KULTUR
GESCHICHTE UND GEGENWART EINER KULTURELLEN IDEE
Gärten in Brandenburg - Ausblick auf ein mögliches Forschungsfeld
Der englische Landschaftsgarten gehört zu den bedeutendsten Kunstleistungen des 18. und 19. Jahrhunderts. Seit etwa zwanzig Jahren ist eine stetige Zunahme der internationalen Forschungsaktivitäten zu verzeichnen, die seinen großen kulturgeschichtlichen Beziehungsreichtum zu erhellen suchen. Für die Berlin-Potsdamer Parklandschaft, seit kurzem und hoffentlich noch lange auf der UNESCO-Liste des Weltkulturerbes, bleibt hier viel nachzuholen, mehr noch für die anderen Landschaftsgärten und ländlichen Parks Brandenburgs - und nicht nur für die unbekannten, ja vergessenen Anlagen, sondern auch für die berühmten (etwa Rheinsberg, Wiepersdorf oder Branitz), insgesamt mehr als sechshundert.
Ansicht des Schlosses Rheinsberg mit Neptunbrücke, Radierung von J.C. Krüger nach C.F. Ekel 1773, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg. Repro: Günther
Von einer brandenburgischen Gartengeschichte, die den kulturgeschichtlichen Wurzeln und Verflechtungen, dem reichen Sinnpotential und der Ausstrahlung dieser Gesamtkunstwerke im Rahmen übergreifender Fragestellungen systematisch gerecht zu werden sucht, kann bisher kaum gesprochen werden. Die Denkmalpflege muß sich verständlicherweise auf das einzelne Objekt konzentneren. Der Aufbau einer solchen Forschung, die möglichst bald auch die ältere und jüngere Gartenkunst einzubeziehen hätte, sollte für das Land Brandenburg und die Universität Potsdam eine vordringliche Aufgabe sein. Auch andere Aspekte legen das nahe: die räumliche Situation der Universität Potsdam in den Parks von Sanssouci und Babelsberg, die in Potsdam beheimatete Aufklärungsforschung und - last not least - die Aussicht auf die Bundesgartenschau 2001.
Der Landschaftsgarten als Sinnträger eigenen Lebensverständnisses
Es käme darauf an, das charakteristische kulturelle Symbolmilieu zu rekonstruieren, also zu zeigen, wie die Selbstinszenierung des märkischen Adels und dessen Rezeption des europäischen Zeitgeists sich im motivischen Gehalt und den kulturellen Codes der Gärten aussprechen, in Machtpräsentation und Herrscherlob, in der Vorstellungswelt antiker Mythologie mitsamt ihrer erotischen Dimension, in freimaure- rischen Ideen, Genieverehrung und Ruinenromantik, in den Gedankenkom
plexen des Nationalen und Religiösen. Die sehr unbefangen experimentierende Bemühung, den Landschaftsgarten zu einem Sinnträger des eigenen Natur-, Ge- schichts- und Lebensverständnisses zu machen, erstreckt sich auf buchstäblich alle Gestaltungselemente, von der Führung der Wege, der Verwendung des Wassers, der Modellierung des Höhenprofils und der Bepflanzung über Sichtschneisen, Kleinarchitekturen und Skulpturen bis hm zu den Inschriften, Spolien, Ruinen und technischen Spielereien. Es verdiente eine eingehende Untersuchung, wie das aus der Kultur des Reisens und Sammelns sowie aus der Literatur der Aufklärung, Empfindsamkeit und Romantik erwachsene Verständnis für die Sprachkraft von Naturszenerien, geschichtlichen Relikten und fremdartigen Stilen ins gestalterisch Produktive gewendet wird. Angesichts der gegenwärtigen Tendenzen zur Theatra- lisierung der Lebensstile und zur Visualisierung aller Erfahrung sowie der postmodernen Vorliebe für gestückelte Geschichtserinnerungen erscheint die semantische Vielfalt des Landschaftsgartens, seine Mischung von Emblem und Expression, Allegorie und Symbol, assoziativer Stimmungshaftigkeit und bestimmtester Bedeutungsfestlegung, diese weit ausgreifende Suche nach immer neuen und überraschenden Bedeutungsrela- tionen als eminent modernes Phänomen.
Das Ensemble eines Landschaftsgartens wissenschaftlich darstellen
All dem ist einzig eine kultursemiotische Betrachtungsweise angemessen, wie sie bisher noch nicht auf den Landschaftsgarten angewandt worden ist. Die immer wieder beklagte methodologische Verlegenheit, das vielgliedrige Ensemble eines Landschaftsgartens wissenschaftlich darzustellen, kann nur auf diese Weise überwunden werden. Immerhin gehört zur Verknüpfung der Gartenwelt mit der Lebensund Gedankenwelt des 18. und 19. Jahrhunderts auch noch die Geschichte der Architektur, der Gartenliteratur mit ihren über ganz Europa verbreiteten Stich- und Vorlagenwerken sowie der „ästhetischen Bota
nik“, ein heutzutage verschollenes Fach, das im 20. Jahrhundert einzig in der Staudengärtnerei Karl Foersters in Bornim weiterlebte.
Unerläßlich ist auch der Blick auf jene Persönlichkeiten, deren Lebensleistung in der einen oder anderen Weise mit der Entwicklung des Landschaftsgartens zusammenhängt. Das gilt nicht nur für Peter Joseph Lenne und den Fürsten Hermann von Pückler-Muskau, sondern etwa auch für den bedeutenden Dendrologen Fritz Graf von Schwerin, den Schöpfer des einst ungewöhnlich artenreichen Parks von Märkisch-Wilmersdorf, und für bisher kaum beachtete Gartengestalter wie Joachim Heinrich Fintelmann (Senzke und Kartzow) und Heinrich Buchacker (Neu Fahrland) oder die als Gartengestalter tätigen Grundherren Friedrich Wilhelm August von Briest (Nennhausen) und-Fnedrich Wilhelm von Arnim (Boitzenburg).
Vorgriff auf die Einheit von Mensch und Natur
Und schließlich muß die ökonomische Dimension beachtet werden, die mit der englischen Konzeption der „ornamented farm" einsetzt, um früh schon in die Idee der „Landesverschönerung“ zu münden, jene Idee, die im Landschaftsgarten geboren wird, doch weit über ihn hinausweist: bis in
Park des Schlosses Steinhöfel, angelegt von Obermarschall von Massow 1790-1817 als Vorbild für königliche Gärten, Aquatinta nach Friedrich Gilly, Staatsbibliothek Berlin Kartensammlung. Repro: Günther
die Gegenwart. So erweitert sich die Untersuchung der brandenburgischen Landschaftsgärten organisch zum Blick auf den Zusammenhang von Garten und Landeskultur in Brandenburg überhaupt, auf eine aktuelle Fragestellung also, die ihrerseits erst so recht das utopische Moment hervorhebt, das den alten Gärten und Färks jenseits ihrer ursprünglichen Funktionen innewohnt, nämlich einen anschaulichen Vorgriff auf die Einheit von Mensch und Natur darzustellen.
Im Hinblick auf das praktisch Machbare kann es nur darum gehen, eine neue Form
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