CAMPUS
GELUNGENE ITALIENISCHE WOCHE IN BRANDENBURG
Institut für Romanistik organisierte das literarische Programm
Im November des vergangenen Jahres hat man in Brandenburg Italienisch gesprochen: Italienische Künstler waren hier zu Gast, um verschiedenste Aspekte der Kultur ihres Landes vorzustellen. Von Cottbus bis Neuruppin, von Ttemplin bis Rathenow, überall waren die Potsdamer Italianistikstudenten als Mittler zwischen den Künstlern und dem brandenburgischen Publikum unermüdlich tätig. Aber die Beteiligung der Universität Potsdam an dieser „Italienischen Woche“ erschöpfte sich nicht in der Stellung der Dolmetscher. Das Institut für Romanistik hatte auch das literarische Programm organisiert, das sich als großer Erfolg erwies. Die feministische Schriftstellerin Dacia Maraini zeigte sich überrascht vom großen Interesse, das das deutsche Lesepublikum der zeitgenössischen italienischen Literatur entgegenbringt. Genauso konnten sich Daniele Del Giudice, einer der bedeutendsten Vertreter der jüngeren Schriftstellergeneration, und sein Kollege Mario Fortunato über eine engagierte Zuhörerschaft freuen.
Zwei Beiträge kamen aus dem eigenen Hause: Die unter Italiens FVeunden wohlbekannte und geschätzte Zeitschrift „Zibaldone“ wurde von der Herausgeberin Prof. Dr. Helene Harth und dem Redakteur Albrecht Buschmann aus dem Institut für Romanistik vorgestellt. Professor Harth hielt überdies einen Vortrag, in dem sie anhand einiger Schlüsselfiguren wie Carlo Levi, Pier Fäolo Füsolini und vor allem Italo Calvino die Entwicklung der italienischen Literatur der Nachknegszeit aus deutscher Sicht skizzierte. Dem zahlreich erschienenen fachkundigen Publikum gab sie einen kritischen Einblick in die komplexe und nicht unumstntte- ne Rolle der Schriftsteller in der sich schnell wandelnden italienischen Gesellschaft. Besonders spannend war der Vergleich zwischen der italienischen und der deutschen Perzeption dieser Entwicklung, so zum Beispiel die Faszination, die der Neorealismus in Deutschland durch das Bild eines archaischen Italiens ausübte, während er in Italien vornehmlich als engagierte Literatur galt. So verfolgten die deutschen Leser mit Bedauern die Distanzierung der italienischen Autoren von der Politik Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre und ihre Annäherung an die europäische und amerikanische Avantgarde, weil in Deutschland der Neorealismus schon zum Markenzeichen Italiens geworden war, während viele der italienischen Kritiker die Entfernung vom Engagement eher aus moralischen und politischen Gründen tadelten,
Am Beispiel des Erzählwerks von Italo Calvino zeigte Helene Harth, wie das Oszillieren zwischen sozialkritischem Realismus und ästhetischer Innovation keineswegs chronologisch zu verstehen ist, sondern als permanente Polarität, die die italienische Literatur der Nachkriegszeit prägt, Sie stellte Calvino jedoch noch unter einem ganz neuen Gesichtspunkt vor, und zwar als frühen Vertreter des intermedialen Diskurses in der Literatur. In seinem Spätwerk zeigte sie Beispiele einer Auseinandersetzung mit den neuen Bildwelten der Massenmedien, eine Tfendenz, die erst Umberto Eco und andere
jüngere Autoren verfolgt haben, und zwar auf einem Niveau, wie man es sonst nur in der amenkanischen Postmoderne kennt. Von der „Italia arcaica e semplice" also zur Heimat der literarischen Intermedialität? Helene Harth wollte dazu keine Prognose stellen. Quo vadis, Italia? Auch Jens Petersen, Leiter des Deutschen Historischen Instituts in Rom, verweigerte in seinen beiden hochaktuellen Beiträgen jede Vorhersage. In einem Vortrag stellte er die teilweise überraschenden Reaktionen der italienischen Presse auf die deutsche „Wende“ zur Diskussion. Nach 1945 hatten sich die italienischen Linksintellektuellen eher mit der DDR als mit der Bundesrepublik identifiziert, weil sie in der DDR eine Garantin des Antifaschismus sahen. Infolgedessen befürworteten sie die Tfeilung Deutschlands nicht nur als gerechte Strafe für die Kriegsverbrechen, sondern auch als Sicherungsmaßnahme für den europäischen Frieden. Trotzdem reagierten auch sie zunächst auf den Mauerfall mit Freude und Begeisterung. Dennoch: Ihr Vertrauen in das neue Deutschland war nicht frei von Ängsten und Skepsis. Petersen sprach von zweierlei Reaktionen der Italiener: „Ja, aber“ und „Nein, jedoch". Die Bedenken erwüchsen nicht nur aus der Erinnerung an die Vergangenheit, sondern auch aus der Angst, ein zu mächtiges Deutschland könnte ein Hindernis für Europa sein und die wirtschaftliche Deklassierung Italiens nach sich ziehen. Bedenklich erschien Petersen allerdings in der italienischen Presse eine einseitige Auswahl der deutschen Stimmen, die diesen Ängsten entsprechen. Abschließend erinnerte er an zahlreiche neonazistische Zwischenfälle nach der Wende, die die Hoffnungen von 1990 in Frage stellten und die Befürchtungen der Italiener bestätigten.
Die Frage nach der Aktualität des italienischen Neofaschismus hingegen, die in der lebhaften Diskussion zum Vortrag gestellt wurde, war auch Gegenstand einer Lesung, mit der Jens Petersen sein Buch „Quo vadis, Italia“ vorstellte. Dann sucht er die Gründe der aktuellen Knse in der problematischen Geschichte Italiens seit der Einigung und
spannt den Bogen bis hin zur Auflösung des alten Färteiensystems und den neuen Gruppierungen von Bossi, Firn und Berlusconi. Die politischen Umbrüche seit der Veröffentlichung im letzten Jahr haben Jens Petersen jedoch bereits zu einer Überarbeitung seines Buches veranlaßt. Olga Cerrato
ZEITSCHRIFT „ZIBALDONE" VORGESTELLT
In der ersten Novemberwoche des vergangenen Jahres stand Brandenburg im Zeichen der italienischen Kultur, die m unzähligen Konzerten, Theater au fführungen, Filmabenden und Lesungen präsentiert wurde. Auch die Universität Pots-dam war an der Organisation und Durchführungbeteiligt. Studierende der Italiamstikbetreuten die angereisten Künstler und Künstlergruppen und ermöglichten durch ihr Engagement den reibungslosen Ablauf der Veranstaltungen vor Ort; hochmotiviert für ihr weiteres Studium kehrten sie von dieser besonders intensiven Begegnung mit dem lebendigen Italien zurück.
Die Mitarbeiter des Instituts für Romanistik gestalteten eine Woche lang jeden Abend ein literarisches und wissenschaftliches Programm. An einem dieser Abende stellte Prof. Dr. Helene Harth, Prorektorin der Universität (Bild), gemeinsam mit dem Redakteur Albrecht Buschmann die von ihr herausgegebene Zeitschrift für italienische Gegenwartskultur „Zibaldone" vor. lolanda da Forno, Franco Sepe und Sabine Zangenfeind präsentierten in zweisprachigen Lesungen namhafte Schriftsteller wie Dacia Maraini, Daniele del Giudice und Mario Fortunato. TYotz der Konkurrenz mit all den anderen attraktiven Programmpunkten der italienischen Kulturwoche waren die Veranstaltungen desfn- stituts für Romanistik sehr gut besucht, bis zu 80 Zuhörer kamen zu den Lesungen. Die italienische Literatur ist in Potsdam also heimisch geworden und findet ihr Publikum. Was die Mitarbeiter des Instituts bestärkt, weiterhin nicht nur m der Universität, sondern auch in der Stadt „ihre“ Kulturen lebendig zu präsentieren.
Abrecht Buschmann/Foto: Fbitze
PUTZ 1/97
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