Heft 
(1.1.2019) 01
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CAMPUS

DIE EINZIGARTIGKEIT DES HOLOCAUST

Alan Rosenberg sprach an der Universität Potsdam

Auf Einladung von Prof. Dr. Karl Erich Grözinger aus der Philosophischen Fa­kultät I sprach Prof. Dr. Alan Rosenberg in diesem Wintersemester an der Universi­tät Potsdam überQuestioning the Uniqueness of the Holocaust. A Philoso- phical Examination.

Alan Rosenberg ist Professor für Philosophie am Queens College, New York, und Präsi­dent derSociety for the Philosophie Study of Genocide and Holocaust, die in den 70er Jahren gegründet wurde. Zu seinen Publika­tionen gehörenEchoes fromthe Holocaust. Philosophie Reflexions on a Dark Time", Heidegger and the Holocaust" undPost Modernism and the Holocaust. Da seit Er­scheinen des Buches von Daniel Jonah Gold­hagenHitlers Willing Executioners. Ordi- nary Germany and the Holocaust und des­sen deutscher Übersetzung die Gemüter in Deutschland in Aufruhr geraten sind, knüpf­te Rosenberg an die in den USA seit länge­rem geführte Debatte darüber an, ob der Holocaust einzigartig sei.

Rosenberg, der mehrere provozierende The­sen aufstellte und Saul Eriedländer, Leon Rapaport, Steven Katz oder Yehuda Bauer zitierte, stellte die Frage, warum die Einzig­artigkeit gerade bezüglich des Mordes an den europäischen Juden und nicht anderer historischer Ereignisse, wie etwa an dem Mord an Armeniern durch die Türken, be­hauptet wird und wie der- Begriff der Einzig­artigkeit in diesem Zusammenhang zu ver­

stehen sei. Ist der Völkermord an den Juden ein Vorgang, der mit anderen Ereignissen vergleichbar wäre? War der Holocaust ein historisches Ereignis, dann geht er uns an, dann ist es nötig, ihn zu erforschen, ist er aber einzigartig, also mit histonschen Kate­gorien nicht faßbar, braucht er nicht erforscht zu werden. Ismar Schorsch behaupte sogar, daß die Einzigartigkeits-Obsession, das Be­harren auf der Einmaligkeit dieses Völker­mordes, Freunde einander entfremdet und jeglichen Dialog verhindert. Rosenberg po­stuliert angesichts dieser Positionen, daß es offenbar eines neuen Verständnisses des Be­griffesEinzigartigkeit bedarf oder man ihn ganz fallenlassen sollte. Ist er überhaupt le­gitim oder ist auch sein Gebrauch bereits eine Selbstverständlichkeit?

Die Frage der Einzigartigkeit des Holocaust, so Rosenberg, sei selbst einzigartig gewor­den. Schon die Wahl eines fremdsprachli­chen Begriffes, der die Einzigartigkeitsdis­kussion wesentlich befördert habe, ist ein Symptom dafür. Besonders bedenklich ist der das hebräischeAufstiegsopfer' 1 aus dem Griechischen übertragende Tterminus Holocaust,Ganzopfer", der ein Brandopfer für eine Gottheit bedeutet. Die Verwendung eines solchen ursprünglichen Begriffs für dieses Geschehen zeige, daß man nach ei­nem Namen für etwas suchte, das mit der überkommenen Begrifflichkeit nur sehr schwer erfaßbar schien. Mit dem hebräi­schenShoah, im biblischen Sinne eine Katastrophe oder Verwüstung, war man dem

Kern des Phänomens vielleicht etwas näher gekommen, wenn auch hier die Problema­tik des fremden Begriffs bleibt.

Für Rosenberg bedeutet der BegriffEinzig­artigkeit, daß das damit Gemeinte dem hi­storischen Verstehen und jeder Nachfor­schung entzogen ist, man mit seiner Verwen­dung deshalb sehr behutsam sein müsse, wiewohl man bezüglich des Holocaust dar­auf nicht verzichten könne. Doch bleibt es schwer zu bestimmen, was denn damit ge­meint sei, worin diese Einzigartigkeit beste­he , warum wurde etwa der Abwurf der Atom­bombe auf Hiroschima oder Nagasaki nicht mit dem Begriff der Einzigartigkeit verse­hen? Will man die Charakterisierung des Holocaust als einzigartig beibehalten, muß man die Flage stellen, wann man einen histo­rischen Vorgang so benennen kann.

Mit Emil Fackenheim glaubt Rosenberg, daß etwas Einzigartiges eine Transformation der Werte oder der Kultur mit sich bringen müß­te, wie die industrielle Revolution etwa. Der Holocaust habe aber keinerlei Wandlung der Transformation in der Kultur bewirkt, wofür etwa dieethnischen Säuberungen in Bos­nien ein untrügliches Zeugnis ablegten. Wi­derspruch von Zuhörern erntete Rosenberg, als er verneinte, daß das epochale Ereignis der Entstehung des Staates Israel als eine solche Transformation zu sehen wäre, denn für ihn sei dies keine Folge des Holocaust. Etwas rigoristisch definierte Rosenberg die Einzigartigkeit als etwas, was das Ver­ständnis des Menschen völlig umzukrem­peln imstande wäre. Das aber sei im Falle des Holocaust nicht geschehen. Die Suche, den Holocaust zu begreifen, und die Debat­te darüber ist also noch lange nicht zu Ende.

Sigrid Senkbeil

STÖRUNGEN AUF DER SPUR

Praktiker und Wissenschaftler diskutierten überSprache und Gehirn'

Sprechen gehört zu den alltäglichsten Dingen, ohne die menschliches Dasein undenkbar ist. Störungen in diesem Be­reich beeinträchtigen das Leben der Be­troffenen und ihrer Angehörigen umso erheblicher. Daß Sprache und Gehirn in untrennbarem Zusammenhang stehen, ist wohl für jeden nachvollziehbar. Sprach­störungen dagegen zu diagnostizieren, zu analysieren, zu behandeln und theore­tisch zu untersuchen, ist zweifellos ein Aufgabengebiet für Fachleute.

An der Potsdamer Uni zählt die Allgemeine Sprachwissenschaft zu einem ihrer Profil­bereiche. Die dort Arbeitenden tragen in Lehre und Forschung der Thtsache Rech­nung, daß sich die moderne Sprachwissen­schaft in den letzten Jahrzehnten zu einer kognitiven Wissenschaft entwickelte. So ver­mittelt der Diplomstudiengang Patholingu- lsük den Studierenden Wissen zum Sprach-

erwerb und zur Sprachverarbeitung, kogni- tiv-neurolinguistische Kenntnisse über Spra­che und Gehirn, Grundlagen von Sprachstö­rungen sowie Verfahren zur Analyse, Dia­gnostik und Therapie von Sprachentwick­lungsstörungen und erworbenen Sprachstö­rungen,

Viele Aspekte des Zusammenhangs von Sprache und Gehirn sind Gegenstand wissenschaftlichen Streites. Um dieses Phänomen genauer unter die Lupe zu neh­men, luden vor einiger Zeit die Bereiche Psycholinguistik und Neurolinguistik des Institutes für Linguistik/Allgemeine Sprachwissenschaft, das Interdisziplinäre Zentrum für Kognitive Studien und das Zentrum für angewandte Patholinguistik der Universität Potsdam zu einer mehrtä­gigen Tägung. Zwölf nationale und interna­tionale Referenten folgten dem Ruf. 120 Praktiker aus Klinik und Therapie, wie Lo­gopäden, klinische Linguisten und

Neuropsychologen, Studierende und For­scher widmeten sich insbesondere der Psycho- und Neurolinguistik von Sprach-

na

VI

Gleich wird die kleine Elisabeth voller Begei­sterung ihren Eltern von dem Märchen erzäh­len, das sie gerade über ihren Walkman hörte. Anderen Kindern bleibt diese Freude oftmals versagt. Denn sie haben Hemmungen, sich zu äußern, weil sie unter Sprachentwicklungs­storungen leiden. Fntri . 7n

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