 23. Jugendgerichtstag. „Sozialer Wandel und Jugendkriminalität“ lautete das Thema der Veranstaltung. Rund 900 Teilnehmer, darunter Juristen, Polizeibeamte, Sozialarbeiter und Wissenschaftler aus allen Teilen der Bundesrepublik waren gekommen, um der Debatte beizuwohnen.
Einer verstärkten Repression gegenüber straffällig gewordenen Jugendlichen erteilte dabei der Justizminister des Landes Brandenburg, Dr. Hans Otto Bräutigam, eine entschiedene Abfuhr. Vielmehr plädierte er für eine stärkere Berücksichtigung des Erziehungsgedankens , Im Zusammenhang damit verwies der Redner unter anderem auf Gustav Radbruch, der einst formulierte: „Wir brauchen kein besseres Strafrecht, sondern etwas besseres als Strafrecht.“ In Brandenburg beschreite man in genau diesem Sinne erfolgreich drei sehr praktische Wege: den Täter-Opfer-Aus- gleich, gemeinnützige Arbeit und soziale Tirainmgskurse an zur Zeit 13 Orten der Region.
Statistiken weisen deutliche Unterschiede zwischen der Art der Straftaten in Ost und West auf. Für die neuen Bundesländer, so Prof. Dr. Christian Pfeiffer, 1. Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Jugendgerichte und Jugendgerichtshilfen, seien eher „leichtere" Vergehen wie Diebstahls-, Einbruchs- oder Betrugsdelikte typisch. Weniger beobachtet würden schwere Gewalttaten. Im Bundesdurchschnitt sei jeder fünfte Tätverdächtige unter 18 Jahren. Dabei liege die Quote in den ostdeutschen Bundesländern bereits bei 26 Prozent, in Brandenburg sogar bei 29 Prozent.
Die Ursachen beurteilte Bräutigam als komplex. Wesentlichen Anteil hätten beispielsweise Defizite in der schulischen wie auch familiären Wertevermittlung, fehlende Möglichkeiten einer sinnvollen Freizeitbeschäftigung, nicht zuletzt auch die unbefriedigende Lehrstellensituation. So fänden in Brandenburg voraussichtlich etwa 3000 Jugendliche in diesem Jahr keine Lehrstelle. Damit gingen auch spätere Berufsperspektiven verloren.
Mit seiner gerade beendeten Zusammenkunft hatte der Jugendgenchtstag erstmals
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seit 1929 auf dem Gebiet der Neuen Bundesländer beraten. Der Politik den Spiegel vorzuhalten, über aktuelle Tfendenzen aufzuklären, war vorrangiges Anliegen des Treffens, Kritik fand in der Diskussion die von Bonn beabsichtigte Reform der Sozialhilfe. Daß diese ein Potential für weitere Konflikte biete, darüber bestand weitgehende Einigkeit unter den Anwesenden. „Angesichts eines solchen Vorhabens sei der Ruf nach dem Richter nur zu billig“, so Pfeiffer. RG.
SÜDAFRIKANISCHE
Die Universität Potsdam als Ausbildungsstätte junger Menschen und zugleich Wirkungsort zahlreicher Wissenschaftler erfreut sich zunehmend wachsender Aufmerksamkeit. Den Reigen ihrer Gäste setzten nun kürzlich drei hohe südafrikanische Richterinnen und Richter fort. Begrüßt werden konnten Mokgadi L. Mailula, erste schwarze Richterin am Supreme Court, Pius N. Langa sowie Yvonne J. Mokgoro, beide seit 1995 Richter am Verfassungsgericht ihres Heimatlandes.
Die Stippvisite der Juristen fand im Rahmen einer von der Konrad-Adenauer-Stif- tung organisierten Studien- und Informationsreise durch Deutschland statt. Deren Ziel bestand in der Vertiefung des fachli-
Sehr interessiert verfolgten die Gäste , hier Yvonne J. Mokgoro und Pius N. Langa, die Ausführungen des Rechtswissenschaftlers und zugleich Uni-Rektors Prof. Dr. Wolfgang Loschel- der (r.). Foto: Fritze
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RICHTER ZU BESUCH
chen Austausches. Die Republik Südafrika entwickelte sich schließlich erst mit dem Inkrafttreten einer Übergangsverfassung zum Rechtsstaat. Zum Hüter dieses so wichtigen Gesetzesinstruments avancierte das neu geschaffene Verfassungsgericht. Im Frühjahr 1995 nahm es seine Tätigkeit auf.
Die Südafrikaner bemühten sich hier in Deutschland zum Beispiel um das Kennenlernen einzelner Entscheidungsalternativen und -hilfen. Ferner sammelten sie Erfahrungen über den Aufbau eines Rechtsbewußtseins in der Bevölkerung. Dem diente auch der kurze Aufenthalt an der Potsdamer Hochschule. Zustandegekommen war der Besuch unter anderem durch das Engagement Prof. Dr. Dieter Umbachs, Inhaber des Lehrstuhls Verwaltungsrecht mit Sozialrecht sowie Europäisches Verfas- sungs- und Sozialrecht an der Alma mater. Der Wissenschaftler hatte bereits in der Vergangenheit durch eine entsprechende Beratungstätigkeit und die Tfeilnahme an einem Workshop in Karlsruhe erste Kontakte geknüpft. Während des hiesigen, circa einstündigen Informationsgespräches unter der Leitung von Rektor Prof. Dr. Wolfgang Loschelder spielten auch Fragen des Aufbaus der Universität Potsdam und ihrer Fakultäten eine Rolle. Des weiteren gehörten sowohl das übliche Verfahren bezüglich der Gauck-Überprüfungen an der Institution sowie allgemeine mit der Wende einsetzende Entwicklungsprozesse zu den Diskussionsgegenständen. RG.
PUTZ 8/95