TÄTEROPFER
BERNSTEINZIMMER
Sie haben es niemals getan, wo wären denn die Beweise?
Sie erinnern sich nicht genau, gab es denn wirklich Berichte?
Wenn es sie tatsächlich gab, sie schadeten sicher niemand,
Nun gut, es hat sie gegeben, Berichte, die längst vergessen.
Sie waren sogar sehr kritisch und wurden zurechtgewiesen.
Sie konnten manchem auch helfen und ihn vor Schaden bewahren.
Eine ganz und gar unglaubliche Geschichte ist es, die ganz Zülchow - ein kleiner Ort irgendwo im Brandenburgischen - auf den Kopf stellt: Da steigt ein Mann aus dem Keller eines Buchladens, angetan mit einer alten Uniformjacke und einem Wehrmachtshelm auf dem Kopf und behauptet, Theodor Fontane zu sein. Bruno Steinlein, der Besitzer des Ladens, staunt nicht schlecht über die sonderbare Erscheinung, die da plötzlich vor ihm steht. Will dieser doch wissen, daß ausgerechnet in Zülchow das berühmte, seit 1945 verschollene Bernsteinzimmer versteckt sein soll. Kaum ausgesprochen, verbreitet sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. Schatzsucher fallen in Scharen in den Ort ein, Bagger wühlen sich durch den Grund und Investoren ge
ben sich die Klinke in die Hand... So will es jedenfalls die Story der märkischen Komödie „Bernsteinzimmer", die am 29. November 1995 auf der Bühne Zimmerstraße des Potsdamer Hans Otto Theaters Premiere hatte. In der Regie von Günter Rüger spielen u.a. Alfred Struwe (links) als Fontane und Gisela Leipert (rechts) als Pastorin. Das Theater zeigt das Stück übrigens in einer Bühnenfassung, die der Autor Detlef Michel nicht autorisiert hat und für die er deshalb nicht namentlich zeichnet. Weitere Aufführungen finden am 22. und 29, Dezember 1995 sowie am 5. Januar 1996 jeweils um 19.30 Uhr im Haus Zimmerstraße statt. Kartenbestellungen können unter Telefon 0331/2800693 vorgenommen werden.
zg./Foto: Jauk
Sie sagen, sie mußten es tun, der Beruf, die Familie, versteh'n Sie?
Sie taugten nicht zum Märtyrer, wer hätte sie denn verteidigt?
Herr, vergib ihnen nicht, denn sie wußten sehr wohl, was sie taten.
Hiltrud Wedde
Die Autorin Dr. Hiltrud Wedde ist im Institut für Anglistik und Amerikanistik der Philosophischen Fakultät I als Lektorin tätig.
NACHBARN AUS MITTELEUROPA
Zum ersten Mal las in der Reihe „Nachbarn aus Mitteleuropa. Dichterlesungen in Potsdam“, die vom Lehrstuhl für West- slavische Literaturen und Kulturen der Universität Potsdam organisiert wird, eine polnische Autorin. Die Lyrikerin Ewa Lipska kam aus Wien nach Potsdam, da sie dort gegenwärtig im diplomatischen Dienst tätig ist. Ihrer baldigen Rückkehr in die Heimatstadt schaut die gebürtige Krakauerin mit großer Ungeduld und Freude entgegen.
Vehement verwahrte sich die Dichterin nach dem Vortrag eines ihrer ersten Gedichte mit dem Titel Wir“ gegen eine Zuordnung zu einer literarischen Bewegung //Auch wenn dieses Gedicht, das mit Versen wie Wir erben die Angst, die nach den Töten geblieben ist“ die Erfahrung der unmittelbar nach dem Krieg Geborenen ausdrückt, zum Programm einer ganzen Dichtergeneration, der „Nowa Fala“ (Neue Welle) wurde, so stellte Ewa
Sich austauschen, (vor-)lesen und zuhören steht im Mittelpunkt der Reihe „Nachbarn aus Mitteleuropadies war auch bei der polnischen Autorin Ewa Lipska (r.) der Fall. Foto: Krehl
Lipska dem in Potsdam entgegen: „Ich habe versucht, immer nur mir selbst zu gehören.“ Ihre Gedichte, die inzwischen zehn Lyrikbändchen füllen, werden oft als pessimi
stisch oder traurig bezeichnet; doch entbehrt die Kunst für Ewa Lipska solcher Attribute - und wenn doch notwendig, so ließe sie für ihr Werk höchstens „existentialistisch" zu.
Mit einer kleinen Kostprobe dokumentierte die Lyrikerin ihre Zugehörigkeit zur polnischen aphoristischen Tradition, denn im Witz liegen für sie Ernst und Unbehagen. Deshalb bevorzugt sie auch die von ihr meisterhaft beherrschten Stilmittel der Ironie, des makabren Humors und des Paradoxons. „So zu schreiben, daß der Bettler/ glaubt, es sei bare Münze, /Und die im Sterben Liegenden, /es sei Geburtstag“ gelingt Ewa Lipska mit kühnen Metaphern, dem Spiel mit grammatischen Formen, mit einem pointierten Tfextaufbau. Mit der Autorin einig waren sich die Zuhörer am Ende der Lesung, daß sich ihre “texte nicht pauschal der „Frauenliteratur“ zuordnen lassen, in deren Nähe Kritiker sie gerne rücken.
Birgit Krehl
Seite 28
PUTZ 9/95