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PLÄDOYER FÜR EINE EUROPÄISCHE WETTBEWERBSBEHÖRDE
Zu einem Vortrag des Präsidenten des Bundeskartellamtes
Die Schaffung eines Europäischen Kartellamtes stand im Mittelpunkt eines Vortrags, den der Präsident des Bundeskartellamtes, Dieter Wolf, Ende Oktober 1996 vor einem völlig überfüllten Hörsaal hielt. An die Universität Potsdam kam er auf Einladung des Volkswirtes Prof. Dr. Norbert Eickhof, der in diesem Semester zusammen mit dem Politologen Prof. Dr. Wilhelm Bürklin und dem Juristen Prof. Dr. Eckart Klein ein interdisziplinäres Europa-Seminar veranstaltet.
Der Präsident des Bundeskartellamtes machte anhand der Praxis der Europäischen Fusionskontrolle deutlich, daß eine institutioneile Reform der europäischen Wettbewerbspolitik dringend erforderlich ist. Zunächst führte er aus, daß sein Thema zwar aktuell, aber nicht neu sei. Vielmehr sei eine Verfolgung der Wettbewerbsregeln schon Thema der Römischen Gründungsverträge von 1957 gewesen. Erst im Laufe der Zeit sei jedoch zunehmend deutlich geworden, daß auf europäischer Ebene eine wirksame Fusionskontrolle fehle.
Im Dezember 1989 trat schließlich eine europäische Fusionskontrollverordnung in Kraft. Sie wird angewendet von der Kommission der Europäischen Union. Doch sei vor dem Hintergrund der als sehr sensibles Instrument seit jeher kontrovers diskutierten Fusionskontrolle die Frage aufgeworfen worden, ob die Kommission deren geeignete Anwenderin sei. Schließlich wäre Rechtsanwendung keine Aufgabe der Politik. Vielmehr bedürfe es einer unabhängigen europäischen Behörde. Die Bundesregierung habe daher einen Vorschlag zur Errichtung einer solchen unterbreitet.
Gegen „politischen Kuhhändel"
Der Präsident des Bundeskartellamtes forderte, daß auch das Wettbewerbsrecht der europäischen Integration dienen müsse. Nicht zu gewährleisten sei dies unter Beibehaltung der bisherigen Praxis der Vermischung von Recht und Politik, Wettbewerb und Wirtschaft. Zur Begründung seiner These führte Dieter Wolf aus, daß an die 20 europäischen Kommissare eine Reihe von politischen Erwartungen geknüpft sei. Für Entscheidungen in Wettbewerbsfragen müsse der zuständige Kommissar jeweils die Mehrheit der übrigen Kommissare, die ihrerseits eigene Ressorts haben, auf seine Seite ziehen. Entscheidungen dieses Kollegialorgans gerieten daher oftmals in den Bereich „politischer Kuhhandel“.
Fand deutliche Worte bei seinem Vortrag an der Uni Potsdam: der Präsident des Bundeskartellamtes, Dieter Wolf.
Foto: Pressestelle der Bundesregierung
Gerade bei der Fusionskontrolle, die großen Einfluß auf Investitionen, Allokationen und besonders wichtige wirtschaftliche und politische Interessen habe, könnte eine unabhängige Wettbewerbsbehörde in einem sehr viel glaubwürdigeren Rahmen agieren. Dabei müßten außerwettbewerbliche Überlegungen keineswegs außen vor bleiben. Vielmehr könnten überragende Interessen des Allgemeinwohls, wie bei der deutschen Ministererlaubnis, unter dem wachsamen Auge der Öffentlichkeit gewahrt werden. Wenn Wettbewerb hinter anderen Gesichtspunkten zurücktreten solle, müsse dafür jemand politisch eindeutig verantwortlich gemacht werden.
Darüber hinaus sei die Arbeit einer unabhängigen Behörde wesentlich effektiver und sinnvoller. Durch die Erweiterung der Gemeinschaft steige die Arbeitsbelastung der Kommission. Außerdem würden die Fusionsverfahren immer komplizierter. Unternehmen müßten heute schon bei Füsio- nen mit unzumutbaren Entscheidungszeiten rechnen. Auch lasse die Qualität der Entscheidungen zu wünschen übrig. Bei ihrer Entscheidung wende die Kommission Wettbewerbsregeln mitunter nur selektiv an oder entscheide lediglich summarisch, um der Fülle der Anträge Herr zu werden. Damit würden nicht nur die Mitwirkungsrechte der Mitgliedsstaaten verletzt, sondern auch die Rechte Dritter und der Unternehmen selbst auf eine verläßliche und schnelle Entscheidung.
Eine behördliche Entscheidung würde dagegen zu einer verläßlichen, vorhersehbaren Entscheidung führen, auf die sich die
Unternehmen vorbereiten könnten. In Deutschland kennten Unternehmen und Behörden mehr und mehr die Entscheidungspraxis und die Kriterien des Bundeskartellamtes. Sie könnten sich daher sicher sein, daß nicht Probleme von einer Seite auf sie zukämen, die mit dem Schutz des Wettbewerbes nichts zu tun hätten, und daher schon frühzeitig wirtschaftliche Dispositionen treffen. Mit einer höheren Industriefreundlichkeit rechnend, betrieben viele Unternehmen in Brüssel die Praxis des Lobbying. Dies falle Großunternehmen leichter als mittelständischen Unternehmen. Mithin seien Großunternehmen zumindest latent bevorzugt.
Eine europäische Behörde für den Wettbewerb
Vor diesem Hintergrund hätten schon die Väter der Römischen Verträge die Wettbewerbskontrolle als Rechtsanwendung ausgestaltet und nicht als Gemeinschaftspolitik. Eine wirklich wettbewerbsschützende Behörde könnte der Wirtschaft in Europa eher auf die Sprünge helfen als die Fusionskontrolle durch die Kommission. Die Kommission ihrerseits hält der Bundesregierung vor, es gäbe in Deutschland eine lange Tradition und einen sehr tiefen Wettbewerbsgedanken, aber was in der Bundesrepublik erfolgreich sei, tauge in diesem Fall nicht für Europa. Präsident Wolf hält diese Argumentation nicht für schlüssig. Darüber hinaus sei die Tradition der behördlichen Wettbewerbskontrolle auch in Deutschland nicht besonders alt. Erst das Bundeskartellamt habe dieser Kontrollfunk- tion entsprochen. Durch seine unabhängige Arbeit sei es me in den Ruf des Gemauschels gekommen. Vielmehr sei überall klar, daß Lobbying vor dem Bundeskartellamt nichts nütze.
Abschließend würdigte Dieter Wolf die bisherige Arbeit der Kommission der Europäischen Union, die trotz aller Kritik bezüglich der Fusionskontrolle viel für den Wettbewerb getan habe. So sollten auch die eigentliche Wettbewerbspolitik, die Bemühungen bezüglich der europäischen Binnenmarktverwirklichung wie auch die Beihilfenaufsicht, von einem europäischen Kartellamt nicht berührt werden und bei der Kommission verbleiben. Präsident Wolf schloß mit Popper, nach dem Institutionen so ausgerichtet sein müßten, daß in ihnen auch böswillige Akteure keinen Schaden anrichten könnten. Der freie Wettbewerb laufe also nicht wegen der Arbeit der Kommission, sondern trotz deren Arbeit.
Thilo Seelbach
PUTZ 1/97
Seite 17