CAMPUS
EIN STUDIENBEGLEITENDES PRUFUNGSSYSTEM
Wirtschaftswissenschaftler der Uni wollen „Credit-Point-System" einführen
Die wirtschaftswissenschaftlichen Studiengänge der Betriebs- und Volkswirtschaftslehre sowie Volkswirtschaftslehre sozialwissenschaftlicher Richtung an der Universität Potsdam wollen mit einer neuen gemeinsamen Diplomprüfungsordnung (DPO) ein studienbegleitendes Prüfungssystem einführen. Das Prinzip der neuen DPO ist einfach: am Ende jeder Veranstaltung wird eine Prüfung (in der Regel eine Klausur) angeboten, der teilnehmende Studierende erhält neben der Note einen Bonuspunkt (pro einstün- diger Veranstaltung) oder bei Nichtbestehen einen Maluspunkt. Sind im Hauptstudium in fünf Fächern jeweils 14 Bonuspunkte erreicht und die Diplomarbeit erfolgreich geschrieben, so ist das Examen bestanden. Die Gesamtnote ist der mit den Bonuspunkten gewichtete Durchschnitt der erzielten Einzelnoten, dabei werden die Diplomarbeit mit 22 Punkten, eine Seminarstunde mit dem Faktor 1,5 gewichtet.
Modifiziert wird dieses Prinzip durch mehrere Nebenbedingungen. Zum einen wird eine Semester-Anzahl vorgegeben: 5 (10) Fachsemester bis zum Vor- (Haupt-) Diplom plus Verlängerung auf Antrag (Ziel: ein bewußtes, zügiges Studium). Die Diplomprüfung hat endgültig nicht bestanden, wer mehr als 24 (Grundstudium: 15) Maluspunkte hat (Ziel: keine unbegrenzten Wiederholungen). An anderen Universitäten erbrachte Prüfungen können im Umfang von 28 Bonuspunkten angerechnet werden (Ziel: Mobilität ohne Studientourismus). Zum anderen gibt es im Prinzip jeweils eine Wiederholungsmöglichkeit. Aber: die Festlegung nur der Obergrenze von Maluspunkten ermöglicht eine individuelle Wiederholungsstruktur; es gibt für im ersten Fachsemester vorgesehene und nicht bestandene Prüfungen keinen Maluspunkt; wer im Hauptstudium bis zu Beginn des 7. Fachsemesters eine Prüfung nicht besteht, erhält keinen Maluspunkt und wer eine besteht, der kann später damit zwei Maluspunkte woanders kompensieren (Ziel: Anreiz zu einem kurzen Studium).
Die Fächerkombinationen
Ein Ziel liegt in individuell gestaltbaren Fächerkombinationen und Interdisziplina- rität. Also gibt es zwar Studiengänge (BWL, VWL) mit jeweils fünf Fächern im Hauptstudium, aber der Studierende kann sich seine fünf Fächer nach Interesse, Neigung oder Berufsplanung selbst zusammenstellen. Sind darunter drei volkswirtschaftliche (betriebswirtschaftliche) Fächer, so führt es
zum Abschluß als Diplom-Volkswirt/-Volks- wirtin (Diplom-Kaufmann/ -Kauffrau). Wer dabei zwei betriebswirtschaftliche Fächer sowie Wirtschaftspädagogik wählt, soll (so ist es geplant) den Grad Diplom-Handelslehrer erhalten können. Bei drei Volks- und zwei sozialwissenschaftlichen (Wahl-) Fächern erhält der Grad Diplom-Volkswirt den Zusatz: sozial-wissenschaftlicher Richtung. Die jeweiligen zwei Wahlfächer können beispielsweise sein: Politologie, Soziologie, Verwaltungswissenschaft, spezielle Bereiche der BWL oder der VWL, Wirtschaftsfremdsprachen, Recht, Europäische Wirtschaft usw. Ein Wahlfach ist ein umfassendes Fach wie Statistik oder wird zusammengesetzt aus sinnvollen Kombinationen wie Umweltökonomik und Umweltmanagement.
Vor- und Nachteile
Studiengänge, die Diplome aufgrund studienbegleitender und mit Bonuspunkten gewichteter Prüfungen vergeben, weisen insbesondere folgende drei Eigenschaften auf: eine größere Flexibilität, eine höhere Transparenz und weniger Mobilitätshemmnisse. Entsprechend kann der Studierende im stärkeren Ausmaße als bisher gemäß seiner eigenen zeitlichen Planung und seiner individuellen Schwerpunktsetzung studieren. Zahlreiche Unsicherheiten entfallen, wie diejenigen infolge nicht besetzter und infolge neu besetzter Professuren. Das Hauptstudienangebot ist nicht mehr standardisiert in Form von Fächern mit fest vorgegebenen Vorlesungen und Seminaren bei völlig fixierten Veranstaltungszyklen, jeder kann (muß) sein Menü eigenverantwortlich zusammenstellen; so wählt der Studierende pro Fach (z. B. Volkswirtschaftstheorie) aus den (Theorie-) Veranstaltungen 14 (Theorie-) Stunden („gleich“ Bonuspunkte). Außerdem wählt bzw, wechselt er (bis zu einem vorgegebenen Anteil) semesterweise die Universität; der TVansfer von Leistungen für ausländische Studierende in Deutschland (aber auch für deutsche Studierende im Ausland) ist wesentlich leichter und gleichzeitig kompatibel mit der ECTS-Initiative der EU. Und was nicht zu unterschätzen ist: der Studierende kann jederzeit seinen Leistungsstand erkennen (und die Noten „konservieren").
Für die Lehrenden steigt allerdings mit der jeder Veranstaltung folgenden Prüfung und Wiederholungsprüfung der Prüfungsaufwand stark! Etwas Flexibilität gewinnen sie dadurch, daß Gastprofessoren leichter in das prüfungsrelevante Angebot integriert und daß die eigenen Veranstaltungen varia
bler gestaltet werden können (Literaturlisten, Gliederungen usw. sind nicht mehr über Jahre zu fixieren). Examenkolloquien und damit das „erneute“ Studium bzw. Hören kurz vor dem Examen entfallen. Und: die Rückkoppelung von den Studierenden zu den Lehrenden ist unmittelbarer.
Erwartungen
Ein derartiges Bonuspunktesystem (bzw. Credit-Point-System), d.h. quasi kumulative Diplomgrade anstelle des nicht nur in Deutschland verankerten traditionellen Prüfungssystems mit mehreren umfassenden Abschlußprüfungen wird häufig als ein Mittel gesehen, die Studienzeiten zu reduzieren. Insbesondere aufgrund dieser Erwartung wird die Einführung derartiger Systeme von der Politik favorisiert. Offen ist, ob diese Erwartungen tatsächlich eintreten werden und, wie viele Kritiker befürchten, ob dieses erkauft wird mit einem Verlust an universitärem Studium, mit einer Verschulung sowie inhaltlichen Verflachung, mit einem Verlust an struktureller Erkenntnis und mit einer Verlagerung des universitären Studiums in zahlreiche (unübersichtliche und teure) postgraduale Studienprogramme.
Damit die Kommunikationsfähigkeit und das Erkennen der Zusammenhänge der einzelnen Fächer des Studiums insgesamt nicht verloren geht, gibt es am Ende in zwei der fünf Fächer nach Wahl eine mündliche Prüfung. So bestehen zwar das Studium und die Diplomprüfung aus vielen kleinen Abschnitten und bewerteten Leistungen (ohne den auch psychisch belastenden Block am Ende des Studiums), aber die Anreize zu einem eigenverantwortlich gestalteten, gleichmäßigen Studium lassen zusammen mit den mündlichen Prüfungen erwarten, daß der Blick für das Ganze sogar geschärft wird. Denn ein Studium erfordert nach wie vor geistige Muße und wissenschaftlichen Erkenntniswillen.
Weitere Informationen dazu erteilt gerne Prof. Dr. Wilfried Fuhrmann aus der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät unter Tel./Fax: 0331/977- 3219/ -3213 oder e-mail: fuhrmann@ rz.uni-potsdam.de. w.f.
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