IM GESPRÄCH
WIESO KANN EINE DEBATTE WICHTIGER SEIN ALS IHR GEGENSTAND?
Im Gespräch mit Prof. Dr. Julius H. Schoeps, dem Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums
Selten hat ein fremdsprachiges Buch schon vor dem Erscheinen seiner deutschen Ausgabe hierzulande solche Aufmerksamkeit erregt. Im Falle von Daniel Jonah Goldhagens „Hitlers Willing Executioners“ liegen Zustimmung und Ablehnung sehr eng beieinander. Im Herbst hat Prof. Dr. Julius H. Schoeps, Professor am Historischen Institut und Direktor des Moses Mendelssohn Zentrums an der Universität Potsdam, beim Hoffmann und Campe Verlag ein Buch herausgegeben, welches die aktuelle Debatte um das Goldhagen-Buch dokumentiert. Es umfaßt Reaktionen aus dem englisch- und deutschsprachigen Raum. Wieso Prof. Schoeps diese Debatte für so wichtig hält, erfragte für die PUTZ Gabriele Andre.
Prof, Dr. Julius H. Schoeps
PUTZ: Sie sind Herausgeber des Buches „Ein Volk von Mördern? Die Diskussion zur Goldhagen-Kontroverse um die Rolle der Deutschen im Holocaust.“ Was hat Sie bewogen, diese Dokumentation herauszugeben? Schoeps: Die Idee kommt vom Hoffmann und Campe Verlag, der mich fragte, ob ich als Herausgeber fungieren würde. Ich habe zugesagt, weil ich die Debatte für sehr wichtig halte, die um das Goldhagenbuch geführt wurde und noch geführt wird.
PUTZ: Worin liegt nach Ihrer Meinung der wichtigste Punkt in der Debatte?
Schoeps: Goldhagen hat mit seinem Buch „Hitlers willing executioners“ eine Debatte losgetreten, die tiefer geht als die Probleme, die er in seinem Buch anschneidet. Er behauptet, daß die Deutschen nichts anderes im Sinn gehabt hätten, als die Juden umzubringen. Erbegründet das damit, daß der Antisemitismus integraler Bestandteil der deutschen Kultur gewesen sei, und daß Hitler und seine Vasallen durch ein Judenbild geprägt worden seien, das Jahrhunderte alt ist. Darüber kann man sicherlich diskutieren. Mich interessiert mehr ein ganz anderer Gesichtspunkt dabei. Ich halte das Buch selbst für nicht so wichtig, wichtig ist, daß eine Debatte geführt wird.
PUTZ: Volker Ulrich schrieb in „Die Zeit“: Wie sein (also Godhagens) verstörendes, aufstörendes Buch bei uns aufgenommen wird, daran wird sich viel ablesen lassen über das historische Bewußtsein in dieser Republik." Was lesen Sie daraus ab? Schoeps: Die Debatte, die Goldhagen ausgelöst hat, bestimmte nach wie vor das Denken und das Bewußtsein von Millionen Deutschen. Wie kam es dazu, daß Millionen Menschen ermordet worden sind? Was waren die Gründe, daß Menschen zu Mördern wurden, die durchaus einen christlichen, bürgerlichen Hintergrund hatten? Es geht nicht so sehr darum, wer den Befehl gab und wieviel Millionen umgebracht wurden, sondern es geht tatsächlich um die Motive des Mordens. Goldhagen ist hier ein gewisses Verdienst zuzuschreiben, daß er diese Debatte wieder in Gang gebracht hat, indem er
PUTZ 1/97
mit aller Schärfe auf einen Punkt verwies, der bis heute unklar ist.
PUTZ: Ist durch die Debatte etwas über das Buch hinaus Neues hinzugekommen? Schoeps: Nein, diese Debatte wird die Deutschen noch Jahrhunderte beschäftigen, denn das, was zwischen 1933 und 1945 oder besser zwischen 1941 und 1945 geschah, ist ein Zivilisationsbruch ohne gleichen. Wenn man bis bis in die 30er Jahre Goethe, Schiller, Uhland, Hauff und andere als Tteil des Bildungskanons gesehen hat, denen man sich verpflichtet fühlte, so ist das nach 1945 alles anders. Man kann nicht mit derselben Unbefangenheit wie vor dem Holocaust diese Schriften lesen. Denn diese Schriften, diese Bücher, diese Literatur wurde auch von den Mördern gelesen. PUTZ: Wurde sie denn von den Mördern als Rechtfertigung angeführt?
Schoeps: Es geht nicht um Rechtfertigung, sondern um partielle Wahrnehmungsweisen. Die Mörder haben in den Juden keine Menschen gesehen, sie sahen in ihnen Ungeziefer, Trichinen, Bazillen: Das war ja auch der Sprachgebrauch, wie man ihn im „Stürmer“ nachlesen konnte, und man hat das benutzt, was man zur Bekämpfung einsetzt: nämlich Giftgas.
PUTZ: Sie haben gesagt, daß es notwendig sei, wieder und wieder dieselben Fragen zu stellen, damit sich das Grauen der NS-Zeit nicht wiederhole. Befürchten Sie nicht, daß es dadurch zu einer Abstumpfung kommt, zu einem „Ich kann das nicht mehr hören“? Schoeps: Dieses Argument ist mir sehr wohl vertraut. Dennoch meine ich, man muß immer über den allgemeinen demokratischen Zustand einer Gesellschaft nachdenken, denn sonst besteht die Gefahr, daß die nächste totalitäre Diktatur, das nächste totalitäre Verhalten über die Deutschen kommt. PUTZ: Sie haben festgestellt, daß es einen unterschiedlichen Tbnor zwischen der Diskussion in Amerika und der in Deutschland gegeben hat,..
Schoeps: Fakt ist, daß Historiker jüdischer Herkunft sensibler mit der Frage umgehen, als Historiker nichtjüdischer Herkunft. Bei
den Historikern jüdischer Herkunft in Amerika spielen sicherlich Familienerfahrungen eine stärkere Rolle als hier. Mich bedrückt in dieser Auseinandersetzung, daß die Gräben sehr tief sind. Ich sehe im Augenblick kaum eine Ebene, auf der die verschiedenen Standpunkte Zusammenkommen. PUTZ: Es ist also fast eine Diskussion zwischen Deutschland und Amerika? Schoeps: Nicht eine Diskussion zwischen Deutschland und Amerika. Die Historiker haben so eine Formulierung „zwischen In- tentionalisten und Rmktionalisten“ - ich halte diese Formulierungen für äußerst fraglich. Die Intentionalisten gehen davon aus, daß die Motive und die Ideen eine entscheidende Rolle spielen, und die Fünktionalisten gehen davon aus, daß die Struktur als solche zu betrachten ist und das System als solches sich radikalisiert hat. Es geht auch um die Fhage von Ethik, Norm und Verantwortung, und das ist eine Debatte, die in Deutschland leider überhaupt nicht geführt wird, im Gegensatz zu Amerika. Goldhagen steht in der Tradition der amerikanischen Politologen, die von der individuellen Verantwortung des einzelnen ausgeht. Diese Frage spielt in Deutschland überhaupt keine Rolle.
PUTZ: Woran liegt das, hat das hier keine historische Tradition?
Schoeps: Nein, hier redet man mehr von kollektiver Verantwortung. Ich würde mir wünschen, daß in die Debatte in Deutschland manches von den Denkweisen aus den Vereinigten Staaten einfließen würde. PUTZ: Wurde das Goldhagen-Buch auch in den anderen Ländern Europas diskutiert? Schoeps: In allen europäischen Ländern steht dieses Buch auf den Bestsellerlisten und überall gab es große Zeitungsartikel zu diesem Buch, die aber immer in anderen Zusammenhängen gesehen werden müssen. In Frankreich gibt es auch eine Auseinandersetzung um die Vergangenheit, aber sie ist anders als in Deutschland. Natürlich haben auch Franzosen mitgemacht an der sogenannten Endlösung, natürlich haben auch holländische Polizisten mitgemacht. Wenn auch nicht mit dem Gewehr im Anschlag, aber immerhin, die Menschen wurden zusammengetrieben, wo die Züge nach Auschwitz abgingen.
PUTZ: Wird es ein zweites Buch geben? Schoeps: Also für mich ist das Thema abgeschlossen. Ich könnte mir aber gut vorstellen, daß ein Doktorand sich des Themas annimmt und eine Arbeit über die Rezeption des Goldhagen-Buches in den verschiedenen europäischen Ländern schreibt. Das wäre eine spannende Untersuchung, und ich würde mich freuen, einen solchen Doktoranden betreuen zu können.
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