VERMITTELTE VIELFALT UND ER BLEIBT DOCH...
16 Institute bilden das Skelett der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät. Entsprechend groß ist das Fächerspektrum. Innerhalb der Universität gibt es zahlreiche WIP- und vier Max-Planck-Arbeitsgruppen, außerdem existieren Kooperationsverträge mit 14 außeruniversitären Instituten.
Die gesamte Fakultät an einem Täg vorzustellen, ist angesichts dieser Spannweite wohl ein Ding der Unmöglichkeit. Wer sich aber einen Eindruck von dieser Vielfalt verschaffen wollte, dem boten die Fachvorträge am frühen Nachmittag des diesjährigen Täges der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät die Gelegenheit dazu. Hier präsentierten sich Professoren, Doktoranden und Diplomanden, die Max-Planck- Gesellschaft war ebenso vertreten wie die „WlPianer“. Für jeden Geschmack und jedes Niveau wurde etwas geboten: Prof. Dr. Manfred Strecker packte die Gelegenheit beim Schopf, um den Hörern Struktur und Forschungsvorhaben des Instituts für Geowissenschaften zu präsentieren. So erfuhr man, daß dort beispielsweise die Migration von Sprengstoff (TNT) in Böden untersucht wird, wozu Laborexperimente an Modellböden durchgeführt werden.
Prof. Dr. Bernd Walz führte das Publikum in die Welt der Zäpfchen und Stäbchen. Welche Rolle spielt das Calcium beim Sehen und vor allem bei der Adaption des Auges? Auch wer nicht vom Fach war, wurde gebannt. Hingegen war der Vortrag von Prof. Dr. Hellmut Baumgärtel offensichtlich auf seine Professorenkollegen in der zweiten Reihe zugeschnitten, während die Studenten in der letzten Reihe bei seinen halbstündigen, rasanten Ausführungen über den Zusammenhang von Symmetrie und Quantentheorie nur verständnislose Blicke tauschten. Auch die Nachwuchswissenschaftler kamen zu Wort. So berichtete D. Daute über den Gegenstand ihrer Doktorarbeit, in der es um bestimmte Arten von Flüssigkristallen geht.
Da die Vorträge in drei parallelen Vortragsreihen liefen, konnte man nicht alles hören, was angeboten wurde. Wer sich beispielsweise für Daute entschied, mußte auf Prof. Dr. Reinhard Lipowski, den Direktor des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung, verzichten. Und wer von Prof. Dr. Frank Bittmann etwas über die Beschwerden am Bewegungsapparat und der Erkennung ihrer Vorstadien mit Hilfe der Bewegungsanalyse erfahren wollte, mußte notgedrungen die Grundlagen zur Verbesserung der Wettervorhersage, vorgetragen von M. Zebisch, opfern. In Anbetracht der gebotenen Vielfalt empfanden es viele als bedauerlich, daß sie nicht auf drei Hochzeiten gleichzeitig tanzen konnten. ade
Am 30. September 1995, ein halbes Jahr vor seinem siebzigsten Geburtstag, wurde Prof. Dr. Hans Kaiser in den wohlverdienten Ruhestand verabschiedet. Das Institut für Mathematik lud aus diesem Anlaß zu einem Ehrenkolloquium ein. Mit Dr. Kaiser ging einer der Gründungsdirektoren der Universität Potsdam in den Ruhestand.
Doch so ein richtiger Ruhestand wird es wohl nicht werden. So wird er u.a. weiterhin Chefredakteur der Zeitung für Angewandte Mathematik (ZAMM) bleiben und Vorlesungen an der Universität halten. Wer weiß, wie sehr er sich besonders auch für eine moderne Gestaltung der mathematischen Lehre eingesetzt hat, den wundert das nicht. So hat er sich in seiner mehr als vierzig Jahre dauernden Lehrtätigkeit nicht nur darum bemüht, den Mathematik- und Physikstudenten die Kursinhalte in einem erkenntnistheoretischen und wissenschaftstheoretischen Zusammenhang zu lehren. Er hat darüber hinaus eine Reihe von mathematischen Modellen und Filmen entwickelt, um den Lehrstoff anschaulicher zu machen.
Diese geistige Wachheit äußert sich an vielen Stellen. In der Laudatio im Rahmen des Ehrenkolloquiums betonte Prof. Dr.
Rolf Mitzner, der Gründungsrektor der Universität, das große Interesse, welches Dr.
Kaiser für die Hermeneutik hegt.
Am 31.5.1926 in Nägelstedt bei Langensalza/Thür geboren, studierte Hans Kaiser von 1946— 1951 Mathematik in Jena und an der Humboldt-Universität Berlin. Nach dem Diplom war er dort bis 1964 wissenschaftlicher Assistent bzw. Oberassistent. In diese Zeit fällt auch seine Heirat mit Gerlinde Göring sowie die Geburt der beiden Söhne. 1956 promoviert er und wird 1964 Dozent für das Fachgebiet praktische Mathematik und Analysis an der Pädagogischen Hochschule in Potsdam. Nach seiner Habilitation 1967 wird er 1975 zum ordentlichen Professor für Angewandte Mathematik am gleichen Institut berufen. Seit November 1990 war er Ge
schäftsführender Direktor der Brandenbur- gischen Landeshochschule bzw. Universität Potsdam.
In den letzten 25 Jahren forschte Dr. Kaiser in erster Linie auf dem Gebiet der Systemidentifikation. Die Ergebnisse seiner Arbeiten zur Strukturerkennung sowie zur Entwicklung rechnergestützter Methoden, mit deren Hilfe sich Systeme mit einem vorgegebenen Verhalten konstruieren lassen, erlaubten die Herstellung von Interferenzschichtsystemen, die die Ausbreitung elektromagnetischer Wellen in gewünschter Form beeinflussen. Solche Interferenzschichten wurden in Kooperation mit der optischen Industrie angefertigt.
Mit dieser Problematik beschäftigte sich Prof. Dr. Heinz Engl von der Johannes-Kepler Universität Linz in seinem Festvortrag „Inverse Probleme: Theorie, Numerik, Anwendung in der Industrie“. Dabei sind inverse Probleme solche, bei denen nach der Ursache einer beobachteten oder beabsichtigten Wirkung gesucht wird. Im Falle des inversen Streuproblems bedeutet das
beispielsweise, daß eine bestimmte Streuung gemessen wurde und nun nach der Form und Art des Streuers gefragt wird. Dabei ist die Lösung des Problems nicht unbedingt eindeutig.
Der andere Festvortrag wurde von Prof. Dr. Friedrich Hirzebruch vom Max-Plank-Insti- tut für Mathematik in Bonn gehalten. Hier ging es um das weniger anwendungsorientierte Thema: „Die hypergeometrische Differentialgleichung und algebraische Flächen“. Nachdem das Kolloquium geendet hatte, bot sich bei einem Imbiß die Möglichkeit zu entspannter Unterhaltung. ade
Leibniz zur Verabschiedung: Prof. Dr. Hans Kaiser Foto: Tbibukeit
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