WISSENSCHAFT AKTUELL
massen zu den Polen wandern, dort als Schnee deponiert werden, was unter dem Strich zu einem Absinken der Meeresspiegel führen würde. Das tatsächliche Verhalten läßt sich aber bisher nicht Vorhersagen.
Wie sich in der Vergangenheit Klimaänderungen ausgewirkt haben, liest man am ÄWI aus den Ablagerungen auf den Böden von Seen ab. Sie entstehen Jahr für Jahr beispielsweise aus abgestorbenen Mikroorganismen, Pollen sowie Staub und Mineralien, die mit dem Schmelzwasser zugeführt werden. Die daraus zu gewinnenden Informationen skizziert kurz Hubberten: „Da Mikroorganismen ohne Licht nicht leben können, erkennt man an ihrer Zahl, wie lange ein See im Sommer eisfrei war. Die Form der Lebewesen gibt Aufschluß über die Itempe- ratur des Sees und seines Nährstoffgehalts. Anhand des Matenaleintrags und der Korngröße von Partikeln läßt sich rekonstruieren, wieviel Schmelzwasser es gab. Es gibt bestimmte Minerale, die nur über die Luft transportiert werden können, was sich auch darin zeigt, ob sie gerundet sind oder nicht. Dadurch weiß man, ob die Landschaft um den See versteppt war, denn nur aus Steppen ohne Bewuchs kann der Wind diese Mineralien hertragen“. Derartige Untersuchungen werden in unterschiedlichen Polarregionen gemacht und durch Untersuchungen an Permafrostböden und Eis
kernen aus alten Gletschern. Dadurch läßt sich nach und nach verfolgen, wie dort auf Klimaänderungen reagiert wurde. „Erst wenn wir dies verstehen“, so Hubberten, „läßt sich sagen, wie sich die unterschiedlichen Regionen verhalten werden, wenn sich tatsächlich die Erde in den nächsten 50 Jahren um vier Grad Celsius erwärmt.“
... und hoch in der Luft
Nicht mit den Tiefen der Seen, sondern damit, was sich in der Atmosphäre abspielt, beschäftigt sich die Untergruppe von Dr. Hartwig Gernandt. Sie untersuchen mit diversen Meßmethoden die Spurengase und Aerosole in der Stratos- und Troposphäre über der Arktis, um so die Ozonreduktion durch chemische Abbaureaktionen genauer zu erfassen. Bei der Untersuchung der Spurengase macht man sich zu nutze, daß die Atome und Moleküle der Atmosphäre Licht bestimmter Wellenlängen absorbieren und emittieren. Beispielsweise können in Molekülen die Atome gegeneinander schwingen, wenn sie durch Infrarotlicht charakteristischer Wellenlänge angeregt werden, d.h. wenn sie dies absorbieren. Analysiert man, bei welchen Wellenlängen ein Molekül Licht absorbiert (man spricht davon, daß man das Spektrum des Moleküls aufnimmt), so läßt sich daraus dessen chemische Struktur und Zusammensetzung ableiten.
Eines von vielen Geräten, mit denen Wissenschaftler am ÄWI die Art und Menge der Spurengase in der Atmosphäre bestimmen, ist ein sogenanntes Michelson-Interferro- meter. Sie analysieren damit die Intensität des Lichtes, welches auf der Erde ankommt, und in dem genau die Wellenlängen weniger intensiv sind, die von den Molekülen in der Atmosphäre absorbiert werden. Die natürlichen Lichtquellen sind dafür im polaren Sommer die Sonne und im polaren Winter, wenn die Sonne nicht aufgeht, der Mond. Bei dem Michelson-Interferrometer wird das an- kommende Licht in zwei “feile aufgespalten. Der eine Strahl wird dann über einen „Umweg“ wieder mit dem anderen Strahl zusammengeführt. Ist der zusätzliche Weg, den der eine Tfeilstrahl zurücklegen muß, gerade halb so lang wie die Wellenlänge, so löschen sich die beiden Strahlen nach ihrer Zusammenführung aus. So läßt sich die Wellenlänge messen, indem man die Umwegstrecke variiert. Auf diese Weise können die Wissenschaftler am ÄWI die Messungen sehr genau durchführen und, durch den „Trick“ mit dem Mondlicht, als erste die Zusammensetzung der Spurengase das ganze Jahr über verfolgen und jahreszeitliche Schwankungen beobachten. „Um Veränderungen über lange Zeiträume zu beobachten“, so Gernandt, „dauern die Messungen aber noch nicht lange genug an.“ ade
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SOZIALER SPRENGSTOFF „UNGERECHTIGKEIT"
Zentrum für Gerechtigskeitforschung befragte Bürger in den neuen Bundesländern
„Gerechtigkeitsansprüche und Ungerechtigkeitserleben in den neuen Bundesländern“ war das Thema einer Untersuchung des Zentrums für Gerechtigkeitsforschung an der Universität Potsdam. In einer von Prof. Dr. Leo Montada, dem Leiter des Zentrums, herausgegebenen Studie zur Auswertung von Befragungen wird zunächst die gestiegene Bedeutung der Flage nach Gerechtigkeit im öffentlichen Diskurs dargelegt.
Insbesondere die Angst vor mangelnder sozialer Sicherheit und die Kritik an den Verteüungsmechamsmen des Sozialstaates entfachten die aktuelle Diskussion über Gerechtigkeit. Hinzu komme die teilweise als unbegründet empfundene Ersetzung der Institutionen der DDR durch bundesrepublikanische und die als stockend erlebte Angleichung der Lebensverhältnisse an das Westniveau.
All diese Herausforderungen würden kontrovers diskutiert. Bestehende und neu entstehende Ungleichheiten, insbesondere Verluste und die Beschneidung von Ansprüchen würden als Ungerechtigkeit angeprangert, ohne daß die zugrundeliegenden
Sach- und Werturteile differenziert artikuliert, geprüft und abgewogen würden. Ohne effiziente und gerechtere Lösungen anbieten zu können, sei die öffentliche Behauptung von Ungerechtigkeit jedoch sozialer Sprengstoff und könne nicht nur den sozialen Frieden gefährden, sondern auch die individuelle Bewältigung von Verlusten und Einbußen sowie erfahrenen Ungerechtigkeiten erschweren, ohne die soziales Leben nicht gelinge und persönliche Zufriedenheit nicht erreicht werden könne.
„Komitees für Gerechtigkeit" gegründet
Um Foren zur Artikulation und Durchsetzung effizienter und gerechter Lösungen zu schaffen, wurden kaum zwei Jahre nach der Wiedervereinigung in den neuen Bundesländern „Komitees für Gerechtigkeit“ gegründet. Diese Komitees regten die öffentliche Diskussion unter provokativen Schlagworten, wie „Okkupation", „Betrug“, „Vernichtung von Arbeitsplätzen“, „Rentenstrafrecht“, „Diskrimination“ oder „Bürger zweiter Klasse“, an.
Soziale Verhältnisse werden als gerecht angesehen, so die Ergebnisse der Befragungen, wenn alle bekommen, was ihnen gebührt aufgrund dessen, wer sie sind und
Leitet das Zentrum für Gerechtigkeitsforschung: Prof. Dr. Leo Montada.
was sie getan haben. Damit können soziale Verhältnisse als Verteilungen von Gütern, Macht,
Pflichten und Rechten, als Austausch zwischen Personen oder sozialen Teilsystemen oder als Vergeltung von Handlungen oder Unterlassungen spezifiziert werden. Streitig ist, inwiefern und inwieweit Gleichheit die Kernidee der Gerechtigkeit darstellen kann. Dabei ist differenziert aufVerteilungs-, Austausch- und Verfahrensgerechtigkeit abzustellen.
Übersteigertes Hoffen auf raschen Wohlstand
Gravierender als gegebene soziale Ungleichheiten werden nach der Wiedervereinigung Verluste wahrgenommen. Solche Verlusterfahrungen seien entgegen der anfänglichen Hoffnungen auf ein übersteigertes, rasches Wohlstandswachstum in den neuen Ländern nicht ausgeblieben. Obgleich beispielsweise Verluste von Arbeits-
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