Heft 
(1.1.2019) 04
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Genbauern ist es auch in diesem Jahr be­reits wieder zu Zerstörungen und Besetzun­gen von Versuchsäckern gekommen. Im sächsischen Riesa mähten Unbekannte An­fang Mai ein 2.000 Quadratmeter großes Rapsfeld. Im brandenburgischen Schönfeld konnte die Aussaat von genmanipuliertem Mais nur unter Polizeischutz erfolgen, nach­dem das Feld tagelang von einer Bürgerin­itiative besetzt worden war.

Das Golmer Max-Planck-Institut geht nach den schlechten Erfahrungen im vergange­nen Jahr aufNummer sicher. Das Feld wird nun rund um die Uhr von Wachleuten behütet. ‚Wir haben allerdings nicht unend­lich viel Geld, um dieses Spiel ewig zu trei­

ben, sagt Rainer Höfgen.

Bis zum Jahr 2000 sind die Freiland­versuche des Max-Planck-Instituts geneh­migt. Ob die genmanipulierten Knollen mit den verbesserten Stärkeeigenschaften dann auch jenseits des Golmer Ackerzauns ausgesetzt werden können, steht noch in den Sternen.Das hängt auch davon ab, wie sich die öffentliche Akzeptanz der Gen­technologie in Deutschland entwickelt, meint Höfgen. Die kommerzielle Umset­zung von Forschungsergebnissen aus die­sem Bereich lasse hierzulande immer noch zu wünschen übrig:Im Vergleich zu den USA haben wir da einen Rückstand von ungefähr fünf Jahren. mcef

WAS WIRD AUS PSYCHISCH AUFFÄLLIGEN KINDERN? _Längsschnittstudie vom Kindes- zum Erwachsenenalter

Der Verlauf psychischer Auffälligkeiten in einer Region mit gutem Behandlungsangebot kann nur durch prospektive epidemiologische Längsschnittstudien untersucht werden. Solche Untersuchungen sind aufgrund des hohen materiellen Aufwands selten. Insbe­sondere der Übergang vom Kindes- zum Erwachsenenalter ist bislang kaum unter­sucht. Die wenigen existierenden Studien sind mit erheblichen methodischen Proble­men behaftet. Umso bedeutender sind die nun vorliegenden Ergebnisse der Mann­heimer Kurpfalzerhebung, die über einen Zeitraum von 17 Jahren durchgeführt wurde. An der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Untersuchung waren auch Wissenschaftler des In­stituts für Psychologie der Universität Potsdam beteiligt.

1978 wurde die erste Untersuchungswelle der 1970 geborenen Mannheimer Kinder durchgeführt. Weitere Untersuchungen er­folgten im Alter von 13, 18 und 25 Jahren. Die letzte Erhebungswelle wurde gemein­sam mit einer Rostocker Längsschnittstudie durchgeführt, bei der unabhängig von der Mannheimer Studie Kinder des gleichen Jahrgangs mit ähnlichen Fragestellungen untersucht wurden.

Die Kurpfalzerhebung befaßt sich insbeson­dere mit den Entstehungsbedingungen und dem Verlauf von psychischen Störungen vom Kindes- bis zum Erwachsenenalter. Von den 399 im Alter von acht Jahren erst­mals untersuchten Mannheimern konnten als 25jährige immerhin noch 321(über 80 Prozent) nachuntersucht werden.

Die Rate psychischer Auffälligkeiten schwankte über die Jahre konstant zwischen 16 und 18 Prozent. Rund vier bis sechs Pro­zent mußten als schwere Formen und unbe­dingt behandlungsbedürftig eingeschätzt werden. Durchschnittlich betrug die Stabili­tät psychischer Störungen über einen Zeit­raum von fünf bis sieben Jahren 50 Prozent. Ein Fünftel aller Teilnehmer der Studie wa­ren über den gesamten Erhebungszeitraum psychisch gesund. Zehn Prozent waren min­destens zehn Jahre lang psychisch auffällig, so daß hier insgesamt von einer chronischen Störung ausgegangen werden mußte. Acht­jährige mit Ängsten und Kontaktstörungen hatten gute Chancen, ihre Probleme bis zum

13. Lebensjahr zu bewältigen. Dies gelang immerhin drei von vier Betroffenen. Dieser positive Trend setzte sich auch über die nächsten zwölf Jahre fort. Sehr viel ungünsti­ger war der Verlauf bei Kindern mit Sozial­störungen. 90 Prozent von ihnen hatten auch fünf Jahre später noch deutliche Auffälligkei­ten, von denen sich nur ein kleiner Teil in den weiteren Jahren zurückbildete. Ängste, De­pressionen und Kontaktstörungen 13jähriger Mädchen zeigten einen ungünstigen Verlauf, während die gleichen Störungsbilder bei Jungen eher günstig verliefen. Das Umge­kehrte galt für Sozialstörungen im Alter von 13 Jahren, die bei Jungen sehr ungünstig und bei Mädchen sehr günstig verliefen.

Aufgrund ihres Verlaufs lassen sich sieben

Symptomtypen identifizieren:

* Typ 1: z.B. Freßsucht und Zwänge; kon­stante Häufigkeit vom Kindes- bis zum Erwachsenenalter.

* Typ 2: z.B. motorische Unruhe, Ein­nässen oder Geschwisterrivalität; konti­nuierlich abfallende Häufigkeit vom Kin­des- bis zum Erwachsenenalter.

* Typ 3: z.B. Nikotin- und Alkoholmiß­brauch; kontinuierlicher Anstieg vom Kin­des- zum Erwachsenenalter,

* Typ 4: z.B. Ablenkbarkeit, Einschlafstö­rungen, aber auch Stehlen; eine typische Störung des Kindesalters mit hohen Ra­ten im Kindes- und niedrigen im Jugend­und Erwachsenenalter.

* Typ 5: z.B. Panikstörungen und Somati­sierungstendenzen; Erwachsenentyp mit niedrigen Raten im Kindes- und hohen Raten im Erwachsenenalter.

* Typ 6: z.B. depressive Verstimmungen und Kopfschmerzen; Höhepunkt im Ju­gendalter bei niedrigeren Werten im Kin­des- und Erwachsenenalter.

* Typ 7: z.B. Disziplinstörungen in der Schule und Nägelkauen; phasenspezifi­scher Typ mit Höhepunkt im Alter von 13 Jahren, ansonsten niedrige Werte.

Psychisch auffällige Kinder haben als jun­ge Erwachsene Beeinträchtigungen in vie­len Lebensbereichen. Dies gilt zum Bei­spiel für eine gestörte Beziehung zur Herkunftsfamilie, zu Gleichaltrigen, eine Einschränkung der Interessen und Freizeit­beschäftigungen, sowie eine niedrigere berufliche Anpassung. Insgesamt sind die Kinder mit ehemaligen Sozialstörungen stärker betroffen als diejenigen mit ehema­ligen emotionalen Problemen. Eine Analyse der Belastungsfaktoren er­brachte, daß bei jungen Erwachsenen mit Ängsten, Depressionen und psychosomati­schen Beschwerden die relevanten Proble­me eher im Jugend- und jungen Erwach­senenalter zu suchen sind, während bei Er­wachsenen mit Sozialstörungen und Sucht­erkrankungen eher in der frühen und mittle­ren Kindheit zu suchen sind.

Ein Vergleich zwischen der Häufigkeit psy­

chischer Auffälligkeiten in Rostock und

Mannheim erbrachte, daß die Raten in Ro­

stock mit 12,7 Prozent im Vergleich zu 18,4

Prozent in Mannheim niedriger waren. Vor

allem Suchtprobleme und psychosomati­

sche Beschwerden waren in Mannheim häufiger. So war bei Mannheimer Männern häufiger Nikotin- und Drogenmißbrauch sowie Arbeitsverweigerung festzustellen, während Rostocker Männer häufiger Panik­störungen zeigten. Mannheimer Frauen lit­ten häufiger unter Phobien, Kontaktstö­rungen und Nikotinabhängigkeit, während

Rostocker Frauen sich als impulsiver und

hypochondrischer erwiesen.

Ein hochinteressantes Ergebnis bezüglich

des Ost-West-Vergleichs ergab sich bei Be­

rücksichtigung der Risikofaktoren. Familiäre

Belastungen wie Disharmonie in der Ehe,

psychische Störungen der Mutter oder Kri­

minalität des Vaters, Faktoren, die in Mann­heim wichtige Prädiktoren für psychische

Auffälligkeit waren, hatten in Rostock prak­

tisch keine Bedeutung. Es konnte gezeigt

werden, daß familiäre Belastungsfaktoren in

Mannheim die psychische Gesundheit der

Kinder erheblich stärker belasten als in Ro­

stock. Erklärt wird dieser Ost-West-Unter­

schied durch das Vorhandensein protektiver

Faktoren(Krippen- und Horterziehung) in

der DDR, die insbesondere bei psychosozial

schwer belasteten Familien den Kindern eine wertvolle Stütze waren. Günter Esser

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