AM ANFANG WAR DER RUNDE TISCH
Früherer Ministerpräsident Polens bei den Zeithistorikern
Mitte November weilte am Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF) ein prominenter Redner zu Gast. Im Rahmen der öffentlichen Veranstaltungsreihe„Zeithistorische Dialoge- politische Erfahrungen und wissenschaftliche Fragen“ sprach in der Einrichtung der ehemalige polnische Ministerpräsident Dr. Mieczyslaw Rakowski. Er hattte sich das Thema ‚Vom Runden Tisch zur ersten frei gewählten Regierung Polens“ gewählt. Kommentiert wurden seine Ausführungen von Dr. Helmut Fehr(Erlangen/Berlin).
Mieczyslaw Rakowski, Jahrgang 1926, von Beruf Dreher, studierte Journalistik, Geschichte und Politische Wissenschaft und promovierte 1955 über die SPD der Nachkriegszeit. Neben hochrangigen Parteifunktionen leitete er von 1958 bis 1982 die Zeitschrift„Polityka“, die auch in den verschiedenen Krisenjahren um eine relative Offenheit bemüht war. Heute ist Rakowski Mitglied der polnischen Sozialdemokratie und Herausgeber der linken theoretischen Zeitschrift„Dzis“(Heute).
Zu Beginn seines Vortrages sagte Rakowski, er habe 1987 geschrieben, daß das sozialistische System an einem Wendepunkt stehe; heute wisse er, daß dieser Wendepunkt eigentlich schon vorbei war. Diese Denkschnift war schon nach drei Tagen im State Department in Washington bekannt. Das Interesse der amerikanischen Stellen wurde vor allem von Rakowskis Idee wachgerufen, Polen umfassend zu reformieren— noch ohne Beteiligung der Opposition. Diese Einschränkung, so Rakowski heute, war„naiv und dumm“. Dennoch nahm die Führung der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP), auch auf Anraten Rakowskis, inoffizielle Kontakte zu Adam Michnik, einem Führer der Opposition, auf. Unter späterer Hinzuziehung eines anderen wichtigen Oppositionellen, Jacek Kuron, enstand im Juni 1988 das Projekt des Runden Tisches, das Wojciech Jaruzelski zunächst mit Skepsis betrachtet hatte. Schließlich aber kam Jaruzelski zu der Ansicht, man müsse die Solidarnosc als Verhandlungspartner anerkennen. Damit war die Idee geboren, daß nur PVAP und Opposition gemeinsam Polen reformieren könnten.
Der Runde. Tisch entstand aus den Lehren, die die Reformkommunisten nach den teilweise blutigen Konfrontationen mit ihren nichtkommunistischen Gegnern und mit den aufständischen Arbeitern 1956, 1970, 1976 und 1980/81 gezogen hatten. Diese„Institution“ brachte die Polen aus den verschiedenen politischen Lagern zusammen, ermöglichte einen friedlichen Systemwandel und
Dr. Mieczyslaw Rakowski, der frühere Ministerpräsident Polens. Foto: Tribukeit
zeigte, daß Reformkommunisten— im Unterschied zu Stalinisten— die Macht abgeben können, wenn sie vom Volk mehrheitlich kein Mandat mehr dafür haben. In seinem Kommentar unterstrich Helmut Fehr, daß nach dem Systemwechsel große Teile der Solidarnosc-Eliten mit ihrer„Dekommunisierungs“-Kampagne die bislang tragfähige Komponente einer Zusammenarbeit mit den Reformkommunisten aufgaben. Unter anderem trage dies zur heutigen Kluft zwischen den politischen Eliten und Teilen der Bürger bei. In der anschließenden Diskussion machte Rakowski mit dem Jahr 1970 und den damaligen Arbeiterprotesten in den polnischen Hafenstädten und Bergbaugebieten die Wende vom reformsozialistischen zum antisozialistischen Arbeiterprotest aus. Seine eigenen Reformanstrengungen, die zu retten suchten, was nicht mehr zu retten war, WUurden von manchen SED-Führern in teilweise oberlehrerhafter Manier kritisiert. Rakowski kommentierte dies intern mit dem Bonmot, daß Polen die lustigste Baracke im Sozialistischen Lager gewesen sei— jedenfalls lustiger als die DDR. Auch das Kriegsrecht bezeichnete Rakowski als relativ mild. Bei allen tragischen Einzelschicksalen, die er nicht vergessen machen wollte, kann man dem Politiker, der als Jugendlicher das nazistische Terrorregime in Polen erlebt hatte, dies wohl glauben. Der Gast beschloß seine in ausgezeichnetem Deutsch gehaltenen Ausführungen mit der Hoffnung auf einen„Dritten Weg“. Sein Glaube an den Sozialismus sei stärker als der Glaube an das zu Recht zusammengebrochene System. Der Mensch brauche auch künftig eine soziale Utopie.
Mario Keßler
FRAUEN IN BRANDENBURGISCHEN SPORTVEREINEN
Frauen im Sportverein— damit werden die einen Gymnastikgruppen, Hausfrauenvolleyball oder Mutter-Kind-Tumen verbinden, während andere eher Frauenfußball, Rhythmische Sportgymnastik oder PowerAerobic assoziieren. Zu erkunden, wie Frauen die brandenburgische Sportvereinslandschaft mitgestalten, war eines der Ziele des kürzlich mit einer zweitägigen Abschlußtagung abgeschlossenen Modellprojektes„Der vereinsorganisierte Frauensport im Land Brandenburg“.
Das Projekt gestalteten die kooperierenden Institutionen— die Landesministerien für Bildung, Jugend und Sport sowie für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen, der Landessportbund Brandenburg(LSB) sowie der Arbeitsbereich Sport und Gesellschaft des Insitutes für Sportwissenschaft der Universität Potsdam— von Beginn an als Verknüpfung wissenschaftlicher Analyse und praktischer Interventionen. In einem ersten Teilprojekt wurden Gruppenleiterinnen aus Brandenburger Sportvereinen unter anderem zu den Teilnehmerinnen ihrer Gruppen, den Angeboten in den Frauensportgruppen und zu Möglichkeiten der Förderung von Fraueninteressen in den Vereinen befragt. Neben dieser analytischen Arbeit sollte die Entwicklung des_vereinsorganisierten Frauensports auch praktisch unterstützt werden. In diesem Zusammenhang trugen besondere Förderleistungen wie Honorare für Starthelferinnen, Zuschüsse für Sportgeräte zur Gründung von 40 Frauengruppen mit rund 1000 neuen Teilnehmerinnen bei. Zudem unterstützte eine Vereinsberaterin interessierte Vereine in der Einrichtung und Erweiterung von Frauensportangeboten und bot spezielle Fortbildungsveranstaltungen für weibliche Führungskräfte an. So konnten Forschungsergebnisse in die Vereinspraxis einfließen, wie auch die Beobachtungen in den Frauengruppen selbst zu weiteren theoretischen Überlegungen führten.
Zum Abschluß des Projektes zeigten sich nicht nur die Kooperationspartner zufrieden mit den erzielten Ergebnissen. Auch die Frauensprecherin des Deutschen Sportbundes(DSB), Dr. Inge Berndt, nannte die Brandenburger Initiative„in ihrem ganzheitlichen Anspruch geradezu beispielhaft“. Die Vorsitzende des LSB-Landesfachausschusses„Frauen im Sport“, Ilona Golm, stellte dann auch in Aussicht, die Förderung des Frauensportes fortzusetzen. Denn, so Prof. Dr. Jürgen Baur vom Arbeitsbereich Sport und Gesellschaft,„die Modellgruppen stellen bislang erst Inseln im ansonsten männerdominierten Sport des Landes Brandenburg dar“. Stephan Telschow
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PUTZ 9/97