Heft 
(1.1.2019) 01
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WISSENSCHAFT AKTUELL

massen zu den Polen wandern, dort als Schnee deponiert werden, was unter dem Strich zu einem Absinken der Meeresspie­gel führen würde. Das tatsächliche Verhalten läßt sich aber bisher nicht Vorhersagen.

Wie sich in der Vergangenheit Klimaände­rungen ausgewirkt haben, liest man am ÄWI aus den Ablagerungen auf den Böden von Seen ab. Sie entstehen Jahr für Jahr bei­spielsweise aus abgestorbenen Mikroorga­nismen, Pollen sowie Staub und Mineralien, die mit dem Schmelzwasser zugeführt wer­den. Die daraus zu gewinnenden Informa­tionen skizziert kurz Hubberten:Da Mikro­organismen ohne Licht nicht leben können, erkennt man an ihrer Zahl, wie lange ein See im Sommer eisfrei war. Die Form der Lebewesen gibt Aufschluß über die Itempe- ratur des Sees und seines Nährstoffgehalts. Anhand des Matenaleintrags und der Korn­größe von Partikeln läßt sich rekonstruieren, wieviel Schmelzwasser es gab. Es gibt be­stimmte Minerale, die nur über die Luft transportiert werden können, was sich auch darin zeigt, ob sie gerundet sind oder nicht. Dadurch weiß man, ob die Landschaft um den See versteppt war, denn nur aus Step­pen ohne Bewuchs kann der Wind diese Mineralien hertragen. Derartige Untersu­chungen werden in unterschiedlichen Polarregionen gemacht und durch Untersu­chungen an Permafrostböden und Eis­

kernen aus alten Gletschern. Dadurch läßt sich nach und nach verfolgen, wie dort auf Klimaänderungen reagiert wurde.Erst wenn wir dies verstehen, so Hubberten, läßt sich sagen, wie sich die unterschied­lichen Regionen verhalten werden, wenn sich tatsächlich die Erde in den nächsten 50 Jahren um vier Grad Celsius erwärmt.

... und hoch in der Luft

Nicht mit den Tiefen der Seen, sondern da­mit, was sich in der Atmosphäre abspielt, be­schäftigt sich die Untergruppe von Dr. Hart­wig Gernandt. Sie untersuchen mit diversen Meßmethoden die Spurengase und Aeroso­le in der Stratos- und Troposphäre über der Arktis, um so die Ozonreduktion durch che­mische Abbaureaktionen genauer zu erfas­sen. Bei der Untersuchung der Spurengase macht man sich zu nutze, daß die Atome und Moleküle der Atmosphäre Licht bestimmter Wellenlängen absorbieren und emittieren. Beispielsweise können in Molekülen die Ato­me gegeneinander schwingen, wenn sie durch Infrarotlicht charakteristischer Wellen­länge angeregt werden, d.h. wenn sie dies absorbieren. Analysiert man, bei welchen Wellenlängen ein Molekül Licht absorbiert (man spricht davon, daß man das Spektrum des Moleküls aufnimmt), so läßt sich daraus dessen chemische Struktur und Zusammen­setzung ableiten.

Eines von vielen Geräten, mit denen Wissen­schaftler am ÄWI die Art und Menge der Spurengase in der Atmosphäre bestimmen, ist ein sogenanntes Michelson-Interferro- meter. Sie analysieren damit die Intensität des Lichtes, welches auf der Erde ankommt, und in dem genau die Wellenlängen weniger intensiv sind, die von den Molekülen in der Atmosphäre absorbiert werden. Die natürli­chen Lichtquellen sind dafür im polaren Sommer die Sonne und im polaren Winter, wenn die Sonne nicht aufgeht, der Mond. Bei dem Michelson-Interferrometer wird das an- kommende Licht in zweifeile aufgespalten. Der eine Strahl wird dann über einenUm­weg wieder mit dem anderen Strahl zusam­mengeführt. Ist der zusätzliche Weg, den der eine Tfeilstrahl zurücklegen muß, gerade halb so lang wie die Wellenlänge, so löschen sich die beiden Strahlen nach ihrer Zusam­menführung aus. So läßt sich die Wellenlän­ge messen, indem man die Umwegstrecke variiert. Auf diese Weise können die Wissen­schaftler am ÄWI die Messungen sehr ge­nau durchführen und, durch denTrick mit dem Mondlicht, als erste die Zusammenset­zung der Spurengase das ganze Jahr über verfolgen und jahreszeitliche Schwankun­gen beobachten.Um Veränderungen über lange Zeiträume zu beobachten, so Ger­nandt,dauern die Messungen aber noch nicht lange genug an. ade

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SOZIALER SPRENGSTOFFUNGERECHTIGKEIT"

Zentrum für Gerechtigskeitforschung befragte Bürger in den neuen Bundesländern

Gerechtigkeitsansprüche und Ungerechtigkeitser­leben in den neuen Bundes­ländern war das Thema einer Untersu­chung des Zentrums für Gerechtigkeits­forschung an der Universität Potsdam. In einer von Prof. Dr. Leo Montada, dem Lei­ter des Zentrums, herausgegebenen Stu­die zur Auswertung von Befragungen wird zunächst die gestiegene Bedeutung der Flage nach Gerechtigkeit im öffentli­chen Diskurs dargelegt.

Insbesondere die Angst vor mangelnder sozialer Sicherheit und die Kritik an den Verteüungsmechamsmen des Sozialstaates entfachten die aktuelle Diskussion über Ge­rechtigkeit. Hinzu komme die teilweise als unbegründet empfundene Ersetzung der Institutionen der DDR durch bundesrepu­blikanische und die als stockend erlebte Angleichung der Lebensverhältnisse an das Westniveau.

All diese Herausforderungen würden kon­trovers diskutiert. Bestehende und neu ent­stehende Ungleichheiten, insbesondere Verluste und die Beschneidung von Ansprü­chen würden als Ungerechtigkeit ange­prangert, ohne daß die zugrundeliegenden

Sach- und Werturteile differenziert artiku­liert, geprüft und abgewogen würden. Ohne effiziente und gerechtere Lösungen anbieten zu können, sei die öffentliche Be­hauptung von Ungerechtigkeit jedoch so­zialer Sprengstoff und könne nicht nur den sozialen Frieden gefährden, sondern auch die individuelle Bewältigung von Verlusten und Einbußen sowie erfahrenen Ungerech­tigkeiten erschweren, ohne die soziales Leben nicht gelinge und persönliche Zufrie­denheit nicht erreicht werden könne.

Komitees für Gerechtigkeit" gegründet

Um Foren zur Artikulation und Durchset­zung effizienter und gerechter Lösungen zu schaffen, wurden kaum zwei Jahre nach der Wiedervereinigung in den neuen Bundes­ländernKomitees für Gerechtigkeit ge­gründet. Diese Komitees regten die öffent­liche Diskussion unter provokativen Schlag­worten, wieOkkupation",Betrug,Ver­nichtung von Arbeitsplätzen,Renten­strafrecht,Diskrimination oderBürger zweiter Klasse, an.

Soziale Verhältnisse werden als gerecht an­gesehen, so die Ergebnisse der Befragun­gen, wenn alle bekommen, was ihnen ge­bührt aufgrund dessen, wer sie sind und

Leitet das Zentrum für Gerechtigkeitsforschung: Prof. Dr. Leo Montada.

was sie getan ha­ben. Damit können soziale Verhältnis­se als Verteilungen von Gütern, Macht,

Pflichten und Rech­ten, als Austausch zwischen Personen oder sozialen Teil­systemen oder als Vergeltung von Handlungen oder Unterlassungen spezifiziert werden. Streitig ist, inwiefern und inwieweit Gleichheit die Kernidee der Gerechtigkeit darstellen kann. Dabei ist dif­ferenziert aufVerteilungs-, Austausch- und Verfahrensgerechtigkeit abzustellen.

Übersteigertes Hoffen auf raschen Wohlstand

Gravierender als gegebene soziale Un­gleichheiten werden nach der Wiederverei­nigung Verluste wahrgenommen. Solche Verlusterfahrungen seien entgegen der an­fänglichen Hoffnungen auf ein übersteiger­tes, rasches Wohlstandswachstum in den neuen Ländern nicht ausgeblieben. Ob­gleich beispielsweise Verluste von Arbeits-

PUTZ 1/97

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