VON UNGLEICHHEIT UND HETEROGENITÄT
Professor Dr. Uwe Engel hielt seine Antrittsvorlesung
Prof. Dr. Uwe Engel. Foto: Tribukeit
In diesem Wintersemester hielt Prof. Dr. Uwe Engel seine Antrittsvorlesung bei der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam über Ungleichheit und Heterogenität, über Akteure, soziale Systeme und Erklärungen sozialen Verhaltens. Uwe Engel ist der jüngste Professor an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät. Gleichwohl kann er auf eine Reihe überragender wissenschaftlicher Arbeiten zurückblicken. Nach dem Studium der Erziehungswissenschaften, Psychologie und Soziologie in Hannover betrieb Prof. Dr. Engel Studien zu Arbeit, Beruf und Bildung, bis er Mitte 1989 zur Datenanalyse promovierte. Ferner leitete er an der Universität Bielefeld als wissenschaftlicher Mitarbeiter Projekte im Bereich von Prävention und Intervention im Kindes- und Jugendalter und befaßte sich an der Universität Duisburg mit der Risikowahrnehmungsanalyse. Nach seiner Habilitation über riskante Lebensverhältnisse nahm Prof. Dr. Engel eine kurze Professur in Chemnitz wahr, bevor er im Februar 1995 an die Universität Potsdam wechselte.
In Potsdam befaßt sich Uwe Engel mit der Umweltverhaltensforschung, insbesondere mit Voraussetzungen und Steuerbarkeit von Umweltverhalten. Mit diesem Thema beschäftigte sich auch die Antrittsvorlesung, in der Prof. Dr. Engel zunächst die Pros und Contras des Mehrebenenansatzes diskutierte. Bei aller Sympathie für individualistische Verhaltenserklärungen oder rem psychologische Verhaltenserklärungen sei zu berücksichtigen, daß Verhalten nicht nur zweckrational sein müsse, sondern sich auch an Werten orientieren könne. Nach der Lazars- feld-Menzel-Typologie neigten Menschen zu Gruppenbildung verschiedenster Art, wobei es unerheblich sei, wie die konkrete Aggregation vorgenommen werde. Vielmehr komme es darauf an, daß Mitglieder individuelle und gemeinschaftliche Eigenschaften hätten. Somit fielen auch Ungleichheit und Heterogenität unter diese Merkmale der Lazarsfeld-Menzel-Typologie. Grundarbeitsmittel der Soziologie sei daher nach wie vor eine mehr oder minder geschickte Vergleichsbildung, etwa eine Einteilung in Klassen, Schichten, Konfessionen, Berufe oder ähnliches. Dabei würden allerdings implizit diejenigen Aspekte vernach
lässigt, die sich nicht im Rahmen einer dieser Vergleichsgrößen darstellen ließen. Hierin liege das Risiko. Eine Eigenschaft, die auf einer Aggregatebene liegt, könne eventuell nicht auf eine Verhaltensweise folgern lassen. So könne allem die Tatsache, in einer Region mit hoher Arbeitslosigkeit zu leben, zu bestimmten Schlüssen, beziehungsweise Wahlverhalten, veranlassen, auch ohne daß der Schließende selbst arbeitslos sei. Umgekehrt könne auch nicht von einem bestimmten Struktureinfluß auf einen Aggregateinfluß geschlossen werden. Struktureffekte seien nicht nur Erwerbseffekte. Arbeitslosigkeit etwa besitze als Struktur- variable im Haushalt und im Individualverhalten nur wenig Auswirkung, auf der Aggregatebene aber dafür umso mehr. Schließlich könne ein und dieselbe Bedingung unterschiedliche Makroreaktionen hervorrufen, wobei nicht nur die Bedingung selbst, sondern auch die Häufigkeit einer Bedingung innerhalb einer Gesellschaft ausschlaggebend sei.
In diesem Zusammenhang befaßte sich der Vortrag mit Galtung und der Theorie des sogenannten Cnss-cross. Danach steige die Kluft in einer Gesellschaft in dem Maße, in dem tiefe Konflikte aufemanderfallen. Sofern sich Konflikte jedoch überlagern, sei die Wahrscheinlichkeit einer Verbindung größer. Durch das wechselseitige Koalitionsverhalten komme es dazu, daß der Gegner von heute der Verbündete von morgen sei. Gruppen- und Klassenunterschiede würden somit konsolidiert. Gleichwohl könne Cnss-cross nicht stellvertretend für alle Theonen stehen. Schließlich stellte Prof. Dr. Engel die These auf, Strukturmerkmale könnten nur dann Wirkung entfalten, wenn sie sich auf die Lebenswirklichkeit von Menschen niederschlügen. Da beispielsweise Wohlhabende und Arme einer Gesellschaft an verschiedenen Orten lebten, träfen sie einander nur selten. Also seien ihre Lebenswirklichkeiten getrennt und Strukturmerkmale entfalteten sich nur in einer Gruppe. Analyse allein genüge daher nicht. Vielmehr sei eine Untersuchung der Struktureinflüsse nötig. Beobachtet werden müsse also, wo Menschen arbeiteten, lebten, zur Schule gingen.
Bezüglich der Umwelt wurde zunächst deren Besonderheit hervorgehoben, daß niemand von ihrer Nutzung als Kollektivgut ausgeschlossen werden könne. Umweltverhaltensforschung schließlich befasse sich insbesondere mit den Bedingungen, unter denen Menschen bereit seien, Einschränkungen in bezug auf die Umwelt auf sich zu nehmen. Leider sei hier festzustellen, daß sich Akteure Moral nur solange leisteten, wie sie nicht allzuviel koste. Thilo Seelbach
WBL-JAHRESTAGUNG IN POTSDAM
„Man muß gleich anfangs das Werk der Wissenschaft auf Nutzen richten, sonst wird die Regierung ihre Hand zurückziehen; denn reale Mimstri werden unnützer Curiositäten bald überdrüssig und rathen keinem großen Fürsten, viel Staat damit zu machen.' 1 , zitierte Prof. Dr. Ingolf Hertel, Präsident der Wissenschaftsgemeinschaft Blaue Liste (WBL), auf der Jahrestagung der Gemeinschaft an der Universität Potsdam im November '96 Gottfried Wilhelm Leibnitz. Er bezog sich damit auf die Firage, ob der Blauen Liste nicht ein anderer Name besser stünde, und deutete gleichzeitig die schwierige Situation der momentan 76 Mitgliedsinstitute an: Diese werden derzeit durch den Wissenschaftsrat evaluiert, für 15 Institute liegen bereits Beurteilungen vor: Fünf von ihnen erhielten eine „rote“, drei eine „gelbe Karte".
Da das Gesamtvolumen der staatlichen Finanzierung von 1,3 Milliarden DM erhalten werden soll, können bei einem Ausscheiden einzelner Institute aus der Förderung (aber nur dann) andere nachrücken. Derzeit stehen 15 vom Wissenschaftsrat zur Aufnahme empfohlene Institute auf der Warteliste. Hertel begriff die Evalierung als Chance: „Unser aller gemeinsames, vordringliches Anliegen muß sein, daß die WBL als Ganze durch das Bewertungsverfahren des Wissenschaftsrats deutlich an Qualität und Profil gewinnt." Er rief die einzelnen Institute zur Solidarität innerhalb der Gemeinschaft auf, da die WBL angesichts der schwierigen Zeiten nur als Gesamtsystem überleben könne. Tägungsthema war außerdem die volle Öffnung für Förderungen durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG). Bisher bewilligt die DFG überwiegend Anträge, die nicht zum Hauptarbeitsgebiet der Institute gehören - nur 1,8 Prozent der Mittel wurden auf diese Weise eingeworben. Die Vereinbarung zwischen WBL und DFG hat auch ihren Preis: Fünf Prozent der finanziellen Grundausstattung sollen an die DFG abgeführt werden. Angesichts von nur 15 Prozent nicht personengebundener Mittel im Gesamthaushalt der WBL ein stolzer Preis. ade
Dr. Winfried Benz, Generalsekretär des Wissenschaftsrates. Foto: Tribukeit
PUTZ 1/97
Seite 13