beitsgruppe des Vortragenden konnten durch die Anwendung neuartiger Analyseund Prognosemethoden belegen, daß in diesen wahrhaft stürmischen Zeiten binnen weniger Jahre viele Ortschaften ihre fruchtbaren Böden verloren. In einigen Gebieten beseitigte Starkregen die landwirtschaftliche Nutzfläche fast vollständig. Ertragsausfälle, Hungersnöte, Massensterben im Mittelalter und Auswanderungswellen in der Neuzeit waren die unmittelbaren Folgen. Neben diesen, im wissenschaftlichen Zusammenhang bis heute nicht wahrgenommenen Vorgängen wurden viele Landschaftsräume regelrecht zerschluchtet, wie das Beispiel der Wolfsschlucht in der Märkischen Schweiz deutlich macht. Tiefe Kerbtäler entstanden und wurden zum Teil wieder verfüllt. So blieben Archive erhalten, die Bodenkundler durch aufwendige Analysen lesbar machen können. Verschüttete Reste von Gebäuden oder Pflughorizonte in zehn Metern Bodentiefe dienen heute als Indizien für das Ausmaß der Landschaftsveränderungen infolge menschlicher Nutzung.
Hans-Rudolf Bork hat durch seinen Vortrag eine neuartige, naturwissenschaftliche Sicht auf die Menschheits- und Landschaftsgeschichte der vergangenen 1500 Jahre vermittelt. Es wurde deutlich, daß hier ein gravierender Forschungsbedarf besteht, der nur im Rahmen interdisziplinärer Zusammenarbeit innerhalb und außerhalb der Universität Potsdam gedeckt werden kann. Die bereits erfolgte Einrichtung einer Arbeitsgruppe „Langfristige Landschaftsentwicklung“ des Zentrums für Umweltwissenschaften der Universität Potsdam ist als erster Erfolg anzusehen. Karl Geldmacher
Aktionsplan für die Chemie
Der Bundesminister für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie, Dr. Jürgen Rüttgers, hat sich mit Vertretern der Chemischen Industrie, der Gewerkschaft und der Wissenschaftsorganisationen auf einen Aktionsplan für die Chemie verständigt. Das Studium soll modernisiert und auf künftige Anforderungen ausgerichtet werden. Der Wettbewerb in und zwischen den Hochschulen ist zu verstärken, die Internationalität der Ausbildung durch entsprechende Studiengänge zu steigern, Aus- und Weiterbildung durch praxisnahe Angebote zu verbessern. Im Bereich Forschung und Entwicklung sollen die Rahmenbedingungen für Innovationen verändert werden, Unternehmen und Hochschulen effizienter zusammenarbeiten, verstärkt anspruchsvolle, strategische Vorhaben realisiert und vermehrt neue Informationstechnologien für die spezifischen Belange der Chemie eingesetzt werden. pm.
TAFELFREU(N)DE IM ALTEN ROM
Antrittsvorlesung von Prof. Dr. Jörg Rüpke
Daß der meist einer Antrittsvorlesung folgende Empfang im Zusammenhang mit dem Thema des Abends steht, ergibt sich selten. Jörg Rüpke konnte damit dienen. Befaßte sich der Professor für Klassische Philologie(Latinistik) in der Philosophischen Fakultät I doch mit dem Thema „Kommensalität und Gesellschaftsstruktur: Tafelfreu(n)de im alten Rom“.
Essen gehörte schon immer zu den menschlichen Grundbedürfnissen. Der hohe Aufwand bei der Nahrungsmittelherstellung führte zwangsläufig zur Kultivierung und Ritualisierung des Verzehrs, Damit erlangte auch das gemeinsame Speisen eine zentrale Bedeutung für die Konstituierung sozialer Beziehungen. Der Referent Jörg Rüpke ging nun der historisch ausgerichteten Frage der Ausgestaltung und Funktion fundamentaler Institutionen in der römischen Kultur nach, um den Stellenwert des festlichen Essens in der römischen Gesellschaft näher zu bestimmen.
Die antike Bankettkultur analysierend, stellte er fest, daß gemeinsames Essen„in jedem Fall ein mächtiges Ritual der CGruppendefinition“ darstellte. Bankette waren zunächst häusliche Festmale, zu denen ein adliger Haushalt eine kleine Gruppe annähernd Gleichgestellter einlud. Diese Cleichheit war allerdings relativ. Sie erfuhr ihre inhaltliche Bestimmung durch den Gegensatz zu den Ausgeschlossenen, also nicht Eingeladenen. Die Sitzhöhe der Cäste etwa oder die eingeschränkte Teilnahme an bestimmten Elementen des Essens sollte ebenso wie die Sitzordnung bewußt Differenzierungen verdeutlichen. Gesellschaftliche Positionen kamen darin zum Ausdruck, daß sich Bankette mit Gabe und Gegengabe, also Gegeneinladungen, verbanden. Im Laufe der Zeit vergrößerte sich die Zahl jener an den Baketten Teilnehmenden. Die Trennung von Sättigungsmahl und anschließendem Trinken hatte den zunehmenden Ausschluß der weiblichen Haushaltsmitglieder und der Kinder zur Folge. Bankette als Mittel der prestigefördernden Zuwendung der Reichen und Amtsträger an die Stadtbevölkerung gewannen an Gewicht.
Als Beleg für die Bedeutung von Festmahlen bei den Römern führte Rüpke die leges sumptuariae, Anti-Luxus-Gesetze, an. Sie gehören zu den frühesten Zeugnissen römischer Eßgeschichte., In ihnen sind beispielsweise Regelungen über die für die
Foto: Tribukeit
einzelnen Gänge auszugebenden Geldsummen oder den Wert des zu verwendenden Tafelgeschirrs enthalten. Später sollte bei geöffneten Türen gespeist werden! Das Stadtgesetz der colonia Ccivium Romanorum Urso in der spanischen Baetica aus dem Jahre 44 v. Chr. legte wiederum fest, Bankette zugunsten eines Wahlbewerbers zu unterlassen. Damit wollte man sie als Mittel des Stimmenkaufs unterbinden.
Auch die monatlichen Treffen der beiden wichtigsten Priesterschaften der Pontifices und Auguren in den Privathäusern ihrer Mitglieder waren Gelegenheiten zu üpplgen Banketten. Als stabile Bankettzirkel und Freundeskreise mußten nach Auffassung Rüpkes die collegia der Staatspriesterschaften als äußerst riskantes Element des Kräftespiels der römischen Führungsschicht wahrgenommen worden sein. Mit der Institution der Salier, einer römischen Priesterschaft, sieht der Philologe die Möglichkeit, für die hypothetische Rekonstruktion einer Geschichte der Tafelfreuden und Tafelfreunde in Rom eine Lücke zu schließen. Nämlich die„zwischen dem vor allem archäologisch erschlossenen Zustand aristokratischer Eßkultur des noch nicht oder erst allmählich urbanisierten Italiens und der gesicherten Geschichte anderer Priesterkollegien, deren Geschichte damit auch als kulinarische Kulturgeschichte gesehen werden kann“. Die lex Ogulnia beweise, so Rüpke,„wie zentral die Frage der Tischgemeinschaft, der Kommensalität um 300 v. Chr. für die Gesellschaftsstruktur ist“. B.E.
PUTZ 4/97
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