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(1.1.2019) 03
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NIEMAND ÜBERLISTET POLYPHEM

Zur Antrittsvorlesung von Prof. Dr. Peter Riemer

Stühle für Juda­istik geben soll­te. Schulte kenn­zeichnete es als eine der größten kulturellen Lei­stungen des deutschen Ju­dentums, außer­halb der deut­schen Universi­täten eine Wis­senschaft mit Weltgeltung ge­schaffen zu haben. Und er erinnerte an so berühmte Namen wie Leopold Zunz, Edu­ard Gans, Heinrich Heine und David Fried­länder.

Sie alle und ihnen voran Immanuel Wolf ver­standen den Begriff Judentum in einem um­fassenden Sinne, der die Leistungen in der Religion, der Philosophie, Geschichte, im Recht, in der Literatur usw. umschloß, und lehnten seine Einengung auf die Religion und die rabbinistischen und ahistorischen Lehren ab. Wie jede Wissenschaft habe auch die Wissenschaft des Judentums für alle Ergebnisse offen zu sein und dürfe nicht für Legitimitätszwecke benutzt wer­den. Sie sei keine jüdische Wissenschaft und stehe auch Nichtjuden und Frauen of­fen. Letztere mußten bis in unser Jahrhun­dert warten, ehe sie eine Professur für die Wissenschaft des Judentums erlangen konnten. Bis heute ist dem Gegenstand nur mit einem interdisziplinären Herangehen beizukommen; Wolf prägte seinerzeit den Begriffpluridisziplinär.

Schulte betonte ferner den Wolfschen Ge­danken, daß es sich bei der Wissenschaft vom Judentum um keinen antiquarischen Gegenstand handele, vielmehr sei Juden­tum eine lebendige Größe. Ein Indiz dafür ist zweifellos auch das große Interesse, das der Studiengang an der Universität Pots­dam findet. Regine Derdack

Das Pressereferat ist umgezogen!

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Namhaftigkeit und Pseudonymie. Gren­zen homerischer Gastfreundschaft be­titelte Prof. Dr. Peter Riemer seine An­trittsvorlesung an der Potsdamer Alma mater. Der Vortragende vermied dabei bewußt die weite diskursartige Rundum­schau zum Motiv der Gastfreundschaft in der Literatur der Antike. Punktuelle Querverweise jedoch deuteten die Di­mensionen an. Akzente setzte der Inha­ber der Professur für Klassische Philolo­gie an der Philosophischen Fakultät I der Hochschule vielmehr in der Analyse der List des Odysseus gegenüber dem Kyklopen Polyphem im 9. Gesang des homerischen Epos.

Bevor der Altertumswissenschaftler sich aber diesem zentralen Punkt seiner Vorle­sung widmete, erlaubte er den Zuhörern einen Blick in die Ilias des Homer, genau­er in eine kleine Episode des 6. Gesanges jener äl­testen europäischen Dich­tung. Dies geschah unter der formulierten Feststel­lung, daß das Motiv der Philoxenie in der Ilias im Unterschied zur Odyssee nur eine periphere Rolle spiele. Dennoch gewann der Vorlesende dem Text interessante Aspekte ab.

So mündet die Konfrontati­on zwischen Glaukos und Diomedes eben nicht zwanghaft in ein tödliches Finale, sondern neben ei­nem wertmäßig unlogischen Täusch der Rüstungen sogar in Freundschaft,weil sie erkennen müssen, daß sie einander seit langem, ja schon seit Generationen, in Gastfreundschaft verbunden sind, ohne daß sie selbst sich je begegnet wären". Riemer zog ein uneingeschränktes Resü­mee:Gastfreundschaft war für die Men­schen der homerischen Welt ein Kulturgut allerhöchsten Ranges; nichts kam ihr an Bedeutung gleich."

Dies treffe gleichermaßen für die Odyssee zu, nur zeige jenes Epos sich in bezug auf das Motiv der Gastfreundschaft weitaus differenzierter, aber auch ambivalenter. Das breite Spektrum des Umgangs mit der Philoxenie im zweiten homerischen Epos wurde dann auch für die Hörer erlebbar, jedoch bleibt ein Verdienst der Vorlesung besonders in Erinnerung: Im Kontext von Gegenbildern zur,Vielzahl idealisierter Muster konzentrierte sich der Vortrag auf die Polyphem-Geschichte, polemisierte mit gängigen Interpretationen und setzte

dabei neue und interessante Zeichen. Die Aufmerksamkeit Riemers weckte dabei vor allem die Verwendung des (im Wortspiel) doppelsinnigen PseudonymsNiemand seitens des Odysseus gegenüberGastge­ber Polyphem, der den Charakter und die Intention der Gastfreundschaft ins Absur­de verkehrt:Der Gastgeber spricht die Absicht offen aus, das Freundschaftsver­hältnis zwischen ihm und seinem Gast dadurch zu begründen und zu bekräftigen, daß er es schlagartig beendet, indem er den neu gewonnenen 'Freund' als letzten seiner 'Gäste' tötet. Genau vor diesem Hintergrund komme der eigenartigen Na­mensnennungim weiteren Verlauf der Handlung große Bedeutung zu. Sie sei in erster Linie natürlich eine List zur puren Existenzerhaltung. Der Vorlesende blieb jedoch nicht bei dieser eindimensionalen Erklärung stehen. Vielmehr gelang es ihm, noch eine andere Motivati­on in ihrer logischen Kon­sequenz bezüglich der übergeordneten Bedeu­tung der Philoxenie her­auszustellen. Riemer näm­lich widersetzte sich Deu­tungen, die eine Verwen­dung des Pseudonyms Niemand entweder nur auf List reduzieren bzw. darin ein Mittel der Sugge­stion gegenüber Polyphem erblicken oder als mytho­logischen Beinamen inter­pretieren. In der Vorlesung wurde dem Publikum ein weiterer Aspekt dargestellt. Demnach bil­dedie Namensnennung eine letzte, feine Zuspitzung. Denn:Das Zyklopenaben­teuer exemplifiziert die Grenzen homeri­scher Gastfreundschaft. Hätte Odysseus seinen Namen genannt, (...) wäre er (...) eine Verpflichtung als Gastfreund einge­gangen und hätfä sich nicht mehr an Polyphem vergreifen dürfen. Gastfreund­schaft ist ein Schutzbündnis. Das heiße, die Gesetze der Gastfreundschaft zwingen Odysseus zur zeitweiligen Unterdrückung der eigenen Identität, nur so sei es ihm ge­stattet,ohne den Makel einer Gastrechts­verletzung davonzusegeln. Die Regeln der Gastfreundschaft würden damit gleich­zeitig genutzt und doch umgangen.

Die Antrittsvorlesung unterstrich einmal mehr, welch originelle Ansätze immer wieder auch in den alten literarischen Zeugnissen zu finden sind; zum Nutzen der Forschung, aber auch zum intellektu­ellen Vergnügen der Zuhörerschaft.

Peter Görlich

Seite 9

Dr. habil. Christoph Schulte Foto: Fritze

Prof. Dr. Peter Riemer

Foto: Tribukeit

PUTZ 3/97