Heft 
(1.1.2019) 09
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ALS STUDENT FÖRMLICH AN DIE HAND GENOMMEN

Nach zwei Semestern am Augustana College in Sioux Falls, South Dakota

Wiebke Albert studiert in Potsdam Sla- vistik, Anglistik/Amerikanistik und Volks­wirtschaftslehre. Sie kam im Sommer die­ses Jahres vom Augustana College in Si­oux Falls, South Dakota/USA zurück und schildert nachfolgend ihre Eindrücke:

Sioux Falls liegt im Südosten des US- Bundesstaates South Dakota und ist mit seinen ca. 110 000 Einwohnern die größte Stadt und wichtigstes Geschäfts-, Bank-, Verwaltungs- und Transportzentrum der Region Die Stadt verdankt ihren Namen den Wasserfällen des Big Sioux River, in dessen Umgebung ursprünglich einmal die Santee Sioux Indianer gelebt und gejagt haben. Diese wurden aber im Jahre 1851 aufgrund eines Vertrages mit weißen Sied­lern aus dieser Gegend vertrieben. Haupt­sächlich nach dem Ende des Bürgerkrie­ges siedelten sich hier Skandinavier, Deut­sche, später auch Holländer, Iren und Tschechen an und verhalfen der Stadt zu einer raschen wirtschaftlichen und infra­strukturellen Entwicklung.

Das Augustana College wurde 1860 von skandinavischen Emigranten gegründet und hat im Zuge der Pionierbewegung ei­nige Male seinen Standort verändert. Augustana ist ein privates liberal-arts Col­lege der Evangelical Lutheran Church in America. Auf seinem knapp 50 ha großen Campus studieren und wohnen etwa 1800 Studenten aus 35 Bundesstaaten und 12 Ländern. Das Verhältnis Student.Professor beträgt 13:1.

Wiebke Albert beim Keramikkurs - eine kleine Auilockerung des Stundenplans .

Das Studienjahr staffelt sich in zwei vier­zehnwöchige Semester, die durch einen vierwöchigen Interim im Januar miteinan­derverbunden sind. In diesem Interim kann man, muß man aber als Austauschstudent nicht unbedingt einzelne Kurse im Block studieren und abschließen. Bei der Auswahl der Seminare und Vorlesungen stehen je­dem Studenten Student advisors beratend zur Seite. Uns ausländischen Studenten war außerdem unser International Student Advisor, Donn Grmager, mit Rat und Tät

Der Campus des Augustana College umfaßt rund SO Hektar; das Betreuungsverhältnis Professor: Student beträgt übrigens 1:13.

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behilflich. Überhaupt ist mir aufgefallen, daß man als Student förmlich an die Hand genommen und einem der Weg durch den Rapierdschungel geebnet wird. Das schützt einen aber nicht vor eventuellen Mißver­ständnissen oder kleinen bürokratischen Problemen wie Namensverwechslungen, die dann alle Unterlagen plötzlich an ganz anderer Stelle wieder auftau­chen lassen. Doch läßt sich dabei keiner aus der Ruhe bringen, sondern bleibt ge­lassen und gewohnt freund­lich. Fast alle internationalen Austauschstudenten werden automatisch als juniors, d.h. also ins dritte Studienjahr eingestuft. Der von jedem Studenten zu sammengestellte Stundenplan muß im Registrars Office abgegeben und bestätigt und unter Umständen (z.B. bei überfüllten Kursen) geändert werden. Als Austauschstu­dent muß man mindestens 12 credits (nicht mit unseren Semesterwochenstunden gleichbedeutend) pro Semester absolvieren, um als voll eingeschriebener Student zu gel­ten. Die Anrechnung von Kursen an der hei­matlichen Universität ist dann allerdings von Fach zu Fach unterschiedlich. Übrigens: Kam man am Augustana College einmal mit einer Frage nicht weiter, so war einem der je­weilige Professor gern behilflich. Nicht um­sonst erhielten die Studenten in der ersten Stunde die Sprechzeiten und Privat­telefonnummern von ihren Professoren!

Das Studieren und Zusammenwohnen mit Amerikanern ist insofern gewöhnungs­bedürftig, als der Altersunterschied ziem­lich groß ist, und dies auch häufig an der mangelnden Selbständigkeit und Reife der jungen Amerikaner zu spüren ist. Viele kom­men nach dem Highschool-Abschluß aus einem - manchmal zu sehr - behütenden Elternhaus direkt ans College und wollen sich dann natürlich erst malaustoben. Dann kann es im Wohnheim schon mal

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recht turbulent und laut zugehen - und das, Obwohl das Augustana College z.B. ein Dry Campus ist, man sich also in den Wohnhei­men und innerhalb des gesamten College für Alkoholgenuß und -besitz strafbar macht. Dennoch würde ich Potsdamer Stu­denten empfehlen, nach dem zweiten Stu­dienjahr, frühestens aber nach Abschluß des 21. Lebensjahres zum Studium in die USA zu rei­sen, das trifft nach meinen Erfahrungen besonders auf Sioux Falls zu. Zwei wichti­ge organisatorische Dinge sollte man vor Antritt der Reise in die Vereinigten Staaten beachten. Es emp­fiehlt sich, sein Visum für die USA rechtzeitig zu beantragen. Da ich beinahe an den Sprechzeiten gescheitert wäre, no­tiere ich nachfolgend Adresse und Öff­nungszeiten der Konsularabteilung der Bot­schaft der USA in Berlin-Zehlendorf: Konsularabteilung der Botschaft der USA, Außenstelle Berlin, Clayallee 170, 14195 Berlin, Ttel.: 030/819 74 54. Öffnungszeiten: montags bis freitags 8.30-10.30 Uhr und 15.00-16.00 Uhr (Abholen von Dokumen­ten), mittwochs geschlossen.

Dieses Jahr in Sioux Falls hat meinen Erfah­rungsschatz jedenfalls um vieles bereichert und mir bestätigt, daß man andere Völker und deren Kulturen nur kennen- und schät­zen lernen kann, wenn man selbst lange genug in ihrem Land gelebt hat. Für mich war es weiterhin unheimlich interessant, meine Erlebnisse mit jenen so entgegenge­setzten Erfahrungen und Eindrücken zu vergleichen, die ich während eines einjäh­rigen Studiums in Rußland im Jahre 1990/91 gemacht hatte. Ich habe dadurch auch ge­lernt, daß die Kultur, in der ich aufgewach­sen bin, nicht das Maß aller Dinge ist. Auf jeden Fall würde ich jederzeit wieder gern im Ausland leben und arbeiten.

Ttext und Fotos: Wiebke Albert

Seite 22

PUTZ 9/95