SCHULE AUS, GLOTZE AN: FREIZEIT WIRD ZUR MEDIENZEIT
Befragung der Arbeitsstelle Medienpädagogik zum Thema „Jugend und Medien"
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Kinderzimmer als Empfangsstation: Die Zeiten, in denen die meisten Jugendlichen noch im elterlichen Wohnzimmer vor der Glotze hingen, sind endgültig vorbei. Die Studie „Jugend und Medien“ ergab, daß drei von vier Brandenburger Schülern zwischen elf und 20 Jahren inzwischen einen eigenen Fernseher besitzen, sogar 95 Prozent verfügen über einen Kassettenrekorder. Jeder dritte Jugendliche ist mit einem Computer ausgestattet. Foto: Märkische Allgemeine/Rohr
Brandenburger Jugendliche hocken pro Tag durchschnittlich mehr als zwei Stunden vor der Glotze, hören am liebsten Radio Energy und interessieren sich bei der Zeitungslektüre in erster Linie für die Anzeigenrubriken. Das geht aus einer Umfrage unter Schülern im Alter von elf bis 20 Jahren hervor, die in den vergangenen zwei Jahren von der Arbeitsstelle Medienpädagogik der Universität Potsdam in Zusammenarbeit mit dem Institut zur Objektivierung von Lem- und Prüfverfahren Aachen und der Märkischen Allgemeinen Zeitung durchgeführt wurde. 1.117 Jugendliche aus dem westlichen Brandenburg beteiligten sich bislang an der Studie mit dem Titel “Jugend und Medien”. Die erfaßten Daten sollen vor allem für die medienpädagogische Arbeit an Schulen und die Lehrerausbildung an Universitäten genutzt werden.
„Freizeit ist inzwischen zu großen Teilen Medienzeit“, faßt Dr. Wolfgang Fromm von der Arbeitsstelle Medienpädagogik die ersten Ergebnisse der Untersuchung zusammen. Das Fernsehen steht im Mittelpunkt des alltäglichen „Medien-Marathons“ der Brandenburger Schüler. Bei 88,4 Prozent der Befragten läuft die Flimmerkiste mehr als eine Stunde täglich. Jeder dritte gab sogar an, mehr als drei Stunden seiner Freizeit vor der Glotze zu verbringen, Spitzenreiter unter den Programmanbietern sind die privaten TV-Stationen RTL und Pro Sieben, „ARD und ZDF sitzen bei Kindern nicht einmal in der zweiten Reihe“, so Fromm. Auch beim Hörfunk steht ein privater Sender in der Gunst der Schüler ganz oben. Bei fast jedem zweiten Befragten dröhnt Radio Energy am häufigsten aus dem Äther. „104.6 RTL“ und das Gemeinschaftsprogramm von ORB und SFB „Fritz” folgen weit dahinter auf den Rängen zwei und drei. Die elektronischen Medien werden von den Jugendlichen in erster Linie zur Unterhaltung genutzt. Spielfilme und Serien flimmern bei ihnen am häufigsten über die Mattscheibe, aus ihren Radios kommen meist flotte Sprüche und vor allem Musik. Tageszeitungen dienen den Schülern dagegen in erster Linie zur Information. „Wir waren überrascht, daß 81 Prozent täglich die aktuelle Presse nutzen“, so Fromm. Allerdings ist die Lektüre den meisten nur weniger als eine halbe Stunde ihrer Freizeit wert. Die redaktionellen Beiträge stoßen dabei auf weniger Interesse als die Anzeigen. 42 Prozent studieren täglich den Stellenmarkt, die Kontaktanzeigen oder gar die Todesinserate. Der Politikteil der Täges- zeitungen wird dagegen nur von vier Pro
zent regelmäßig gelesen.
„Die Ergebnisse zeigen, daß eine zeitgemäße Medienerziehung immer wichtiger wird“, so Wolfgang Fromm. Vor allem im Vorschulalter sollten Eltern ihre Kinder nicht allein vor dem Fernseher sitzen lassen und Einfluß auf Sehdauer und Programmauswahl nehmen. Wichtig sei zudem eine alternative Freizeitgestaltung innerhalb der Familie. Neben den Eltern seien aber auch die Lehrer gefordert. „Der Umgang mit den Medien muß heutzutage genauso erlernt werden wie lesen und schreiben”, sagt Fromm, Die Erziehung zur selbstbestimmten Nutzung von Fernsehen, Hörfunk, Zeitung oder Computer soll nach seinen Vorstellungen fächerübergreifend erfolgen. Der Deutschunterricht könne ebenso zu einem bewußteren Umgang mit Medien beitragen, wie Erdkunde, Kunst oder Politische Bildung. „Wir wollen nicht den passiven, gutgläubigen, mediensüchtigen Konsumenten, der sich zu Tode amüsiert. Wir wollen vielmehr den aktiven, kritischen, kreativen Nutzer, der selbstbestimmt die Medien für eigene Interessen und Bedürfnisse in Anspruch nimmt“, beschreibt Fromm das strategische Ziel der Medienpädagogik,
Die Grundlage für eine zeitgemäße Medienerziehung müsse an den Hochschulen geschaffen werden, meint Fromm: „Jeder Lehramtsstudent sollte eine solide medienpädagogische Grundausbildung erhalten.“
An der Uni Potsdam werde in diesem Bereich noch viel zu wenig getan. „Dabei hängt doch die Zukunftsfähigkeit unseres Bildungssystems mit davon ab, inwieweit Schüler mit Medien umgehen können. Aber das wird hier offenbar noch nicht so gesehen", sagt Fromm. Eine Novellierung der Studienordnung sei dringend notwendig, um der Medienerziehung einen angemessenen Anteil am Pädagogikstudium zu verschaffen.
Die Resonanz der Studenten auf die Angebote der Arbeitsstelle gibt dem Medienpädagogen recht. Allein an dem Seminar zum Thema „Jugend und Medien" nahmen im vergangenen Semester 58 Studenten teil. In zahlreichen Hausarbeiten wurden die Daten der Untersuchung bereits unter verschiedenen Gesichtspunkten ausgewertet. Die Befragungen werden derweil fortgesetzt. Zunächst bis Herbst 1999 sollen Daten über die Mediennutzung der Brandenburger Jugendlichen gesammelt werden. „Dann wird es zunächst eine Zäsur geben“, so Fromm. Eine Fortsetzung des Projektes als Langzeitstudie sei allerdings wünschenswert. mcf
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