Heft 
(1.1.2019) 09
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VERMITTELTE VIELFALT UND ER BLEIBT DOCH...

16 Institute bilden das Skelett der Mathema­tisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät. Ent­sprechend groß ist das Fächerspektrum. Innerhalb der Universität gibt es zahlreiche WIP- und vier Max-Planck-Arbeitsgruppen, außerdem existieren Kooperationsverträge mit 14 außeruniversitären Instituten.

Die gesamte Fakultät an einem Täg vorzu­stellen, ist angesichts dieser Spannweite wohl ein Ding der Unmöglichkeit. Wer sich aber einen Eindruck von dieser Vielfalt ver­schaffen wollte, dem boten die Fachvor­träge am frühen Nachmittag des diesjähri­gen Täges der Mathematisch-Naturwissen­schaftlichen Fakultät die Gelegenheit dazu. Hier präsentierten sich Professoren, Dokto­randen und Diplomanden, die Max-Planck- Gesellschaft war ebenso vertreten wie die WlPianer. Für jeden Geschmack und je­des Niveau wurde etwas geboten: Prof. Dr. Manfred Strecker packte die Gelegenheit beim Schopf, um den Hörern Struktur und Forschungsvorhaben des Instituts für Geo­wissenschaften zu präsentieren. So erfuhr man, daß dort beispielsweise die Migrati­on von Sprengstoff (TNT) in Böden unter­sucht wird, wozu Laborexperimente an Modellböden durchgeführt werden.

Prof. Dr. Bernd Walz führte das Publikum in die Welt der Zäpfchen und Stäbchen. Wel­che Rolle spielt das Calcium beim Sehen und vor allem bei der Adaption des Auges? Auch wer nicht vom Fach war, wurde ge­bannt. Hingegen war der Vortrag von Prof. Dr. Hellmut Baumgärtel offensichtlich auf seine Professorenkollegen in der zweiten Reihe zugeschnitten, während die Studen­ten in der letzten Reihe bei seinen halbstün­digen, rasanten Ausführungen über den Zusammenhang von Symmetrie und Quan­tentheorie nur verständnislose Blicke tauschten. Auch die Nachwuchswissen­schaftler kamen zu Wort. So berichtete D. Daute über den Gegenstand ihrer Doktor­arbeit, in der es um bestimmte Arten von Flüssigkristallen geht.

Da die Vorträge in drei parallelen Vortrags­reihen liefen, konnte man nicht alles hören, was angeboten wurde. Wer sich beispiels­weise für Daute entschied, mußte auf Prof. Dr. Reinhard Lipowski, den Direktor des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung, verzichten. Und wer von Prof. Dr. Frank Bittmann etwas über die Beschwerden am Bewegungsapparat und der Erkennung ihrer Vorstadien mit Hilfe der Bewegungsanalyse erfahren woll­te, mußte notgedrungen die Grundlagen zur Verbesserung der Wettervorhersage, vorgetragen von M. Zebisch, opfern. In Anbetracht der gebotenen Vielfalt empfan­den es viele als bedauerlich, daß sie nicht auf drei Hochzeiten gleichzeitig tanzen konnten. ade

Am 30. September 1995, ein halbes Jahr vor seinem siebzigsten Geburtstag, wurde Prof. Dr. Hans Kaiser in den wohlverdienten Ru­hestand verabschiedet. Das Institut für Ma­thematik lud aus diesem Anlaß zu einem Ehrenkolloquium ein. Mit Dr. Kaiser ging einer der Gründungsdirektoren der Univer­sität Potsdam in den Ruhestand.

Doch so ein richtiger Ruhestand wird es wohl nicht werden. So wird er u.a. weiterhin Chefredakteur der Zeitung für Angewand­te Mathematik (ZAMM) bleiben und Vorle­sungen an der Universität halten. Wer weiß, wie sehr er sich besonders auch für eine moderne Gestaltung der mathematischen Lehre eingesetzt hat, den wundert das nicht. So hat er sich in seiner mehr als vier­zig Jahre dauernden Lehrtätigkeit nicht nur darum bemüht, den Mathematik- und Physikstudenten die Kursinhalte in einem erkenntnistheoretischen und wissen­schaftstheoretischen Zusammenhang zu lehren. Er hat darüber hinaus eine Reihe von mathematischen Modellen und Filmen entwickelt, um den Lehrstoff anschaulicher zu machen.

Diese geisti­ge Wachheit äußert sich an vielen Stel­len. In der Laudatio im Rahmen des Ehrenkollo­quiums be­tonte Prof. Dr.

Rolf Mitzner, der Grün­dungsrektor der Universi­tät, das gro­ße Interesse, welches Dr.

Kaiser für die Hermeneutik hegt.

Am 31.5.1926 in Nägelstedt bei Langen­salza/Thür geboren, studierte Hans Kaiser von 1946 1951 Mathematik in Jena und an der Hum­boldt-Universität Berlin. Nach dem Diplom war er dort bis 1964 wissenschaftlicher As­sistent bzw. Oberassistent. In diese Zeit fällt auch seine Heirat mit Gerlinde Göring so­wie die Geburt der beiden Söhne. 1956 pro­moviert er und wird 1964 Dozent für das Fachgebiet praktische Mathematik und Analysis an der Pädagogischen Hochschu­le in Potsdam. Nach seiner Habilitation 1967 wird er 1975 zum ordentlichen Professor für Angewandte Mathematik am gleichen Insti­tut berufen. Seit November 1990 war er Ge­

schäftsführender Direktor der Brandenbur- gischen Landeshochschule bzw. Universi­tät Potsdam.

In den letzten 25 Jahren forschte Dr. Kaiser in erster Linie auf dem Gebiet der System­identifikation. Die Ergebnisse seiner Arbei­ten zur Strukturerkennung sowie zur Ent­wicklung rechnergestützter Methoden, mit deren Hilfe sich Systeme mit einem vorge­gebenen Verhalten konstruieren lassen, er­laubten die Herstellung von Interferenz­schichtsystemen, die die Ausbreitung elek­tromagnetischer Wellen in gewünschter Form beeinflussen. Solche Interferenz­schichten wurden in Kooperation mit der optischen Industrie angefertigt.

Mit dieser Problematik beschäftigte sich Prof. Dr. Heinz Engl von der Johannes-Kep­ler Universität Linz in seinem Festvortrag Inverse Probleme: Theorie, Numerik, An­wendung in der Industrie. Dabei sind in­verse Probleme solche, bei denen nach der Ursache einer beobachteten oder beab­sichtigten Wirkung gesucht wird. Im Falle des inversen Streuproblems bedeutet das

beispielsweise, daß eine bestimmte Streu­ung gemessen wurde und nun nach der Form und Art des Streuers gefragt wird. Dabei ist die Lösung des Problems nicht unbedingt eindeutig.

Der andere Festvortrag wurde von Prof. Dr. Friedrich Hirzebruch vom Max-Plank-Insti- tut für Mathematik in Bonn gehalten. Hier ging es um das weniger anwendungsorien­tierte Thema:Die hypergeometrische Dif­ferentialgleichung und algebraische Flä­chen. Nachdem das Kolloquium geendet hatte, bot sich bei einem Imbiß die Möglich­keit zu entspannter Unterhaltung. ade

Leibniz zur Verabschiedung: Prof. Dr. Hans Kaiser Foto: Tbibukeit

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