Die „Wittgenstein-Experten“ vor dem Haus des Einstein Forums. Foto: Fritze
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nach Regeln kein Deuten, sondern eine Praxis ist. Prof. Dr. Jacques Bouveresse (Paris) führte die These aus, daß dieser Praxisbezug des Regelfolgens tatsächlich skeptische Konsequenzen des Paradoxes unterbindet. Prof. Dr. Albrecht Wellmer (Berlin) wiederum argumentierte, daß Wittgensteins Analyse des Regelfolgens nicht zu einer Analyse des Sprachverstehens im allgemeinen
gemacht werden kann, da allem Verstehen von Äußerungen ein Deuten zugrunde liegt.
Diese Ansicht führte ihn jedoch zu dem Problem, das Wittgenstein mit dem Praxisbegriff lösen wollte: Wie läßt sich die Pluralität der möglichen Deutungen einer situativ eingebundenen Äußerung eingrenzen? Nach Wellmer kann diese Flage unter anderem durch die Annahme der Verständlichkeit der Äußerung gelöst werden. Auch Prof. Dr. Eugene T. Gendlin (Chicago) hat auf die Situationsabhängigkeit der Bedeutung einer Äußerung hingewiesen, aber ohne dann eine Bedrohung für deren Eindeutigkeit zu sehen, Dr. Clemens Sedmak (Innsbruck) ging ausführlich auf das Lügen als Sprach- spiel ein und illustrierte, wie regel- und
kontextgebunden jedes Sprachspiel ist. Die mögliche Spannung zwischen den Ordnungen und dem Offenen betrifft nicht nur die Eindeutigkeit oder Unbestimmtheit von Bedeutungen, sondern auch die Rationalität vön Handlungen. Ist Rationalität immer in geordnete Systeme eingebunden oder wird sie in kreativen Handlungen erzeugt?
Dieser Aspekt wurde von Prof. Dr. Peter M. S. Hacker (Oxford) emgebracht: Er interpretierte Wittgensteins Philosophie als Entwicklung von der Auffassung der Sprache als Wirklichkeitsabbildung zur Auffassung der Sprache als Konvention. Diesem Thema widmete sich auch Dr. Hans Rudi Fischer (Heidelberg) in seinen Ausführungen zur Möglichkeit, Rationalität im Wahnsinn zu sehen. Prof. Dr. Thomas Rentsch (Dresden) vertrat die Ansicht, daß die innere Logik moralischer Sprachspiele eine praktische Philosophie jenseits von Relativismus und Dogmatismus ermöglicht. Nicht nur dieser interessante Vortrag löste lebhafte Diskussionen im Workshop aus. Zusammen mit den Vorträgen brachten die vielen Diskussionsbeiträge Ordnung in die zentralen FFagen, die aber weiterhin offen bleiben. Logi Gunnarsson
MIT WORTEN DES ANDEREN
Romanistischer Tag an der Uni
Literatur in Übersetzung und Literatur als Übersetzung möglichst umfassend und anschaulich vor Augen zu führen, war das Anliegen des kürzlich erstmals an der Uni durchgeführten Romanistischen Tages.
Die Idee dazu hatte Dr. Ottmar Ette, Professor für spanische und französische Literatur sowie Geschäftsführender Direktor des Institutes für Romanistik.
Der Wissenschaftler suchte nach einer Thematik für diesen lüg, die möglichst viele Gebiete, wie Literatur, Sprachwissenschaft,
Kulturwissenschaft und Sprachpraxis, in sich vereint. Mit den „literarischen Übersetzungen“ wurde er fündig. Sein Konzept ging auf, denn fast 100 Teilnehmer nicht nur aus Potsdam, leider nur wenige Professorenkollegen aus Ettes Fakultät, kamen zur Veranstaltung.
Außerdem konnten in den Gesprächen mit Übersetzern, Verlegern, Wissenschaftlern,
Autoren, Dozenten und Studierenden die Ziele, Angebote und Chancen der Potsdamer Romanistik anschaulich erfahrbar gemacht werden. In einem Werkstattgespräch präsentierten sowohl anerkannte als auch noch nicht etablierte italienische, sardische, französische, portugiesische und spanische Übersetzer Kostproben ihrer Übertragungen. Ebenso standen wissenschaftliche Fachvorträge und eine Autorenlesung auf dem Programm.
Ottmar Ette betrachtet die literarische Übersetzung als Herausforderung der Literatur-
Einsames Arbeiten, oft zu nächtlicher Zeit, wer erinnert sich dabei nicht an Carl Spitzwegs „ Der arme Poet“, gehört oft zum Alltag von Übersetzern. Literarische Übersetzer verdienen im Vergleich zu ihren fachsprachlichen Kollegen und Dolmetschern noch immer weit weniger. Der Romanistische 1hg sollte dazu beitragen, Interesse an Übersetzern und ihrer Tätigkeit zu wecken. Abb.: Repro
angebots offeriert beispielsweise das Sprachenzentrum für Interessierte einen literarischen Übersetzungskurs französisch. Ziel der von Ette initiierten „Schreibwerkstatt" ist es, Berufsbezogenheit schon während des Studiums herzustellen. Durch die eigene Übersetzungsarbeit erhalten die Studierenden Einblicke in diesen Berufszweig. Da die Translationen „nicht im leeren Raum verpuffen sollen“, plant Prof. Ette, sie in einer zweisprachigen Publikationsreihe „Pointe“ (Potsdamer interkulturelle Texte) zu veröffentlichen. Dabei handelt es sich um Übertragungen von bisher nicht übersetzten Klassikern der Romania. Neben der Praxiserfahrung erhalten die Studierenden auf diese Weise auch Publikationsmöglich- keiten. B.E.
Wissenschaft. „In unseren postmodernen Zeiten besitzt der Übersetzer noch das, was anderen Kulturschaffenden längst abhanden gekommen ist: ein Original.“ Übersetzungsprozesse gehörten angesichts zunehmender Globalisierung und Internationalisierung der Kultur zu den alltäglichen Erfahrungen sehr vieler Menschen. Was heute in London, Catania oder unweit von Aracataca geschrieben wird, liegt vielleicht morgen schon dem japanischen wie dem deutschen Leser vor“, so Ette. Aus dieser Perspektive erscheine der literarische Übersetzer nur als ein kleines Rädchen im gigantisch vernetzten profitablen Kulturbetrieb. Den außergewöhnlichen Wert literarischer Übersetzungen sieht der Hochschullehrer angesichts ihrer Einbettung in das Netzwerk der alltäglichen Übersetzungsprozesse nur schwer erkennbar.
Der Wissenschaftler ist in Anbetracht der Bedeutung des Gegenstandes bestrebt, die literarischen Übersetzungen als einen Studienschwerpunkt in seinem Institut zu installieren. In jedem Semester soll es künftig dazu spezielle Lehrveranstaltungen geben. Außerhalb des obligatorischen Lehr-
PUTZ 1/97
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