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(1.1.2019) 04
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beitsgruppe des Vortragenden konnten durch die Anwendung neuartiger Analyse­und Prognosemethoden belegen, daß in diesen wahrhaft stürmischen Zeiten bin­nen weniger Jahre viele Ortschaften ihre fruchtbaren Böden verloren. In einigen Gebieten beseitigte Starkregen die land­wirtschaftliche Nutzfläche fast vollständig. Ertragsausfälle, Hungersnöte, Massen­sterben im Mittelalter und Auswande­rungswellen in der Neuzeit waren die un­mittelbaren Folgen. Neben diesen, im wissenschaftlichen Zu­sammenhang bis heute nicht wahrgenom­menen Vorgängen wurden viele Land­schaftsräume regelrecht zerschluchtet, wie das Beispiel der Wolfsschlucht in der Mär­kischen Schweiz deutlich macht. Tiefe Kerbtäler entstanden und wurden zum Teil wieder verfüllt. So blieben Archive erhalten, die Bodenkundler durch aufwendige Ana­lysen lesbar machen können. Verschüttete Reste von Gebäuden oder Pflughorizonte in zehn Metern Bodentiefe dienen heute als Indizien für das Ausmaß der Landschafts­veränderungen infolge menschlicher Nut­zung.

Hans-Rudolf Bork hat durch seinen Vortrag eine neuartige, naturwissenschaftliche Sicht auf die Menschheits- und Landschafts­geschichte der vergangenen 1500 Jahre ver­mittelt. Es wurde deutlich, daß hier ein gra­vierender Forschungsbedarf besteht, der nur im Rahmen interdisziplinärer Zusammenar­beit innerhalb und außerhalb der Universität Potsdam gedeckt werden kann. Die bereits erfolgte Einrichtung einer Arbeitsgruppe Langfristige Landschaftsentwicklung des Zentrums für Umweltwissenschaften der Universität Potsdam ist als erster Erfolg an­zusehen. Karl Geldmacher

Aktionsplan für die Chemie

Der Bundesminister für Bildung, Wissen­schaft, Forschung und Technologie, Dr. Jür­gen Rüttgers, hat sich mit Vertretern der Chemischen Industrie, der Gewerkschaft und der Wissenschaftsorganisationen auf einen Aktionsplan für die Chemie verstän­digt. Das Studium soll modernisiert und auf künftige Anforderungen ausgerichtet wer­den. Der Wettbewerb in und zwischen den Hochschulen ist zu verstärken, die Interna­tionalität der Ausbildung durch entspre­chende Studiengänge zu steigern, Aus- und Weiterbildung durch praxisnahe Angebote zu verbessern. Im Bereich Forschung und Entwicklung sollen die Rahmenbedingun­gen für Innovationen verändert werden, Un­ternehmen und Hochschulen effizienter zu­sammenarbeiten, verstärkt anspruchsvolle, strategische Vorhaben realisiert und ver­mehrt neue Informationstechnologien für die spezifischen Belange der Chemie ein­gesetzt werden. pm.

TAFELFREU(N)DE IM ALTEN ROM

Antrittsvorlesung von Prof. Dr. Jörg Rüpke

Daß der meist einer Antrittsvorlesung fol­gende Empfang im Zusammenhang mit dem Thema des Abends steht, ergibt sich selten. Jörg Rüpke konnte damit dienen. Befaßte sich der Professor für Klassische Philologie(Latinistik) in der Philosophi­schen Fakultät I doch mit dem Thema Kommensalität und Gesellschaftsstruk­tur: Tafelfreu(n)de im alten Rom.

Essen gehörte schon immer zu den menschlichen Grundbedürfnissen. Der hohe Aufwand bei der Nahrungsmittel­herstellung führte zwangsläufig zur Kulti­vierung und Ritualisierung des Verzehrs, Damit erlangte auch das gemeinsame Speisen eine zentrale Bedeutung für die Konstituierung sozialer Beziehungen. Der Referent Jörg Rüpke ging nun der histo­risch ausgerichteten Frage der Ausgestal­tung und Funktion fundamentaler Institu­tionen in der römischen Kultur nach, um den Stellenwert des festlichen Essens in der römischen Gesellschaft näher zu be­stimmen.

Die antike Bankettkultur analysierend, stellte er fest, daß gemeinsames Essenin jedem Fall ein mächtiges Ritual der CGruppendefinition darstellte. Bankette waren zunächst häusliche Festmale, zu denen ein adliger Haushalt eine kleine Gruppe annähernd Gleichgestellter ein­lud. Diese Cleichheit war allerdings rela­tiv. Sie erfuhr ihre inhaltliche Bestimmung durch den Gegensatz zu den Ausgeschlos­senen, also nicht Eingeladenen. Die Sitz­höhe der Cäste etwa oder die einge­schränkte Teilnahme an bestimmten Ele­menten des Essens sollte ebenso wie die Sitzordnung bewußt Differenzierungen verdeutlichen. Gesellschaftliche Positio­nen kamen darin zum Ausdruck, daß sich Bankette mit Gabe und Gegengabe, also Gegeneinladungen, verbanden. Im Laufe der Zeit vergrößerte sich die Zahl jener an den Baketten Teilnehmenden. Die Tren­nung von Sättigungsmahl und anschlie­ßendem Trinken hatte den zunehmenden Ausschluß der weiblichen Haus­haltsmitglieder und der Kinder zur Folge. Bankette als Mittel der prestigefördernden Zuwendung der Reichen und Amtsträger an die Stadtbevölkerung gewannen an Gewicht.

Als Beleg für die Bedeutung von Festmah­len bei den Römern führte Rüpke die leges sumptuariae, Anti-Luxus-Gesetze, an. Sie gehören zu den frühesten Zeugnissen rö­mischer Eßgeschichte., In ihnen sind bei­spielsweise Regelungen über die für die

Foto: Tribukeit

einzelnen Gänge auszugebenden Geld­summen oder den Wert des zu verwenden­den Tafelgeschirrs enthalten. Später soll­te bei geöffneten Türen gespeist werden! Das Stadtgesetz der colonia Ccivium Romanorum Urso in der spanischen Baetica aus dem Jahre 44 v. Chr. legte wie­derum fest, Bankette zugunsten eines Wahlbewerbers zu unterlassen. Damit wollte man sie als Mittel des Stimmen­kaufs unterbinden.

Auch die monatlichen Treffen der beiden wichtigsten Priesterschaften der Pontifices und Auguren in den Privathäusern ihrer Mitglieder waren Gelegenheiten zu üppl­gen Banketten. Als stabile Bankettzirkel und Freundeskreise mußten nach Auffas­sung Rüpkes die collegia der Staatsprie­sterschaften als äußerst riskantes Element des Kräftespiels der römischen Führungs­schicht wahrgenommen worden sein. Mit der Institution der Salier, einer römischen Priesterschaft, sieht der Philologe die Möglichkeit, für die hypothetische Rekon­struktion einer Geschichte der Tafelfreu­den und Tafelfreunde in Rom eine Lücke zu schließen. Nämlich diezwischen dem vor allem archäologisch erschlossenen Zustand aristokratischer Eßkultur des noch nicht oder erst allmählich urbanisier­ten Italiens und der gesicherten Geschich­te anderer Priesterkollegien, deren Ge­schichte damit auch als kulinarische Kul­turgeschichte gesehen werden kann. Die lex Ogulnia beweise, so Rüpke,wie zen­tral die Frage der Tischgemeinschaft, der Kommensalität um 300 v. Chr. für die Ge­sellschaftsstruktur ist. B.E.

PUTZ 4/97

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