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NIEMAND ÜBERLISTET POLYPHEM
Zur Antrittsvorlesung von Prof. Dr. Peter Riemer
Stühle für Judaistik geben sollte. Schulte kennzeichnete es als eine der größten kulturellen Leistungen des deutschen Judentums, außerhalb der deutschen Universitäten eine Wissenschaft mit Weltgeltung geschaffen zu haben. Und er erinnerte an so berühmte Namen wie Leopold Zunz, Eduard Gans, Heinrich Heine und David Friedländer.
Sie alle und ihnen voran Immanuel Wolf verstanden den Begriff Judentum in einem umfassenden Sinne, der die Leistungen in der Religion, der Philosophie, Geschichte, im Recht, in der Literatur usw. umschloß, und lehnten seine Einengung auf die Religion und die rabbinistischen und ahistorischen Lehren ab. Wie jede Wissenschaft habe auch die Wissenschaft des Judentums für alle Ergebnisse offen zu sein und dürfe nicht für Legitimitätszwecke benutzt werden. Sie sei keine jüdische Wissenschaft und stehe auch Nichtjuden und Frauen offen. Letztere mußten bis in unser Jahrhundert warten, ehe sie eine Professur für die Wissenschaft des Judentums erlangen konnten. Bis heute ist dem Gegenstand nur mit einem interdisziplinären Herangehen beizukommen; Wolf prägte seinerzeit den Begriff „pluridisziplinär“.
Schulte betonte ferner den Wolfschen Gedanken, daß es sich bei der Wissenschaft vom Judentum um keinen antiquarischen Gegenstand handele, vielmehr sei Judentum eine lebendige Größe. Ein Indiz dafür ist zweifellos auch das große Interesse, das der Studiengang an der Universität Potsdam findet. Regine Derdack
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„Namhaftigkeit und Pseudonymie. Grenzen homerischer Gastfreundschaft“ betitelte Prof. Dr. Peter Riemer seine Antrittsvorlesung an der Potsdamer Alma mater. Der Vortragende vermied dabei bewußt die weite diskursartige Rundumschau zum Motiv der Gastfreundschaft in der Literatur der Antike. Punktuelle Querverweise jedoch deuteten die Dimensionen an. Akzente setzte der Inhaber der Professur für Klassische Philologie an der Philosophischen Fakultät I der Hochschule vielmehr in der Analyse der List des Odysseus gegenüber dem Kyklopen Polyphem im 9. Gesang des homerischen Epos.
Bevor der Altertumswissenschaftler sich aber diesem zentralen Punkt seiner Vorlesung widmete, erlaubte er den Zuhörern einen Blick in die Ilias des Homer, genauer in eine kleine Episode des 6. Gesanges jener ältesten europäischen Dichtung. Dies geschah unter der formulierten Feststellung, daß das Motiv der Philoxenie in der Ilias im Unterschied zur Odyssee nur eine periphere Rolle spiele. Dennoch gewann der Vorlesende dem Text interessante Aspekte ab.
So mündet die Konfrontation zwischen Glaukos und Diomedes eben nicht zwanghaft in ein tödliches Finale, sondern neben einem wertmäßig unlogischen Täusch der Rüstungen sogar in Freundschaft, „weil sie erkennen müssen, daß sie einander seit langem, ja schon seit Generationen, in Gastfreundschaft verbunden sind, ohne daß sie selbst sich je begegnet wären". Riemer zog ein uneingeschränktes Resümee: „Gastfreundschaft war für die Menschen der homerischen Welt ein Kulturgut allerhöchsten Ranges; nichts kam ihr an Bedeutung gleich."
Dies treffe gleichermaßen für die Odyssee zu, nur zeige jenes Epos sich in bezug auf das Motiv der Gastfreundschaft weitaus differenzierter, aber auch ambivalenter. Das breite Spektrum des Umgangs mit der Philoxenie im zweiten homerischen Epos wurde dann auch für die Hörer erlebbar, jedoch bleibt ein Verdienst der Vorlesung besonders in Erinnerung: Im Kontext von „Gegenbildern“ zur,Vielzahl idealisierter Muster“ konzentrierte sich der Vortrag auf die Polyphem-Geschichte, polemisierte mit gängigen Interpretationen und setzte
dabei neue und interessante Zeichen. Die Aufmerksamkeit Riemers weckte dabei vor allem die Verwendung des (im Wortspiel) doppelsinnigen Pseudonyms „Niemand“ seitens des Odysseus gegenüber „Gastgeber“ Polyphem, der den Charakter und die Intention der Gastfreundschaft ins Absurde verkehrt: „Der Gastgeber spricht die Absicht offen aus, das Freundschaftsverhältnis zwischen ihm und seinem Gast dadurch zu begründen und zu bekräftigen, daß er es schlagartig beendet, indem er den neu gewonnenen 'Freund' als letzten seiner 'Gäste' tötet.“ Genau vor diesem Hintergrund komme der eigenartigen Namensnennung „im weiteren Verlauf der Handlung große Bedeutung zu“. Sie sei in erster Linie natürlich eine List zur puren Existenzerhaltung. Der Vorlesende blieb jedoch nicht bei dieser eindimensionalen Erklärung stehen. Vielmehr gelang es ihm, noch eine andere Motivation in ihrer logischen Konsequenz bezüglich der übergeordneten Bedeutung der Philoxenie herauszustellen. Riemer nämlich widersetzte sich Deutungen, die eine Verwendung des Pseudonyms „Niemand“ entweder nur auf List reduzieren bzw. darin ein Mittel der Suggestion gegenüber Polyphem erblicken oder als mythologischen Beinamen interpretieren. In der Vorlesung wurde dem Publikum ein weiterer Aspekt dargestellt. Demnach bilde „die Namensnennung eine letzte, feine Zuspitzung“. Denn: „Das Zyklopenabenteuer exemplifiziert die Grenzen homerischer Gastfreundschaft. Hätte Odysseus seinen Namen genannt, (...) wäre er (...) eine Verpflichtung als Gastfreund eingegangen und hätfä sich nicht mehr an Polyphem vergreifen dürfen. Gastfreundschaft ist ein Schutzbündnis.“ Das heiße, die Gesetze der Gastfreundschaft zwingen Odysseus zur zeitweiligen Unterdrückung der eigenen Identität, nur so sei es ihm gestattet, „ohne den Makel einer Gastrechtsverletzung davonzusegeln“. Die Regeln der Gastfreundschaft würden damit gleichzeitig genutzt und doch umgangen.
Die Antrittsvorlesung unterstrich einmal mehr, welch originelle Ansätze immer wieder auch in den alten literarischen Zeugnissen zu finden sind; zum Nutzen der Forschung, aber auch zum intellektuellen Vergnügen der Zuhörerschaft.
Peter Görlich
Seite 9
Dr. habil. Christoph Schulte Foto: Fritze
Prof. Dr. Peter Riemer
Foto: Tribukeit
PUTZ 3/97