Heft 
(1.1.2019) 01
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CAMPUS

PLÄDOYER FÜR EINE EUROPÄISCHE WETTBEWERBSBEHÖRDE

Zu einem Vortrag des Präsidenten des Bundeskartellamtes

Die Schaffung eines Europäischen Kar­tellamtes stand im Mittelpunkt eines Vor­trags, den der Präsident des Bundeskar­tellamtes, Dieter Wolf, Ende Oktober 1996 vor einem völlig überfüllten Hörsaal hielt. An die Universität Potsdam kam er auf Einladung des Volkswirtes Prof. Dr. Nor­bert Eickhof, der in diesem Semester zu­sammen mit dem Politologen Prof. Dr. Wilhelm Bürklin und dem Juristen Prof. Dr. Eckart Klein ein interdisziplinäres Euro­pa-Seminar veranstaltet.

Der Präsident des Bundeskartellamtes machte anhand der Praxis der Europäi­schen Fusionskontrolle deutlich, daß eine institutioneile Reform der europäischen Wettbewerbspolitik dringend erforderlich ist. Zunächst führte er aus, daß sein The­ma zwar aktuell, aber nicht neu sei. Viel­mehr sei eine Verfolgung der Wettbe­werbsregeln schon Thema der Römischen Gründungsverträge von 1957 gewesen. Erst im Laufe der Zeit sei jedoch zuneh­mend deutlich geworden, daß auf europäi­scher Ebene eine wirksame Fusionskon­trolle fehle.

Im Dezember 1989 trat schließlich eine eu­ropäische Fusionskontrollverordnung in Kraft. Sie wird angewendet von der Kom­mission der Europäischen Union. Doch sei vor dem Hintergrund der als sehr sensibles Instrument seit jeher kontrovers diskutier­ten Fusionskontrolle die Frage aufgeworfen worden, ob die Kommission deren geeigne­te Anwenderin sei. Schließlich wäre Rechts­anwendung keine Aufgabe der Politik. Viel­mehr bedürfe es einer unabhängigen euro­päischen Behörde. Die Bundesregierung habe daher einen Vorschlag zur Errichtung einer solchen unterbreitet.

Gegenpolitischen Kuhhändel"

Der Präsident des Bundeskartellamtes for­derte, daß auch das Wettbewerbsrecht der europäischen Integration dienen müsse. Nicht zu gewährleisten sei dies unter Bei­behaltung der bisherigen Praxis der Ver­mischung von Recht und Politik, Wettbe­werb und Wirtschaft. Zur Begründung sei­ner These führte Dieter Wolf aus, daß an die 20 europäischen Kommissare eine Reihe von politischen Erwartungen ge­knüpft sei. Für Entscheidungen in Wett­bewerbsfragen müsse der zuständige Kommissar jeweils die Mehrheit der übri­gen Kommissare, die ihrerseits eigene Ressorts haben, auf seine Seite ziehen. Entscheidungen dieses Kollegialorgans gerieten daher oftmals in den Bereichpo­litischer Kuhhandel.

Fand deutliche Worte bei seinem Vortrag an der Uni Potsdam: der Präsident des Bundeskartell­amtes, Dieter Wolf.

Foto: Pressestelle der Bundesregierung

Gerade bei der Fusionskontrolle, die gro­ßen Einfluß auf Investitionen, Allokationen und besonders wichtige wirtschaftliche und politische Interessen habe, könnte eine un­abhängige Wettbewerbsbehörde in einem sehr viel glaubwürdigeren Rahmen agie­ren. Dabei müßten außerwettbewerbliche Überlegungen keineswegs außen vor blei­ben. Vielmehr könnten überragende Inter­essen des Allgemeinwohls, wie bei der deutschen Ministererlaubnis, unter dem wachsamen Auge der Öffentlichkeit ge­wahrt werden. Wenn Wettbewerb hinter anderen Gesichtspunkten zurücktreten sol­le, müsse dafür jemand politisch eindeutig verantwortlich gemacht werden.

Darüber hinaus sei die Arbeit einer unab­hängigen Behörde wesentlich effektiver und sinnvoller. Durch die Erweiterung der Gemeinschaft steige die Arbeitsbelastung der Kommission. Außerdem würden die Fusionsverfahren immer komplizierter. Un­ternehmen müßten heute schon bei Füsio- nen mit unzumutbaren Entscheidungs­zeiten rechnen. Auch lasse die Qualität der Entscheidungen zu wünschen übrig. Bei ihrer Entscheidung wende die Kommission Wettbewerbsregeln mitunter nur selektiv an oder entscheide lediglich summarisch, um der Fülle der Anträge Herr zu werden. Da­mit würden nicht nur die Mitwirkungsrech­te der Mitgliedsstaaten verletzt, sondern auch die Rechte Dritter und der Unterneh­men selbst auf eine verläßliche und schnel­le Entscheidung.

Eine behördliche Entscheidung würde da­gegen zu einer verläßlichen, vorhersehba­ren Entscheidung führen, auf die sich die

Unternehmen vorbereiten könnten. In Deutschland kennten Unternehmen und Behörden mehr und mehr die Entschei­dungspraxis und die Kriterien des Bundes­kartellamtes. Sie könnten sich daher sicher sein, daß nicht Probleme von einer Seite auf sie zukämen, die mit dem Schutz des Wett­bewerbes nichts zu tun hätten, und daher schon frühzeitig wirtschaftliche Dispositio­nen treffen. Mit einer höheren Industrie­freundlichkeit rechnend, betrieben viele Unternehmen in Brüssel die Praxis des Lobbying. Dies falle Großunternehmen leichter als mittelständischen Unterneh­men. Mithin seien Großunternehmen zu­mindest latent bevorzugt.

Eine europäische Behörde für den Wettbewerb

Vor diesem Hintergrund hätten schon die Väter der Römischen Verträge die Wettbe­werbskontrolle als Rechtsanwendung aus­gestaltet und nicht als Gemeinschafts­politik. Eine wirklich wettbewerbsschüt­zende Behörde könnte der Wirtschaft in Europa eher auf die Sprünge helfen als die Fusionskontrolle durch die Kommission. Die Kommission ihrerseits hält der Bundes­regierung vor, es gäbe in Deutschland eine lange Tradition und einen sehr tiefen Wettbewerbsgedanken, aber was in der Bundesrepublik erfolgreich sei, tauge in diesem Fall nicht für Europa. Präsident Wolf hält diese Argumentation nicht für schlüs­sig. Darüber hinaus sei die Tradition der behördlichen Wettbewerbskontrolle auch in Deutschland nicht besonders alt. Erst das Bundeskartellamt habe dieser Kontrollfunk- tion entsprochen. Durch seine unabhängi­ge Arbeit sei es me in den Ruf des Gemauschels gekommen. Vielmehr sei überall klar, daß Lobbying vor dem Bundes­kartellamt nichts nütze.

Abschließend würdigte Dieter Wolf die bis­herige Arbeit der Kommission der Europäi­schen Union, die trotz aller Kritik bezüglich der Fusionskontrolle viel für den Wettbe­werb getan habe. So sollten auch die ei­gentliche Wettbewerbspolitik, die Bemü­hungen bezüglich der europäischen Binnenmarktverwirklichung wie auch die Beihilfenaufsicht, von einem europäischen Kartellamt nicht berührt werden und bei der Kommission verbleiben. Präsident Wolf schloß mit Popper, nach dem Institutionen so ausgerichtet sein müßten, daß in ihnen auch böswillige Akteure keinen Schaden anrichten könnten. Der freie Wettbewerb laufe also nicht wegen der Arbeit der Kom­mission, sondern trotz deren Arbeit.

Thilo Seelbach

PUTZ 1/97

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