STRUKTUREN POLITISCHEN DENKENS IM FRÜH-NEUZEITLICHEN EUROPA
Historiker-Disput an der Universität Potsdam
Zu einem Arbeitsgespräch trafen sich kürzlich Historiker an der Universität Potsdam, um über die „Strukturen des politischen Denkens im Europa des 16./17. Jahrhunderts“ zu diskutieren. Prof. Dr. Luise Schorn-Schütte aus dem Historischen Institut, die zu dieser Tagung eingeladen hatte, betonte dabei, wie wichtig ein modifizierter Ansatz zur Analyse des politischen Denkens gerade in der „ersten Hälfte“ (16./17. Jh.) der Frühen Neuzeit sei. Dies schlösse auch ein Infragestellen lieb gewordener Interpretationsmuster und bisheriger Periodi- sierungen der sogenannten politischen Ideengeschichte ein. Eine Darstellung der Geschichte des politischen Denkens ließe sich demnach nicht auf ein lineares Verlaufsmodell reduzieren, bei dem das Werk herausragender Denker wie Niccolo Macchiavelli, Jean Bodin oder Thomas Hobbes jeweils als Zäsur auf dem Weg zu einer häufig unreflektiert bleibenden „Modernität“ benutzt wird. Die Einzelbeiträge der Referenten lösten diesen postulierten Anspruch ein.
Der Frage, ob es einen „frühneuzeitlichen Republikanismus" in den deutschen Reichsstädten gegeben habe, ging Prof. Dr. Wolfgang Mager (Bielefeld) in seinem Vortrag nach. Sein Befund fiel eher zurückhaltend aus, da die Entwicklung des Rates zur Obrigkeit kontraproduktiv auf die Entwicklung eines „Republikanismus" wirkte, der ja eine stärkere politische Partizipation des Gemeinwesens einschließen würde. Dr. Thomas Maissen (Potsdam/Zünch) konnte
dagegen deutliche Konturen eines Stadtrepublikanismus am Beispiel Zürichs herausarbeiten. Aufschlußreich erschien in diesem Zusammenhang vor allem die intensive Rezeption der Erfahrungen des im ausgehenden 16. und frühen 17. Jahrhundert wohl bedeutendsten republikanischen Staatswesens in Europa - der niederländischen Generalstaaten - durch die Städte der Schweizenschen Eidgenossenschaft. Mit Richard Hooker, Samuel Ruthersford und George Lawson stellte PD Dr. Robert v. Friedeburg (Bielefeld/z.Z. Berlin) englische und schottische Kleriker des 16. und 17. Jahrhunderts vor, die in bisherigen Darstellungen zur Geschichte des politischen Denkens eine nur geringe Aufmerksamkeit erfuhren. Gemeinsam war ihnen das Bemühen um die Formulierung einer Staatslehre, die die Spannungen zwischen der Grundüberzeugung, daß der Widerstand des einzelnen gegen weltliche Obngkeit nicht zulässig sei, wohl aber die Verteidigung des „wahren Glaubens" durch das Gemeinwesen, austarieren konnte.
Über einen relativ ungewöhnlichen Ansatz - der Verbindung von Mentalitäts- und Geistesgeschichte - versuchte Prof. Dr. Piere Angelo Schiera (Trient) sich den Veränderungen im politischen Diskurs vor allem des 18. Jahrhunderts zu nähern. Die Begriffe „Benehmen", „Staatsräson“ und „Melancholie" standen im Zentrum seiner Betrachtungen, die dafür plädierten, bei einer Analyse politischer Theonen und Staatslehren auch hinter die Institutionen zu schauen. Den Spezifika politischen Denkens in der polnisch-litauischen Adelsrepublik wandte
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Leviathan or The Matter, Forme and Power of a Commonwealth Ecclesiaticall and Civil. By Thomas Hobbes. Radierung von V Hollar um 1650, 1. Auflage, London 1651. Abb.: zg.
sich Prof. Dr. Michael G. Müller (Halle) zu. Insbesondere ging er dabei dem von der bisherigen Forschung noch nicht befriedigend.gelösten Problem nach, warum die polnische Reformation nicht einen ähnlichen innovativen Schub in Richtung einer konfessionell-politischen Formierung bewirkt hatte wie in den deutschen Territorien oder in Skandinavien.
Einem von der Forschung ebenso bisher nur am Rande behandelten Strang politischen Denkens widmete Prof. Dr. Luise Schorn- Schütte (Potsdam) ihren Beitrag. Die „politica christiana" - einhergehend mit einer Wiederbelebung der Dreiständelehre - leitete ihre Forderung nach einer ethischen Politik aus der Annahme ab, daß eine von anderen zeitgenössischen Denkern geforderte Trennung von Kirche und Staat unnötig sei. Den Weg von der Etablierung bis zur Knse der „politica“ als „Wissenschaft erfolgreichen Regierens“ im 18. Jahrhundert verfolgte Prof. Dr. Wolfgang Weber (Augsburg). Für die Verflachung des „politicus"-Begnffes machte er vor allem die wachsende Bedeutung des Hofes für die Ausbildung der Amtsträgerschaft verantwortlich.
Die abschließende Diskussion bekräftigte die zur Eröffnung des Arbeitsgesprächs erhobene Forderung, in stärkerem Maße den Zusammenhang von politischem Denken und Handeln in der Frühen Neuzeit zu erfassen. Ebenso waren sich die Tägungsteilneh- mer darüber einig, wie notwendig es sei, bisherige Ein- und Zuordnungen politischer Denker als auch geschichtswissenschaftliche Leitbegriffe wie „Konfessionalisierung“ oder „Modernisierung“ einer Neubewertung zu unterziehen. Ftank Göse
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PHYSIK ERLEBEN AN DER UNI
Der Bereich Physik der Universität Potsdam bietet für physikinteressierte Schülerinnen und Schüler der gymnasialen Oberstufe des Landes Brandenburg und Berlin ein umfangreiches Programm an. Mehrere Schulen nutzten bereits die Gelegenheit, um hier einen Forschungstag zu erleben. Im Mittelpunkt dieser Veranstaltungen stehen das selbständige Experimentieren, der Besuch von Forschungsprojekten, wie z.B. Laserphysik, Festkörperphysik, Physik dünner Schichten, sowie die Teilnahme an wissenschaftlichen Vorträgen zu ausgewählten Themen, wie z.B. „Photonik - Licht als Werkzeug", „Ordnung im Chaos",
„Optoelektronik - Schlüssel zur Telekommunikation“ oder zu Physik und Medizin. Große Resonanz fand beispielsweise ein dreitägiger Intensivkurs für besonders an Physik und Astronomie interessierte Schülerinnen und Schüler. Des weiteren wurden von über 20 Gymnasien und Gesamtschulen Physik- und Astrophysiklehrer zu einem Oberstufentag eingeladen. Mit großem Interesse und hoher Aufmerksamkeit wurden solche Themen wie „Schwerkraft im Weltall“, „Globales Umweltmanagement“, „Unser Kosmos", „Regenerative Energiequellen", „Physik und Medizin", „Ordnung im Chaos", „Sehen bei Nacht" und „Hören unter Wasser" aufgenommen und diskutiert. W.MJFoto: Tribukeit
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