CAMPUS
BRANDENBURGER ELTERN WÜNSCHEN SICH HEUTE DURCHSETZUNGSFÄHIGE KINDER
Die Kindertagesbetreuung befindet sich im Wandel - Tagung an der Uni Potsdam
Vor sieben Jahren begann mit der,Wende“ in der damaligen DDR ein gesellschaftlicher Wandel mit ungeahnten Folgen - gerade auch für die Kindertagesbetreuung. Verbunden mit den neuen Chancen und Fteiräumen, aber auch durch den Wegfall alter Sicherheiten hat sich das generative Verhalten einschneidend verändert: In der Folge ging die Zahl der betreuten Kinder im Land Brandenburg im Vergleich zu 1989 bei Krippenkindern auf ein Fünftel und bei Kindergartenkindem auf ein Drittel zurück. Die enormen Strukturveränderungen im Zusammenhang mit der Schließung und Zusammenführung von Einrichtungen für Kinder verschiedener Altersgruppen, der Aufbau einer pluralistischen Trägerstruktur, neue finanzielle und arbeitsorganisatorische Rahmenbedingungen kennzeichnen eine - die strukturelle - Seite der Veränderungsprozesse der letzten Jahre.
Statt ehemals 4600 gibt es nunmehr nur noch 2571 Kinderbetreuungseinrichtungen im Land Brandenburg, der Anteil freier Träger stieg von fünf auf 13 Prozent, und in etwa zwei Drittel der Einrichtungen wird inzwischen eine altersübergreifende Betreuungsform praktiziert. Verändert haben sich aber darüber hinaus - forciert durch eine kritische Auseinandersetzung mit der Krippen- und Kindergartenpraxis in der DDR - auch die Ansprüche der Eltern an die Kindertagesbetreuung.
Eltern haben andere Erziehungsziele
Veränderungen in der Kindertagesbetreuung wurden vom Institut für angewändte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung (IFK) - einem An-Institut der Universität Potsdam - in zwei Studien untersucht: die eine, im Auftrag des Landesjugendamtes Brandenburg, bezog sich auf die Förderung einer pluralistischen Ttägerlandschaft; die andere war Bestandteil einer vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft geförderten Drei-Länderstudie zu den Bedingungen und Erwartungen an die Kindertagesbetreuung aus verschiedenen Perspektiven. Mehr als 100 Vertreter aus Praxis und Verwaltung sind der Einladung des IFK zu einem Workshop Ende November 1996 an der Universität Potsdam gefolgt, auf Grundlage der Ergebnisse dieser Studien nicht nur gemeinsam Bilanz zu ziehen, sondern auch einen Ausblick auf zukünftige Entwicklungen und Herausforderungen zu wagen. Vertreter der an der Drei-Länderstudie beteiligten Institutionen - Dr. Rainer Strätz vom Sozialpädagogischen Institut des Landes Nordrhein-West
falen und Dr. Martin R. Tfextor vom Staatsinstitut für Frühpädagogik in München - haben in ihren Referaten zum Thema „Altersmischung“ bzw. „Elternarbeit“ interessante Ansatzpunkte für die Diskussion in den Arbeitskreisen gegeben.
Soziale Anpassung ist „out"
Von den Untersuchungsbefunden, die der Direktor des IFK, Dr. Dietmar Sturzbecher, in seinem Referat hervorhob, seien nur einige herausgegriffen. Brandenburger Eltern, von denen mehr als die Hälfte einen Bruch in ihrer Berufskarriere erfahren haben, sich eine neue Stelle oder gar eine andere berufliche Tätigkeit suchen mußten, favorisieren auf Individualität und Lebenserfolg ausgerichtete Erziehungsziele; sie wünschen sich vor allem durchsetzungsfähige und kntische Kinder mit Eigeninitiative. Erzieherinnen hingegen legen weit mehr Wert auf solche sozialen Kompetenzen, wie „Rücksicht nehmen“, „sich vertragen“ und „Respekt haben“; sie schätzen offensichtlich aus ihrem professionellen Selbstverständnis heraus die Förderung von Eigenschaften und Fähigkeiten, sich sozial kompetent zu verhalten, als wichtiger ein. Soziale Anpassung, wie sie sich in Gehorsamkeit, Beliebtheit und Zurückhaltung zeigt, rangiert sowohl bei den Eltern als auch bei den Erzieherinnen auf dem letzten Platz.
Ungeachtet einiger Unterschiede bei den Erziehungszielen sind Eltern, die nach der Wende viele Neuerungen bis hin zu neuen Trägerformen und Konzepten ausgelöst haben, überwiegend mit den Veränderungen m der Kindertagesbetreuung zufrieden. Und auch die Arbeitszufriedenheit der Leiterinnen und Erzieherinnen ist in Brandenburg erstaunlich hoch, wie ein Vergleich mit den Untersuchungsergebnissen in Bayern und Nordrhein-Westfalen zeigt. Fast zwei Drittel der Erzieherinnen und mehr als die Hälfte der Leiterinnen wollen längerfristig ihre Tätigkeit ausüben, haben Freude an der Arbeit und sind zufrieden mit den nunmehr gegebenen Möglichkeiten, eigene Ideen zu verwirklichen.
Eine politische Lobby wäre vonnöten
Künftig - so ein Fazit der Veranstaltung - wird es verstärkt um die Sicherung und Verbesserung pädagogischer Standards gehen müssen. Angesichts leerer Haushaltskassen braucht Kindertagesbetreuung eine politi
sche Lobby, müssen insbesondere auch die Eltern dafür sensibilisiert werden, sich auf kommunaler Ebene für die Sicherung von Qualitätsstandards in der Kindertagesbetreuung einzusetzen. Nötig ist darüber hinaus, nachdem sich die Diskussion bislang weitgehend auf strukturelle Bedingungen beschränkte, eine Debatte über künftige Inhalte der Elementarerziehung zu führen. Darauf verwies in der Podiumsdiskussion insbesondere Ministerialrat Dr. Hans Herbert Wühelmi vom Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft mit Hinblick auf die Umweltproblematik. Der begonnene Dialog zwischen Praxis und Forschung über die Weiterentwicklung der pädagogischen Arbeit im Elementarbereich wird - so der Veranstalter - dank der weiteren Unterstützung durch das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft auf einer Fachtagung Mitte des Jahres 1997 fortgesetzt.
Das Buch „Kindertagesbetreuung in Brandenburg. Erwartungen, Bedingungen und Chancen“ kann für 37 DM, die Studie „Freie Trägerschaft in der Kindertagesbetreuung: Probleme, Tfendenzen und Perspektiven" für 15 DM zuzüglich Portokosten beim Institut für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung an der Universität Potsdam, Burgwall 15, 16727 Vehlefanz, bestellt werden. Heidrun Großmann
Für Erzieherinnen sind soziale Kompetenzen immer noch am wichtigsten - die Eltern hingegen setzen verstärkt auf Kritikfähigkeit und Durchsetzungskraft. Äbb.: IFK
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