CAMPUS
DIE FIRST LADY IST EIN MANN
Australischer Humboldt-Stipendiat im Institut für Psychologie
entwicklungsstörungen bei Kindern sowie von neurologisch bedingten erworbenen Sprachstörungen, den Aphasien.
In Potsdam befaßten sich die Tagungsteilnehmer im Unterschied zu der im Jahr zuvor in Freiburg abgehaltenen Konferenz nicht nur mit den Störungen bei Erwachsenen, sondern ebenso bei Kindern. Dr. Ria De Bleser, Professorin für Patholin- guistik mit dem Schwerpunkt Kognitive Neurolinguistik an der Potsdamer Alma mater, begründet es damit, daß beispielsweise die Untersuchung der frühen menschlichen Sprachwahrnehmung eine relativ neue Forschungslinie ist. So wollen Wissenschaftler hierbei herausfinden, ob Babys schon über sprachliche Fähigkeiten verfügen, bevor sie selbst sprechen können. Untersuchungen sollen beispielsweise an den Thg bringen, ob sie rechts oder links lieber hören, damit bereits über eine gezielte Sprachwahrnehmung verfügen und in welchem Umfang. Ein weiterer Diskussionsgegenstand war der Dysgrammatismus bei Kindern. Die davon Betroffenen sind unfähig, grammatisch richtige Sätze zu bilden. Wortverarbeitungsmodelle und Störungen der Wortverarbeitung der Aphasie sowie erworbene Störungen der Schriftsprache gehörten ebenso zum teilweise heiß Debattierten. So konnte Ria De Bleser über das unter ihrer Leitung im Rahmen eines Projektes der Deutschen Forschungsgemeinschaft entwickelte computergestützte Verfahren zur modellorientierten Untersuchung von Störungen der Wortverarbeitung berichten.
Den Vorzug dieser Konferenz sieht Ria De Bleser darin, daß sowohl Fachwissenschaftler als auch Studierende davon profitieren konnten. B.E.
Dank der Vermittlung Tübinger Wissenschaftler und der Großzügigkeit von Birgit Hommel hat die Klassische Philologie der Universität Potsdam einen umfangreichen Tbil des bibliothekarischen Nachlasses des Nestors der deutschen Altertumswissenschaft des Tübinger Emeritus Prof DDr. Hildebrecht Hommel (1899-1996), erhalten. Das etwa 720 Bände umfassende Geschenk, das nach dem Willen des Verstorbenen vor allem Studierenden offenstehen soll, spiegelt das breitgefächerte Interesse des Altphilologen Hommels wider: Neben griechischen und lateinischen Tbxtausgaben, Kommentaren und Zeitschriftenbänden stehen Monographien mit Schwerpunkt in der Rechts- und Religionsgeschichte. Prof. Dr. Jörg Rüpke aus dem Institut für Klassische Philologie der Uni, der die Auswahl der Bände vornehmen durfte, freut sich über die Unterstützung: „Diese Zuwendung bringt den Aufbau eines Grundbestandes qualitativ und quantitativ in einer Weise voran, die die knappen und noch sinkenden Bibliotheksmittel uns nicht mehr erlaubten." J.R./Foto: privat
Wer war in der zehnjährigen Amtszeit Margaret Thatchers als Premierministerin Großbritanniens die First Lady des Landes? Wer ist der Albert Einstein Frankreichs? Dies sind zwei der fragen, die Dr. Bruce D. Bums einigen seiner Probanden stellte. Ziel der vorwiegend experimentellen Untersuchungen des australischen Psychologen ist es, dem Phänomen „Denken in Analogien" auf die Spur zu kommen.
„Man weiß schon etwas, man kennt eine bestimmte Situation. Mit diesen Voraussetzungen interpretiert der Betreffende eine neue Situation anders als vorher, stellt Analogien her“. So nennen die Befragten als Einstein Frankreichs, wie erwartet, die Wissenschaftlerin Marie Curie. Menschen transportieren also „alte" Situationen in „neue“. Die Analyse von „alt“ und „neu“ sowie der Erkenntnisweg, über Analogien etwas zu lernen, interessieren den Gast. An den Experimenten waren, über mehrere Jahre verteilt, inzwischen einige Täusend Tbstpersonen beteiligt.
Um die Forschungen auf dem Gebiet der Kognitiven Psychologie fortzusetzen, arbeitet Burns seit Juli 1996 für ein Jahr, auch dank der Unterstützung Prof. Dr. Reinhold Kliegls aus dem Institut für Psychologie und dem Interdisziplinären Zentrum für Kognitive Studien, an der Potsdamer Uni als Postdoctoral Fellow. Er gehört damit zu den rund 500 promovierten ausländischen Wissenschaftlern im Alter bis
Dr. Bruce D. Burns, geboren 196SinAust- gMMm ralien, arbeitet seit
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Psychologie der Uni. Der Humboldt-Sti- pendiat promovierte 1994 an der Univer- sity of California, Los Angeles/USA auf dem Gebiet der Kognitiven Psychologie. Foto: fbibukeit
zu 40 Jahren, die jährlich ein Stipendium der 1860 gegründeten Alexander von Humboldt-Stiftung für einen längeren Forschungsaufenthalt in Deutschland erhalten.
Mit Hilfe von Computersimulationen kognitiver Prozesse will Burns auf dem Weg, seine bisherigen theoretischen Erkenntnisse zu bestätigen, in Potsdam vorankommen. „Denn in der Psychologie ist es ganz wichtig, zu überprüfen, ob Mensch und Computer mit ihren jeweils spezifischen Denkmodellen zu gleichen Ergebnissen gelangen oder nicht.“ Gemeinsam mit Dr. Regina Vollmeyer aus dem Institut für Psychologie wendet er sich schon seit längerem „Zielen und Problemlösungen“ zu. Gemeint sind in diesem Zusammenhang logische, nicht Lebensprobleme. Die Wissenschaftler unterscheiden dabei zwischen spezifischen und unspezifischen Zielen. Bei letzteren, dem Erfassen einer Struktur, „fanden wir heraus, daß besseres Lernen und leichteres Übertragen auf ähnliche Aufgaben möglich ist", so Vollmeyer. Mit Zielen vor Augen gehen Menschen mit Strategien voran. In der Psychologie findet hierbei der Begriff der Differenzreduktion Anwendung. Mechaniker beispielsweise können bei einem Defekt am Auto gezielt an die Reparatur gehen. Denn Geräusche oder andere Anzeichen „weisen“ ihnen den Weg zur Schadensbeseitigung. Laien sind dagegen bestenfalls in der Lage, Schritt für Schritt zu versuchen, Fehler zu finden und eventuell Tbile auszuwechseln.
In Potsdam will Burns weiter Denkprozesse am Computer simulieren. Es gäbe zwar Theorien darüber, wie sich das Lernen im Gehirn vollzieht. Offen sind jedoch solche Probleme wie: Ist es sinnvoll, diese Prozesse zu simulieren? Welchen Nutzen hat es, sie auf den Computer zu übertragen? Kann der Computer das realisieren, was der Mensch ihm vorgibt? B.E.
BÜCHER DES NESTORS DER DEUTSCHEN ALTERTUMSWISSENSCHAFT NACH POTSDAM
PUTZ 1/97
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