CAMPUS
„DIALOG DER SCHWERHÖRIGEN"
Europa-Redakteur der Londoner TIMES sprach über deutsch-britische Beziehungen
Begleitthema einer Reihe von vorbereitenden Aktivitäten zur Gründung einer Landesgruppe Brandenburg der Deutsch- Englischen Gesellschaft e.V (DEG) - sie wurde mit der Vorstandswahl am 27. Januar 1997 ins Leben gerufen - waren die aktuellen Beziehungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der Bundesrepublik. Sie sind in der Tat ein Generalthema der DEG, die es seit 1949 als ihre vor- nehmliche Aufgabe ansieht, ihre Mitglieder über die Entwicklung in Großbritannien aus erster Hand zu informieren, und die als Veranstalter der „Königswinter Konferenz“ über einen einzigartigen Zugang zu Personen und Institutionen jenseits des Ärmelkanals verfügt.
Ende Februar begrüßte Professor Dr. Hildegard L.C. Tristram aus dem Institut für Anglistik und Amerikanistik der Uni Potsdam als Vorstandsmitglied der Landesgruppe Brandenburg der DEG George Brock, European Editor der TIMES, als ersten Gastredner, der sich der genannten Thematik in gebührender Erweiterung zuwandte: „Britain and Europe: Dialogue of the Deaf."
Um es verallgemeinert und vergröbernd vorwegzunehmen: Wenn immer politisch, historisch und ökonomisch erfahrene Briten sich zum Thema Europa vernehmen lassen, so hört sich das anders an als aus vergleichbaren deutschen Quellen. Brock behandelte gewisse Lieblingsthemen der Medien zum Bereich der deutsch-britischen Beziehungen als Marginalien und machte die Europäische Union und eine gemeinsame europäische Währung zum roten Faden seiner Gedankengänge, die' von den Teilnehmern der Veranstaltung im anschließenden Gespräch einhellig als anregend charakterisiert wurden.
Allgemein, so George Brock, handele es sich bei dem Themenkomplex Großbritannien- Europa um ein Kommunikationsproblem: Keine der beiden Seiten vernehme die jeweils andere genau genug. Wesentlich in der nicht funktionierenden Verständigung sei das Verständnis vom Nationalstaat und seiner Entwicklung zu Künftigem. So gibt es die (unter anderem in der „politischen Klasse“ in Deutschland vorzufindende) Auffassung, der Nationalstaat sei ein Interimsgebilde, das in eine europäische Föderation eingehen werde. Dem stehen Wünsche nach regionaler Autonomie gegenüber (Beispiel Schottland als Tteil des Vereinigten Königreiches), die in den Gedanken an ein europäisches „Commonwealth of Nations“, eine Partnerschaft von Staaten einmünden sollte (in diesem Zusammenhang besteht eine Grundhaltung der politischen Klasse Großbritanniens darin, sich
mit der Frage nach der Weiterentwicklung des heutigen Nationalstaates nicht zu befassen). Im übngen sei die Hage „Sind Sie für oder gegen Europa" auf den britischen Inseln nicht relevant - das Vereinigte Königreich ist Mitglied der Europäischen Union.
Und so gelangt man zum nächsten Punkt europäischer Kommunikationsprobleme - eine europäische Währungsunion, so George Brock weiter, ist nur sinnvoll, wenn die heutigen Staaten Europas in einer politischen Struktur Europa aufgehen wollten: Das Problem ist politischer und nicht ökonomischer Natur. Und schließlich: Welche Zeichen würde der Euro für die Arbeitslosen und den Osten Europas setzen?
Hier spätestens wird der Themenkomplex mehr deutsch-britisch als europäisch-britisch; die Praxis, die Entwicklung bis zu einem Punkt der Unumkehrbarkeit zu führen und (im konkreten Fall also im Hinblick auf die europäische Einigung) zu glauben, danach würde der Euro es schon richten, sei nicht die englische Art. Brock sinngemäß: ,,'Ja’ zur Europäischen Union, ‘Ja’ zur ökonomischen Union Europas, aber kein uneingeschränktes ‘Ja’ zur Europäischen Währungsunion als dem Hauptgedanken für den weiteren Weg." In dieser Frage sähe er für die künftigen Beziehungen zwischen Großbritannien und der Bundesrepublik „etwas schwarz.“
Vielleicht doch noch kurz zum deutsch-britischen Beziehungsalltag. Wirklich anti-deutsche Gefühle könne er, Brock, im UK nicht ausmachen; Deutschland ist dort nicht allzu bekannt, und es fahren halt nicht viele Menschen nach Deutschland, da es für die meisten Engländer nicht so interessant ist; während der Fußball-WM hat nur eine Zeitung sich kurz in Stimmungsmache gegen „die Deutschen" versucht, und eine Anzeige in der TIMES, in der sich die deutsche Mannschaft für die Aufnahme bedankte, wurde von der Öffentlichkeit als freundliche Geste aufgenommen; natürlich gibt es überhaupt so Unterschiede, z.B. ist das Begleitszenario zum Untergang der Schiffswerften in Deutschland anders als es bei gleichen oder ähnlichen Wirtschaftsereignissen im UK war (wo diese Entwicklungen zumeist früher vonstatten gingen); na ja, und die Briten sind ganz happy und gelassen wieder beim Verzehr von (britischem) Rindfleisch - mit den deutschen Beefeaters ist das ja wohl nicht so. Ob es nun Kommunikationsprobleme und Thubheiten sind, die bei all dem die Hauptsache bilden, sei dahingestellt und kundigen Euro-Insiders überlassen. Für die DEG war der Vortrag ein gelungener Auftakt zur Tätigkeit im Lande Brandenburg - „thought- provoking" halt. Achim Hoffmann
GERECHTIGKEITSERLEBEN UND BEFINDLICHKEITEN
Zum dritten Mal hat das Zentrum für Gerechtigkeitsforschung der Universität Potsdam (ZfG) das Thema (Veränderungs- erfahrungen nach der Wiedervereinigung" zum Gegenstand einer Konferenz gemacht, die vor einigen Wochen stattfand. Vorgestellt und diskutiert wurden empirische psychologische und soziologische Forschungsprojekte, unter anderem eine größere Erhebung des ZfG im Lande Brandenburg über vergleichende Bewertungen der gesellschaftlichen Verhältnisse und Ordnungen früher und heute, über persönliche Gewinn- Verlust-Bilanzen hinsichtlich der subjektiven Gefühlslage, über die Einschätzung der Gerechtigkeit der Verhältnisse früher und heute und anderes mehr.
Prof. Dr. Hans Werner Bierhoff (Bochum) berichtete über Zufriedenheit, Leistungsbereitschaft und Protestverhalten in Ost- und Westdeutschland. Prof. Dr. Toni Hahn (Berlin) stellte die Längsschnittuntersuchung des Brandenburgischen Instituts für Arbeitsmarkt- und Beschäftigungsentwicklung e.V (biab) über Arbeitslosigkeitsfolgen für Ostdeutsche und deren Befindlichkeiten vor, die nach Arbeitslosigkeitsverlauf, Arbeitsorientierungen und familiären Verhältnissen differenziert ausfallen. Dr. Martin Diewald (Max- Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin) berichtete aus einer großen Panelerhebung des Institutes über berufliche Mobilität, Kontrollbewußtsein und Befindlichkeiten in den neuen Bundesländern. Prof. Dr. Gunnar Winkler (Brandenburgisches Institut für Sozialforschung) stellte die Herausbildung einer neuen Ostidentität dar und diskutierte, was an dieser Identität neu ist. Prof. Dr. Klaus Böhnke und Dr. Claudia Stromberg (Chemnitz) untersuchten den Zusammenhang von Werten und Lebenszufriedenheit im West- Ost-Vergleich. PD Dr. Manfred Schmitt (Saarbrücken) und Dipl.-Psych. Jürgen Maes (Trier) berichteten über erste Ergebnisse ihres groß angelegten Projektes „Gerechtigkeit als innerdeutsches Problem“, spezifisch über das Ungerechtigkeitserleben beim Vereinigungsprozeß und den Folgen für das emotionale Befinden und die seelische Gesundheit. Prof. Dr. Amelie Mummendey (Münster) präsentierte Daten zu Strategien der Bewältigung negativer sozialer Identität in Ostdeutschland und diskutierte diese im Rahmen der Erklärungsmodelle der Theorie der sozialen Identität und der Theorie der relativen Deprivation. Prof. Dr. Bernd We- gener (Humboldt Universität Berlin) diskutierte ein Modell der Erfassung von Gerech- tigkeitsurteilen. Die Teilnehmer äußerten sich zufriedigt darüber, daß die einzelnen Projekte inhaltlich, methodisch und theoretisch gewinnbringend diskutiert werden konnten. L. M.
PUTZ 3/97
Seite 12