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(1.1.2019) 09
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ICH HÄTTE EIN BIS ZWEI SEMESTER VERLOREN."

Computerarbeitsplatz für blinde und sehbehinderte Studierende an der Uni

Es gibt Menschen, die für ihre Arbeit oder ihr Studium noch viel dringlicher als ande­re auf moderne Technik angewiesen sind. Deshalb steht seit einem Jahr an der Uni­versität Potsdam im Unikomplex Babelsberg ein Computerarbeitsplatz blinden und sehbehinderten Studierenden zur Verfügung. Pentium-Rechner - ein sehr moderner Rechner mit guter Konfiguration Scanner, Drucker, CD-Rom Laufwerk und die spe­zielle Braille-Zeile, benannt nach dem Franzosen Louis Braille, der 1825 die Blinden­schrift entwickelte, garantieren weitgehend selbständiges Arbeiten.

Stephanie Marschall studiert im fünften Semester Jura und weiß das zu schätzen. Wenn mir nur Bücher in Schwarzschrift vorliegen würden, hätte ich bereits ein bis zwei Semester Studienzeit verloren." Denn ohne Computerbenutzung müßten aus­schließlich Vorlesekräfte, Zivildienstleisten- de, aus den benötigten Publikationen vorle­send für sie auf Band sprechen. Das ist sehr zeitraubend, denn allem 20 Seiten auf­zulesen, dauert rund vier Stunden. Jetzt werden die entsprechenden Seiten ge­scannt, die Studentin kann sie per Compu­ter abrufen und die Ttexte so für die Anferti­gung von Hausarbeiten oder Klausuren nutzen. Durch die Vernetzung des Platzes sind dort, wie anderswo, diese Informa­tions- und Kommunikationsmöglichkeiten gegeben. Technische Hilfsmittel machen jedoch personelle Unterstützung nicht über­flüssig. Deshalb stehen Stephanie Mar­schall als Ansprechpartnerinnen aus der Zentralen Einrichtung für Informationsver­

arbeitung und Kommunikation (ZEIK) Ga­briele Grabsch und Barbara Rutsch oft auch in deren Freizeit zur Seite.

Dr. Irma Bürger von der Zentralen Studien­beratung und verantwortlich für die Bera­tung behinderter Studierender war aktiv an der Einrichtung dieses Arbeitsplatzes betei­ligt. Nun ist sie bereits mit weiteren Verbes­serungen und Erleichterungen für die be­hinderten Studierenden befaßt.Schön wäre es, wenn eine studentische Hilfskraft eingesetzt werden könnte, die tagsüber zur Betreuung erreichbar ist, um beispielswei­se vorhandene Ttexte digital zu erfassen, aufzubereiten und zu verarbeiten. Bald sei es möglich, per CD auf juristische Inhalte zurückzugreifen und somit Rechtsent­scheidungen abzufragen, berichtete Ga­briele Grabsch. Dazu sei von den Benut­zern lediglich die Abfragesprache zu erler­nen. Mit Hilfe der Braille-Zeile ist dann der gewünschte Text über den Bildschirm ab­lesbar. Dadurch ist der Zugriff der auf Dis­

Die Jura-Studentin Stephanie Marschall kann am Computerarbeitsplatz für Blinde und Sehbehin­derte im Uni-Komplex Babelsberg eigene 7 kxte schreiben, aber ebenso Tbxtdateien mit den Fingern lesen. Foto: Fritze

kette, CD und On-line gespeicherten Lite­ratur auch für Blinde gegeben, und es erüb­rigen sich die unglaublich platzgreifenden Bücher in Blindenschrift.

Die Arbeitsbedingungen sind damit in vie­lerlei Hinsicht ungleich günstiger. Deshalb geht in diesem Zusammenhang auch der Appell von Gabriele Grabsch und Dr. Irma Bürger an die Universitätsbibliothek, derar­tige Literaturquellen für die behinderten Studierenden zu erschließen. Vorausset­zung dafür sei allerdings, daß die Verlage Bücher digitalisiert anbieten,

Der Arbeitsplatz in Babelsberg soll zukünf­tig so individuell ausgebaut werden, daß er auch von hörgeschädigten und körperbe­hinderten Studierenden genutzt werden kann. B.E.

VERSTÄNDIGUNGSPROZESS AM HISTORISCHEN ORT

Gesprächsstoff gab es genug, und der Anlaß des Treffens ergab sich aus zwei hi­storischen Ereignissen: Zum einen jährte sich das Toleranzedikt von Potsdam just zum 310. Mal (8.11.1685), wonach es ei­nem Teil der aus Frankreich vertriebenen Protestanten (Hugenotten), aber auch aus Glaubensgründen bedrängten Schwei­zern und Pfälzern gestattet wurde, sich unter der Regentschaft des Großen Kur­fürsten Friedrich Wilhelm in der Mark Brandenburg anzusiedeln, bei voller Glaubens- und Gewerbefreiheit. Zum an­deren konnte bei dem trinationalen Euro­pa-Seminar 1995 von Deutschen, Franzo­sen und Polen auf 50 Jahre Nachkriegs­entwicklung des geteilten Deutschlands und Europas zurückgeblickt werden. Dieses trinationale Europa-Seminar stand 1995 unter dem Generalthema50 Jahre nach Kriegsende - Rückblick und Ausblick. Frankreich wie auch Polen wurden Opfer der aggressiven Hitler-Tyrannei 1939 und 1940. Es lag daher nahe, die Jugend beider Völker in einem Versöhnungswerk zusam­menzuführen, das sich jeweils im Deutsch- Ranzösischen und Deutsch-Polnischen Ju­

gendwerk institutionalisiert hat. Das Euro­pa-Seminar, das in den vergangenen Jahren in Warschau, Berlin und Montpellier veran­staltet wurde, konnte diesmal in Potsdam, dem histonschen Ort der letzten Konferenz der Knegsalliierten, an Trennendes und Verbindendes erinnern. Auch die beiden Jugendwerke tragen durch ihre Finanzie­rung zu diesem Verständigungsprozeß bei. Natürlich verständigt man sich am besten durch gute Sprachkenntnisse. Wo dieKon­ferenzsprache Deutsch nicht beherrscht wurde, behalf man sich mit dem Engli­schen. Französisch bzw. Polnisch wird bei den anderen Europäern noch selten ge­sprochen. Doch zeigten kulturelle Aktivitä­ten und geselliges Beisammensein, wie leicht sich europäische Nachbarn, vor al­lem Jugendliche, verständigen können. Die Einzelthemen (wieKalter Krieg und Ostpo­litik" oderFremdbilder und Selbstbilder bei Franzosen und Deutschen) wurden in Vorträgen auf wissenschaftliche Art von den akademischen Betreuern der Gruppen vor­gestellt und durch Kurzreferate der Studie­renden facettenreich ergänzt oder vertieft. Auch diplomatische Vertreter Polens und

Frankreichs bereicherten mit ihren Beiträ­gen das Programm. Die europäische Aka­demie in Berlin steuerte - neben der Einla­dung zum Mittagessen - eigene Kurzvorträ­ge bei. Prof. Dr. Günther Behrmann und Dr. Clemens Albrecht aus der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät teilten sich als Gastgeber der Universität Potsdam die Seminarleitung mit Prof. Dr. Jean-Luc Susim von der Universite Montpellier und Prof. Dr. Jan Sawczuk von der neuen Uny- wersitet Opolski in Opole, wo 1996 das nächste Europa-Seminar stattfinden wird. Doch konnte auf organisatorischer Seite keine große Zahl von deutschen Teilneh­mern mobilisiert werden, zumal die vorge­sehenen Kandidaten sich mit akuten Prüfungsnöten und -termmen entschuldig­ten. Die Universität Potsdam, vertreten vor allem bei einem kleinen Empfang durch den Dekan der Wirtschafts- und Sozialwis- senschaftlichen Fakultät, Prof. Dr. Dieter Wagner, wird derartige Hochschulpartner­schaften jedenfalls auch in anderen Berei­chen (nicht zuletzt mit den Partnern in Montpellier und Opole) weiterhin fördern.

Eduard Gloeckner

PUTZ 9/95

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