„ICH HÄTTE EIN BIS ZWEI SEMESTER VERLOREN."
Computerarbeitsplatz für blinde und sehbehinderte Studierende an der Uni
Es gibt Menschen, die für ihre Arbeit oder ihr Studium noch viel dringlicher als andere auf moderne Technik angewiesen sind. Deshalb steht seit einem Jahr an der Universität Potsdam im Unikomplex Babelsberg ein Computerarbeitsplatz blinden und sehbehinderten Studierenden zur Verfügung. Pentium-Rechner - ein sehr moderner Rechner mit guter Konfiguration Scanner, Drucker, CD-Rom Laufwerk und die spezielle Braille-Zeile, benannt nach dem Franzosen Louis Braille, der 1825 die Blindenschrift entwickelte, garantieren weitgehend selbständiges Arbeiten.
Stephanie Marschall studiert im fünften Semester Jura und weiß das zu schätzen. Wenn mir nur Bücher in Schwarzschrift vorliegen würden, hätte ich bereits ein bis zwei Semester Studienzeit verloren." Denn ohne Computerbenutzung müßten ausschließlich Vorlesekräfte, Zivildienstleisten- de, aus den benötigten Publikationen vorlesend für sie auf Band sprechen. Das ist sehr zeitraubend, denn allem 20 Seiten aufzulesen, dauert rund vier Stunden. Jetzt werden die entsprechenden Seiten gescannt, die Studentin kann sie per Computer abrufen und die Ttexte so für die Anfertigung von Hausarbeiten oder Klausuren nutzen. Durch die Vernetzung des Platzes sind dort, wie anderswo, diese Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten gegeben. Technische Hilfsmittel machen jedoch personelle Unterstützung nicht überflüssig. Deshalb stehen Stephanie Marschall als Ansprechpartnerinnen aus der Zentralen Einrichtung für Informationsver
arbeitung und Kommunikation (ZEIK) Gabriele Grabsch und Barbara Rutsch oft auch in deren Freizeit zur Seite.
Dr. Irma Bürger von der Zentralen Studienberatung und verantwortlich für die Beratung behinderter Studierender war aktiv an der Einrichtung dieses Arbeitsplatzes beteiligt. Nun ist sie bereits mit weiteren Verbesserungen und Erleichterungen für die behinderten Studierenden befaßt. „Schön wäre es, wenn eine studentische Hilfskraft eingesetzt werden könnte, die tagsüber zur Betreuung erreichbar ist, um beispielsweise vorhandene Ttexte digital zu erfassen, aufzubereiten und zu verarbeiten.“ Bald sei es möglich, per CD auf juristische Inhalte zurückzugreifen und somit Rechtsentscheidungen abzufragen, berichtete Gabriele Grabsch. Dazu sei von den Benutzern lediglich die Abfragesprache zu erlernen. Mit Hilfe der Braille-Zeile ist dann der gewünschte Text über den Bildschirm ablesbar. Dadurch ist der Zugriff der auf Dis
Die Jura-Studentin Stephanie Marschall kann am Computerarbeitsplatz für Blinde und Sehbehinderte im Uni-Komplex Babelsberg eigene 7 kxte schreiben, aber ebenso Tbxtdateien mit den Fingern lesen. Foto: Fritze
kette, CD und On-line gespeicherten Literatur auch für Blinde gegeben, und es erübrigen sich die unglaublich platzgreifenden Bücher in Blindenschrift.
Die Arbeitsbedingungen sind damit in vielerlei Hinsicht ungleich günstiger. Deshalb geht in diesem Zusammenhang auch der Appell von Gabriele Grabsch und Dr. Irma Bürger an die Universitätsbibliothek, derartige Literaturquellen für die behinderten Studierenden zu erschließen. Voraussetzung dafür sei allerdings, daß die Verlage Bücher digitalisiert anbieten,
Der Arbeitsplatz in Babelsberg soll zukünftig so individuell ausgebaut werden, daß er auch von hörgeschädigten und körperbehinderten Studierenden genutzt werden kann. B.E.
VERSTÄNDIGUNGSPROZESS AM HISTORISCHEN ORT
Gesprächsstoff gab es genug, und der Anlaß des Treffens ergab sich aus zwei historischen Ereignissen: Zum einen jährte sich das Toleranzedikt von Potsdam just zum 310. Mal (8.11.1685), wonach es einem Teil der aus Frankreich vertriebenen Protestanten (Hugenotten), aber auch aus Glaubensgründen bedrängten Schweizern und Pfälzern gestattet wurde, sich unter der Regentschaft des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm in der Mark Brandenburg anzusiedeln, bei voller Glaubens- und Gewerbefreiheit. Zum anderen konnte bei dem trinationalen Europa-Seminar 1995 von Deutschen, Franzosen und Polen auf 50 Jahre Nachkriegsentwicklung des geteilten Deutschlands und Europas zurückgeblickt werden. Dieses trinationale Europa-Seminar stand 1995 unter dem Generalthema „50 Jahre nach Kriegsende - Rückblick und Ausblick“. Frankreich wie auch Polen wurden Opfer der aggressiven Hitler-Tyrannei 1939 und 1940. Es lag daher nahe, die Jugend beider Völker in einem Versöhnungswerk zusammenzuführen, das sich jeweils im Deutsch- Ranzösischen und Deutsch-Polnischen Ju
gendwerk institutionalisiert hat. Das Europa-Seminar, das in den vergangenen Jahren in Warschau, Berlin und Montpellier veranstaltet wurde, konnte diesmal in Potsdam, dem histonschen Ort der letzten Konferenz der Knegsalliierten, an Trennendes und Verbindendes erinnern. Auch die beiden Jugendwerke tragen durch ihre Finanzierung zu diesem Verständigungsprozeß bei. Natürlich verständigt man sich am besten durch gute Sprachkenntnisse. Wo die „Konferenzsprache“ Deutsch nicht beherrscht wurde, behalf man sich mit dem Englischen. Französisch bzw. Polnisch wird bei den anderen Europäern noch selten gesprochen. Doch zeigten kulturelle Aktivitäten und geselliges Beisammensein, wie leicht sich europäische Nachbarn, vor allem Jugendliche, verständigen können. Die Einzelthemen (wie „Kalter Krieg und Ostpolitik" oder „Fremdbilder und Selbstbilder bei Franzosen und Deutschen“) wurden in Vorträgen auf wissenschaftliche Art von den akademischen Betreuern der Gruppen vorgestellt und durch Kurzreferate der Studierenden facettenreich ergänzt oder vertieft. Auch diplomatische Vertreter Polens und
Frankreichs bereicherten mit ihren Beiträgen das Programm. Die europäische Akademie in Berlin steuerte - neben der Einladung zum Mittagessen - eigene Kurzvorträge bei. Prof. Dr. Günther Behrmann und Dr. Clemens Albrecht aus der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät teilten sich als Gastgeber der Universität Potsdam die Seminarleitung mit Prof. Dr. Jean-Luc Susim von der Universite Montpellier und Prof. Dr. Jan Sawczuk von der neuen Uny- wersitet Opolski in Opole, wo 1996 das nächste Europa-Seminar stattfinden wird. Doch konnte auf organisatorischer Seite keine große Zahl von deutschen Teilnehmern mobilisiert werden, zumal die vorgesehenen Kandidaten sich mit akuten Prüfungsnöten und -termmen entschuldigten. Die Universität Potsdam, vertreten vor allem bei einem kleinen Empfang durch den Dekan der Wirtschafts- und Sozialwis- senschaftlichen Fakultät, Prof. Dr. Dieter Wagner, wird derartige Hochschulpartnerschaften jedenfalls auch in anderen Bereichen (nicht zuletzt mit den Partnern in Montpellier und Opole) weiterhin fördern.
Eduard Gloeckner
PUTZ 9/95
Seite 12